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Und ewig locken die Schmetterlinge



Vor vielen Jahren hatten wir Euch schon einmal von den Monarch-Schmetterlingen erzählt. Seither hat sich vieles geändert dort oben, und davon wollen wir diesmal berichten. Unsere Freunde Gertrud und Ad aus El Paso, Texas, hatten einen kurzen Urlaub vor Weihnachten geplant und wollten unbedingt die Schmetterlinge sehen. Juan Miguel, ein beidseitiger Freund aus San Luis Potosi, hatte ihnen versprochen, sie dorthin zu fahren. Fitz, ein weiterer Freund aus San Luis Potosi, der schon öfter in unseren Reiseberichten aufgetaucht ist, war gerade alleine zuhause und so luden wir ihn auch ein. Zum Schluss brachte Juan Miguel noch seine aktuelle Freundin Valerie mit. Die Sache war zu einem richtig mexikanischen Abenteuer ausgeartet und das Haus war voll. In Juan Miguel's Auto wäre kein Platz für all diese Leute gewesen, und so liessen wir Martin, der die Schmetterlinge schon öfter gesehen hatte, und Fitz, der sich die Wanderung auf dieser Höhe mit seinen zarten 89 Jahren nicht mehr unbedingt zutraute, zuhause.



Unsere kleine Reise führte uns zuerst nach Tlalpujahua, einem "Pueblo magico", einem dieser typischen mexikanischen magischen Dörfer. Die Strassen und Gassen sind mit Kopfsteinpflaster bedeckt, die Häuser mit viel Holz verziert und die Dächer aus rotem Blech. Ein typisches Minendorf eben in Zentralmexiko. Um den Hauptplatz herum konnte man kurz vor Weihnachten Souvenirs und Kunsthandwerk erstehen, oder sich Tüten mit übersüssen kandierten oder Gläser mit in Zuckersirup eingemachten Früchten kaufen. Berühmt ist Tlalpujahua aber v.a. für die Produktion von allerlei Weihnachtskugeln, von denen jährlich 38 Millionen hergestellt und davon 26 Millionen exportiert werden. So gibt es denn auch genügend Geschäfte, in denen man das ganze Jahr über Weihnachtskugeln in allen erdenklichen Farben und Formen erstehen kann. Auf dem Kirchenplatz stand ein riesiger Weihnachtsbaum, der so gross war wie die uralte kleine Kirche, die nicht mehr benützt wird. Auf einer Dachterrasse nahmen wir einen kleinen Imbiss zu uns. Danach war es auch schon späterer Nachmittag und wir machten uns auf den Weg nach Angangueo, wo wir im Hotel "La Margarita" unterkamen. Angangueo hatte 2010 extrem unter Dauerregen gelitten. Ganze Abhänge waren heruntergekommen und hatten Bewohner in ihren improvisierten Bretterhütten mit sich in den Tod gerissen. Durch das in ein enges Tal gebaute Dorf führte eine Spur der Verwüstung. Viele Häuser wurden vom Schlamm überflutet, Autos zu Tal gerissen, Gärten und Innenhöfe zerstört. Davon sah man mehr als zwei Jahre später nichts mehr. Die Häuser waren durchwegs bunt gestrichen mit vielen Blumentöpfen auf den Balkonen und mit der üblichen kitschigen Weihnachtsdekoration versehen. Mitten durch das Dorf führte nun ein tiefer, betonierter Kanal, wo früher der Bach ungezähmt durchgeflossen. Der Kanal war das einzige Zeichen, das noch von der 2010 Katastrophe zeugte. Er wurde offensichtlich in der Hoffnung erbaut, dass sich bei einem ähnlichen Ereignis das Wasser durch den Kanal eindämmen lässt.



Im oberen Teil von Angangueo gibt es einige kleine Hotels, die eher für Rucksacktouristen geeignet sind. Weiter unten befindet sich das Hotel "La Margarita", nach seiner Besitzerin Margarita benannt, das einigermassen erschwingliche Preise und saubere Zimmer hat. Etwas weiter unten folgt dann noch das Hotel "Don Bruno", die teuerste Unterkunft im Ort. Bei Margarita gibt es normalerweise keinen Restaurantbetrieb, doch wir hatten vorher schon alles reserviert und sie zeigte sich bereit, uns auch zu bekochen. Im riesigen, extrem kalten Speisesaal bekamen wir noch fast gefrorenes Bier. Dazu gab es eine leckere Karottensuppe und danach Chiles rellenos mit Bohnen, gefolgt von einem hausgemachten Flan. Die Männer liessen sich zweimal servieren, und für die folgenden Essen bekamen wir riesige Portionen vorgesetzt, da die Köchin meinte, wir seien alle ganz grosse Esser.



Der nächste Tag war ganz den Schmetterlingen gewidmet. Da es relativ kalt war und die Schmetterlinge erst mit genügend Sonnenwärme aktiv werden, frühstückten wir nicht allzu früh. Vor dem Hotel wollten uns schon ein paar Führer eine Tour nach El Rosario andrehen. Die automatische Schaltung unseres Autos würde beim hinauffahren durchbrennen, erklärten sie uns, deshalb sollten wir besser mit ihnen mitkommen. Ihr Auto sah allerdings noch weniger vertrauenserweckend aus als Juan Miguel's Gefährt, und ausserdem wussten wir ja wohin wir wollten. So ging es gemütlich die vielen Kurven den Berg hinauf bis zum Eingang zur Sierra Chincua. Hier oben hatte sich extrem viel verändert. Am Eingang an der Hauptstrasse standen immer noch Kinder und junge Männer, die uns ihre Dienste anbieten wollten. Nach knapp zwei Kilometern auf einer Piste erreichten wir den Eingang des Schutzgebietes. Die Parkplätze waren immer noch auf der Wiese, doch alle schön säuberlich mit Steinen abgegrenzt. Wir gehörten zu den ersten Besuchern und Juan Miguel musste sofort eine Horde Buben abwimmeln, die alle zusammen sein Auto bewachen wollten. Dann kamen wir an einen richtigen Eingang mit Zahlhäuschen und Plakaten, die die Wege und Aussichtspunkte aufzeigten. Die improvisierten Souvenirshops und kleinen Garküchen waren schönen, hellen Holzhäusern gewichen, die sogar mit Solarpanels ausgestattet waren. Luis, unser Führer, war ein schweigsamer Junge, von dem man den Eindruck bekam, dass er keine Ahnung von den Schmetterlingen und deren fantastischer Migration hatte und sich auch nicht sonderlich dafür interessierte. Auf einem schönen Wanderweg ging es nun in die Höhe über eine Wiese. Am Wegesrand blühten Disteln, Salbei und weitere Blumen. Immer wieder standen am Wegrand Tafeln, die den Besuchern die Vegetation, die Migration der Schmetterlinge, das Leben der Bewohner in diesen Bergen, und vieles mehr auf spanisch und englisch erklärten.



Für diejenigen, die keine Ahnung haben, was die Monarchschmetterlinge so speziell macht, folgt hier eine kurze Beschreibung. Im November machen sich die Monarchfalter auf den Weg ihrer unglaublichen Migration. Schmetterlinge westlich der Rocky Mountains migrieren an einige Orte an der Küste Kaliforniens, jene östlich der Rockies dagegen fliegen weit nach Süden in die Berge von Michoacan und den Estado de Mexico. Es ist der einzige Schmetterling (und das einzige Insekt) der Welt, der bis zu 4'750 km zurücklegt, um seinen Ueberwinterungsplatz zu erreichen. In grossen Massen fliegen die Falter immer ins gleiche Gebiet und oft auch zu den gleichen Tannenbäumen, die auf spanisch Oyamel (Abies religiosa) heissen. Sowas würde man eher von Vögeln und Walen erwarten, doch anders als bei diesen ist es bei den Schmetterlingen erst die dritte Generation, die sich wieder auf den langen Weg südwärts macht, wohlgemerkt ohne jemals dort gewesen zu sein. Wie sie den Weg finden, ist bis heute ein ungelöstes Rätsel. Im Frühling, wenn es in den Bergen von Michoacan genügend warm wird, machen sich die Schmetterlinge wieder auf den Weg nordwärts. Diese Generation von Faltern fliegt den ganzen weiten Weg zurück in die USA und Kanada, wo sie dann sterben. Ihr Nachwuchs hat eine viel kürzere Lebenszeit und es vergehen 3-4 Generationen in einem Sommer, bis wieder die Schmetterlinge schlüpfen, die dann im Herbst die lange Reise nach Mexiko antreten. Monarch-Schmetterlinge ernähren sich von Asclepia-Pflanzen und nehmen dadurch giftige Stoffe (Kardenolide) auf, die sie für Frösche, Eidechsen, Mäuse und Vögel, etc. ungeniessbar machen. Zwar nützt dem Falter dieses Gift wenig, wenn er schon totgebissen ist, doch er schützt sich ebenfalls durch seine warnenden Farben orange, schwarz und weiss, die auch von einem kleineren Falter imitiert werden. Ausserdem hat man festgestellt, dass Vögel, nachdem sie einmal einen Monarch-Schmetterling gefressen haben, sich heftig erbrechen müssen und die Falter danach von ihrem Speisezettel streichen.



Entlang des Weges gibt es zwei Aussichtspunkte, von denen man spektakuläre Blicke über die vielen kleinen Berge hat, die ehemalige Vulkankegel sind. An einem der Aussichtspunkte fotografierten wir Echeveria secunda im Moos und Sedum goldmanii stand in Blüte. Vereinzelt bekamen wir einen Schmetterling zu Gesicht. Nach etwa 40 Minuten erreichten wir die Bäume, an denen die Falter zu Millionen hingen. Alles war mit gelbem Klebeband eingezäunt und man stand in gebührender Entfernung, um die Schmetterlinge nicht zu stören. Hier flatterten und schwebten schon einige Tausend Falter in der Luft. Am Boden lagen tote Falter und viele versuchten sich mit Flügelflattern an der Sonne aufzuheizen. Je wärmer es wurde, desto mehr Schmetterlinge lösten sich von den Bäumen. Sie kamen in Schwaden und der blaue Himmel war übersät mit orangen Punkten. An der Sonnenseite der Tannenbäume liessen sie sich zum Aufwärmen nieder, oder auf grossen Felsbrocken und auf gelb blühenden Büschen. Die meisten hingen aber in dunklen Trauben an den Tannenästen. Das Gewicht der Millionen Schmetterlinge an den Aesten liess diese ganz nach unten hängen. Das Beeindruckendste war aber das Rascheln der Flügel dieser Millionen von Schmetterlingen, das man im Wald hören konnte. Langsam trudelten auch mehr Besucher ein, doch die meisten respektierten das Ruhegebot. Wenn man zum ersten Mal hier zu Besuch ist, ist man überwältigt von der Menge der orangen Falter. Doch wenn man die Führer fragt, welche Jahreszeit die beste ist, dann sagen alle Februar, was wir aus eigener Erfahrung bestätigen können. Im Februar ist es wärmer und die Falter hängen nicht mehr nur in grossen Trauben an den Tannenästen, sondern fliegen, schweben und flattern alle herum.



Zurück im Eingangsbereich schlenderten wir entlang der Reihe von kleinen Restaurants, die auch ganz neu angelegt wurden. Natürlich priesen die Köchinnen lautstark ihr Menu an. Man ging hinten durch die grosse Küche hinein, die immer noch traditionell mit Holzfeuer funktionierte, und konnte sich gleich ansehen, was es zu essen gab. Vorne kam man auf der Südseite auf eine breite Holzterrasse heraus, auf der die verschiedenen Lokale lange Tische und Bänke aufgestellt hatten, an denen man in der Nachmittagssonne angenehm gewärmt wurde. Wir bestellten Quesadillas mit Huitlacoche, die leider viel zu wenig Füllung enthielten, dafür aber mit handgemachten Tortillas aus blauem Mais gemacht waren. Beim Auto mussten wir wieder die ganze Horde Buben abwehren, die nicht nur das Geld für die Bewachung des Autos einziehen wollten, sondern uns mit improvisierten Besen aus Blättern die Schuhe vom Staub befreien wollten, natürlich auch dies gegen ein paar Münzen.



In Angangueo erwartete uns schon das kalte Bier bei Margarita im eisigen Speisesaal. Heute gab es riesige Pouletschenkel in schwarzer Mole und natürlich Bohnen. Als Dessert wurden wir mit einem Kaffeeflan verwöhnt.



Die Rückreise führte uns nach Ciudad Hidalgo und weiter auf der alten Strasse nach Morelia, die über die Berge und Mil Cumbres führt. Am Aussichtspunkt bei Mil Cumbres war die Luft zu diesig, um tatsächlich über tausend Hügel bis an den Pazifik zu sehen. Dafür fotografierten wir entlang der Strasse blühende Echeveria fulgens. Kaum waren wir ein paar Meter weitergefahren, wollte jemand schon wieder bei noch schöneren Exemplaren stoppen. Kürzlich war entlang der Strasse gemäht worden und wir konnten viele abgeschnittene Blütenstände zu einem schönen Blumenstrauss zusammenpflücken, der ohne Wasser bis nach Neujahr in der Vase stand. Am späteren Nachmittag waren wir wieder in Jalisco, wo wir den gelungenen Ausflug auf der Terrasse mit einem Raclette ausklingen liessen.



Gertrud und Ad flogen leider bald wieder nach El Paso zurück, um Weihnachten mit ihrer Tochter zu verbringen. Juan Miguel und Valerie fuhren über die Feiertage zu Juan Miguel's Bruder nach Cuernavaca. Nur Fitz blieb über Weihnachten bei uns, wo wir ganz ohne Klimbim ein paar gemütliche Tage mit gutem Essen und abends einer Flasche Wein verbrachten. Danach war wohl für alle eine kleine Diät angesagt, doch das gehört ja wie üblich auf die "gute Vorsätze" Liste für das neue Jahr.



Dezember 2012



Julia Etter & Martin Kristen