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Reisen mit Mäge I - Patamban & Patzcuaro



Immer am letzten Sonntag im Oktober wird in Patamban, Michoacan, die 'Fiesta Cristo Rey' gefeiert. Seit Urzeiten werden die Gassen in diesem kleinen Dorf auf der Meseta Tarasca mit Blumen dekoriert. Die ersten Blumenteppiche wurden für die Prinzessin Ttzetzangari, eine Enkelin oder Urenkelin von Tariacuri, dem Gründer des Reiches der Purepecha-Kultur, kreiert. Später wurden die Blumenteppiche am Eingang des Dorfes gemacht, wenn eine berühmte Persönlichkeit zu Besuch kam. 1926 wurde oberhalb des Dorfes eine riesige Christus-Statue aufgestellt und der damalige Priester dekorierte die Gassen von der Kirche bis hinauf zur Statue mit Blumen. Bald wurden die wichtigsten Gassen dekoriert und heute sind es ungefähr fünf Kilometer, die jedes Jahr für ein paar Stunden geschmückt werden.



Unsere Schweizer Freundin Mäge, die schon in anderen Reiseberichten erwähnt wurde, plante genau für diese Zeit einen Besuch in Mexiko. Dieses Jahr fiel das Fest auf den 30. Oktober und so konnten wir nicht nur die Blumenteppiche in Patamban bewundern, sondern danach gleich weiter in Richtung Patzcuaro fahren, um an den Festlichkeiten für den 'Noche de Muertos' teilzunehmen. Als wir uns Patamban gegen Mittag näherten, waren wir natürlich nicht die einzigen Besucher. Entlang der einzigen Zugangsstrasse waren die Gratisparkplätze schon alle belegt. Wir fuhren so weit ans Dorf heran, wie es die Polizei erlaubte und parkten auf einer grossen Wiese, dessen Besitzer jedes Jahr einen extra Batzen mit diesen improvisierten Parkplätzen verdient. Die Strasse war gesäumt von Verkaufsständen, an denen allerlei Scheusslichkeiten Made-In-China feilgehalten wurden. Dawischen gab es Früchte, Getränke und Fressalien. Ganz selten wurde die typische grün glänzende Keramik aus Patamban verkauft. Wir staunten nicht schlecht, als wir sogar Autositze und -spiegel zum Verkauf angeboten entdeckten. Eine ganze Küche hätte man sich mit bunten Plastikgefässen und Kellen einrichten können. Natürlich durften auch die Raubkopien von CD's und DVD's nicht fehlen. Die Besucher schlenderten dicht gedrängt an den Ständen vorbei Richtung Hauptplatz. Wir bogen bald in eine etwas ruhigere Gasse ab auf der Suche nach den Blumenteppichen, deretwegen wir eigentlich gekommen waren. Ganze Familien sassen im Schatten der Mauern vor ihren Häusern. In bunten Plastikschalen und geflochtenen Körben sahen wir die 'Zutaten' für die Dekoration der Gassen. Im Oktober blühten in den höheren Lagen in Michoacan immer noch viele Blumen, die alle für diesen Anlass gepflückt wurden. Ausserdem wurden Eicheln, Piniennadeln, Tannenzapfen, Maiskörner, Gräser, trockene Blätter und vieles mehr verwendet. Die bequeme Variante war die Verwendung von gefärbtem Sägemehl, was natürlich nicht im Entferntesten so schön aussah wie die vielen verschiedenen Farbtöne und Formen, die die Natur hervorbrachte. Wir waren etwas erstaunt, dass am Mittag erst gerade mit der Dekoration der ersten Gassen begonnen wurde. Gemütlich schlenderten wir im Dorf hin und her, immer auf der Suche nach der schönsten Dekoration. Am Hauptplatz war eine grosse Bühne aufgebaut für die Band. Hier wurde auch einiges Kunsthandwerk verkauft. Von unzähligen Fressbuden stieg der Rauch in den Himmel. Vor der Kirche stand der Priester unter einer blauen Plane, schwang den Weihrauch und segnete die Gemeinde per Mikrophon. Am frühen Nachmittag waren in einigen Gassen schon Bögen aufgestellt, Girlanden aufgehängt, und der Blumenteppich in der Mitte der Gasse fast fertig für den Durchzug der Prozession. Wir hatten noch ein paar andere Dörfer auf dem Programm und wollten den grössten Rummel vermeiden und so fuhren wir am Nachmittag weiter Richtung Paracho.



Die Meseta Tarasca ist bekannt für ihre Kirchen aus der Zeit der Evangelisation (16./17. Jahrhundert). Unter dem ersten Bischof von Michoacan, Don Vasco de Quiroga, begannen die ersten Franziskaner- und Augustinermönche im 16. Jahrhundert mit dem Bau von Hospitales de Indios, einem architektonischen Komplex der aus einem Kloster oder einer Kirche und einem Spital bestand. Von aussen sahen viele dieser uralten Kirchen nicht sonderlich spektakulär aus, doch betrat man erst einmal das Innere, kam man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Holzdecken waren oft von vorne bis hinten bunt bemalt mit religiösen Szenen, Menschen und wilden Tieren und Pflanzen. In den letzten Jahren hatte die zuständige Behörde viele dieser Kirchen restaurieren lassen, doch es fehlte immer noch viel Arbeit, um alle Details zu konservieren. Wir fuhren von Ortschaft zu Ortschaft bis nach Santiago Nurio. Die grosse Kirche war offen, doch eigentlich interessierte uns die kleine Kapelle hinter der Kirche. Am Eingang standen die zwei grössten Yucca filifera, die wir jemals gesehen hatten. Sie sahen aus, als ob sie von den gleichen Mönchen gepflanzt wurden, die mit dem Bau der Kirche begonnen hatten. Auf der Polizei schickte man einen Polizisten los, um den Mann mit dem Schlüssel zu suchen, was an einem Sonntagnachmittag kein leichtes Unterfangen zu sein schien. Schliesslich meinte eine Frau, wir sollten doch um die Ecke in einem Gemüseladen ausrufen lassen, dass wir gerne die Kapelle besichtigen würden. Für 10 Pesos rief die Gemüseverkäuferin über den auf dem Dach montierten Lautsprecher nach dem Mann mit dem Schlüssel, der sich dringend und unverzüglich bei der Kapelle einfinden solle. Leider waren alle Bemühungen umsonst und wir zogen schliesslich unverrichteter Dinge von dannen. Gegen Abend erreichten wir Paracho, die Guitarren-Hauptstadt der Welt. Am Eingang thronte eine überdimensionale Guitarre aus Stahl. Fast im Zentrum fanden wir ein relativ neues Hotel mit netten Zimmern. Die Hauptstrasse durch Paracho ist gesäumt von Geschäften und Ateliers, die alle Guitarren herstellen und verkaufen. Rund um den Hauptplatz wurden orange Tagetes und violette Orchideen und weitere Blumen als Grabschmuck verkauft für Allerseelen. An einer Seite wurden beim Eindunkeln Taco-Stände aufgebaut und wir suchten uns den meistbesuchten aus. Danach erstanden wir für den Kaffee am nächsten Morgen noch ein paar süsse Brötchen, die aus grossen geflochtenen Körben verkauft wurden.



Von Paracho fuhren wir für ein spätes Frühstück nach Cheran, einer kleinen Stadt, wo die Bewohner ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen hatten. An allen Eingängen waren die Strassen mit Barrikaden blockiert, an denen vermummte und bewaffnete Männer Wache hielten. Ab 20 Uhr abends gab es kein Durchkommen mehr. So wollen die Einwohner sich vor illegalen Holzfällern, die oft mit Drogenkartellen zusammenarbeiten, schützen. An der Barrikade stoppten wir und wurden von einem Vermummten nach unserem Anliegen befragt. Als wir ihm erklärten, dass wir eigentlich nur ein Frühstück auf dem Markt einnehmen wollten, um danach nach Patzcuaro weiterzufahren, liess er uns ohne Probleme durch. Auf dem Markt, wo wir in einem kleinen Restaurant ein leckeres Frühstück mit Tortillas aus blauem Mais bekamen, waren aber nicht alle Leute so von den Aktionen ihrer Mitbewohner begeistert. Zwar sah für uns das Treiben im Stadtzentrum so emsig aus wie immer, doch anscheinend waren die Geschäfte extrem zurückgegangen und oft wurden Händler willkürlicherweise nicht in die Stadt gelassen. Auf kleinen Strassen fuhren wir nun weiter nach Patzcuaro, wo wir durch das Stadtzentrum schlenderten. Rund um den grossen Platz waren Stände aufgebaut, an denen Kunsthandwerk aus ganz Michoacan verkauft wurde.



Die kurze Zeit bis zur Nacht des ersten November verbrachten wir mit Sightseeing in der Umgebung von Patzcuaro und dem Besuch bei Freunden nahe Morelia. Die kleine Kirche in Tupataro, auch die Sixtinische Kapelle Mexikos genannt, ist einen Besuch wert. Von aussen erschien die Kirche aus dem 16. Jahrhundert völlig unscheinbar, doch einmal im Inneren kam man aus dem Staunen nicht heraus. Man ging über den originalen, 500-jährigen, knarrenden Holzboden. Statuen säumten die Wände und der Altar mit Oelbildern war reichlich mit Gold verziert. Doch das Spektakulärste war wieder die bemalte Holzdecke, die die Leiden Jesu, die zwölf Mysterien der Jungfrau Maria und Jesus und Darstellungen der 33 Erzengel und weiterer religiöser Symbole. Ohne die kundigen Ausführungen eines lokalen Lehrers hätten wir allerdings nie die unzähligen Details der Gemälde und Statuen der Kirche gesehen.



Am ersten November besuchen wir nochmals den Kunsthandwerksmarkt in Patzcuaro. Am späten Nachmittag fuhren wir entlang des Sees bis nach Erongaricuaro, wo am Hauptplatz ebenfalls verschiedene Stände aufgebaut waren. Hier waren es eher mexikanische Hippies und ausgewanderte Amerikaner und Kanadier, die ihre Ware feilhielten, u.a. biologisch erzeugte Produkte aus der Gegend. Im zweiten Hotel hatten wir Glück und bekamen für die Nacht doch noch zwei Zimmer, obwohl an diesem Datum normalerweise alles schon im voraus ausgebucht ist. Reich gefüllte und im Fett ausgebackene Quesadillas füllten unseren Magen. Auf einem Verdauungsspaziergang zum Friedhof konnten wir allerdings keine grossartigen Aktivitäten entdecken. Zuerst fuhren wir nach Jaracuaro, einem Dorf auf einer kleinen Halbinsel im See von Patzcuaro. Auf dem grossen Platz vor der Kirche war eine Messe im Gange und wir wurden andauernd von Kindern genervt, die mit Platsikkürbissen im Stil des amerikanischen Halloween um Süssigkeiten und v.a. Geld bettelten. Gegen 22 Uhr fuhren wir nach Arocutin zurück, einer kleinen Ortschaft etwas oberhalb des Sees, der sowas wie ein Geheimtip war, doch jetzt auch schon mit ausländischen Touristen überrannt wurde. Der Friedhof lag gleich neben der kleinen Kirche, in Mexiko eher eine Seltenheit. Der Anblick des in gelbes Kerzenlicht getauchten Friedhofes war wunderschön. Die Gräber waren mit orangen Tagetes und den violetten Blüten von Laelia autumnalis geschmückt. Die Lieblingsspeise und das bevorzugte Getränk der verstorbenen Person standen auf dem Grab. Süsses 'Pan de Muertos' war in Körbe gelegt, die mit bunt bestickten Tüchern bedeckt waren. Die Familien sassen dick in Wolldecken und Rebozos eingehüllt auf Steinen oder Stühlen. Je später die Stunde, desto mehr füllte sich der Friedhof mit Familien und desto mehr Kerzen wurden entzündet. Vor dem Friedhof erstanden wir einen heissen Ponche, einen Fruchtpunsch, der mit Guaven hergestellt wurde. Martin probierte ihn mit Alkohol, doch dem Geruch nach zu schliessen war es hochprozentiger Wundalkohol, der dem süssen Ponche beigemischt wurde. Irgendwann nach Mitternacht gaben wir schliesslich auf und verzogen uns unter die warmen Wolldecken im Hotel.



Jetzt war es Zeit, uns auf den Höhepunkt von Mäges Besuch vorzubereiten, der Zugfahrt durch die Kupferschlucht, von der wir Euch im nächsten Reisebericht erzählen wollen.



November 2011



Julia Etter & Martin Kristen