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Mexikanische Nummernschilder für Dummies



Mexiko ist nicht nur ein Land mit spektakulären Landschaften, wunderschönen Pflanzen, ausgezeichnetem Essen und süffigem Tequila, liebenswerten Menschen, interessanter Kultur und Geschichte, sondern auch ein Land mit einer beeindruckenden Bürokratie. Ein Auto mit ausländischem Kennzeichen zu nationalisieren und Nummernschilder zu lösen, führt einen in die tiefsten Tiefen dieses ungeheuerlichen Beamtenapparates. Da braucht es v.a. eine sehr mexikanische Gabe: Geduld! (eine Tugend, für die besonders Martin ja so bekannt ist, dass er sich einen zusätzlichen mexikanischen Vornamen "verdient" hat: Paciencio)



Alles begann für uns ganz harmlos und eigentlich erfreulich, denn nach den vielen Jahren hier in Mexiko, wo wir jedes Jahr für die Erneuerung der Aufenthaltspapiere mehrere Gänge auf das Immigrationsamt in Guadalajara unternehmen mussten, wurde am Gesetz etwas geändert und wir konnten mit einer letzten Zahlung und vielen Kopien und Fotografien eine Bewilligung beantragen, die uns (fast) zu echten Mexikanern machte - wenigstens auf dem Papier. Was wir allerdings nicht mitbekamen und was einem auch nicht mitgeteilt wurde, war, dass es für uns plötzlich illegal war, ein Auto mit ausländischem Kennzeichen zu fahren.



Die Lösung für dieses Problem:

1. Das Fahrzeug aus dem Land zu fahren.

2. Das Fahrzeug zu nationalisieren.

3. Das Fahrzeug zu Schrott zu fahren und dabei Leib und Leben zu riskieren.



1. Da die kalifornischen Nummernschilder des Dodge schon längst abgelaufen waren, hätten wir als erstes neue Schilder beantragen und dafür auch eine Versicherung abschliessen müssen. Da das Auto mit seinen 18 Jahren fast schon eine Antiquität ist, wäre uns das alles extrem teuer zu stehen gekommen. Ausserdem hätten wir das Auto dann irgendwie in den USA verkaufen müssen.

2. Ein Auto mit Dieselmotor zu nationalisieren, dazu noch mit Jahrgang 1996, kostet eine Unmenge Geld. Mehr als das Fahrzeug wert ist. Dafür muss man mit dem Fahrzeug bis an die Grenze (1000 km ein Weg) hochfahren, einen Zollagenten haben, Papierkrieg erledigen, und dann wieder zurückfahren, um danach in Jalisco nochmals viel Geld für die Nummernschilder zu bezahlen.

3. Wie uns am Telefon erklärt wurde, bedeutete die dritte Option tatsächlich, dass das Fahrzeug einen Totalschaden erleiden musste, um als Schrott zu gelten und aus dem Register gestrichen zu werden. Bei einem Totalschaden würden aber höchstwahrscheinlich auch die Insassen grossen Schaden erleiden, weshalb Option 3 überhaupt nicht in Frage kam.



Natürlich befragten wir auch den Herrn Google zu seiner Meinung. Da boten einem unzählige Zollagenten ihre Dienste an. Spezialisierte Anwälte wollten einem beraten. In Internet-Foren wurden die wildesten Gerüchte herumgereicht. Und natürlich gab es auch die zwielichtigen Gestalten, die einem eine ganz einfache Lösung versprachen. Das verlockendste an diesem Angebot war, dass man das Fahrzeug nicht bis an die Grenze fahren musste, sondern dass diese Agenten die Legalisierung aus dem Inland machen konnten. Wenn man sich allerdings bei der mexikanischen Behörde erkundigte, wie man ein Fahrzeug legalisieren konnte, dann wurde einem eindeutig beschieden, dass man dies NUR an der Grenze machen konnte und dass alles andere illegal sei. Etwas Illegales zu tun, ist etwas, was man sich als Ausländer in Mexico wohl besser überlegen sollte.



Nach langem Hin und Her entschieden wir uns für die Legalisierung mit der Firma DNS Aduanales y Logísticos in Nuevo Laredo, Tamaulipas. Eric Medina war unser Kontaktmann. Nach endlosen Telefonaten und Emails waren wir dann endlich so weit, das Geld zu überweisen, doch ausgerechnet dann beschloss die Regierung, dass bis auf weiteres keine Gebraucht-Autos mehr nationalisiert werden durften. Dieser Beschluss wurde dann in typisch mexikanischer Manier nur zwei Tage später wieder aufgehoben. Also brachten wir den Prozess wieder ins Rollen. Allerdings klingt das alles natürlich einfacher, als es dann in Wirklichkeit war. Da es illegal war, mit dem Fahrzeug in Mexiko zu fahren, mussten wir eine Spezialbewilligung einholen, den sogenannten "retorno seguro". Dafür musste man verschiedene Papiere und Kopien bei einem Amt in Guadalajara vorbeibringen und innert fünf Tagen erhielt man dann eine Fahrbewilligung, um das Fahrzeug innert fünf Arbeitstagen aus dem Land zu fahren. Am Telefon wurde uns mitgeteilt, dass diese Bewilligung normalerweise am nächsten Tag vorliegt. Wenn man sich alles gut ausrechnet und richtig eingibt, dann gewinnt man zwei Tage, nämlich einen Samstag und Sonntag, die in den fünf Tagen, in denen man das Fahrzeug an die Grenze fahren muss, nicht mit eingerechnet werden. Wie wenn das alles nicht schon genug kompliziert war, kam natürlich noch mehr dazu. Hatte man einmal die Nationalisierung bezahlt, musste man sofort die Wagenpapiere mit einem Express Service zum Zollagenten schicken, der dann die Eingabe bei der Behörde machte. Nach Annahme der Papiere durch die Behörde hatte man genau zwei Tage Zeit, um das Fahrzeug zu präsentieren. Das alles erforderte also eine ausgeklügelte Planung und möglichst keine Pannen unterwegs.



Als wir alles organisiert hatten und das Geld überweisen wollten, erkundigten wir uns bei unserem Agenten Eric nach den Bankdaten. Er war gerade nicht zu erreichen, doch seine Sekretärin notierte sich unsere Telefonnummer und versprach, dass er in ungefähr 15 Minuten zurückrufen würde. 10 Minuten später bekamen wir tatsächlich einen Telefonanruf von Eric Medina. Martin hatte bisher noch nie mit Eric persönlich gesprochen, beantwortete aber diesmal den Anruf. Der angebliche Eric diktierte ihm eine Bankkontonummer, doch das Konto lautete auf den Namen einer Frau. Dann gab er ihm eine neue Handynummer an, denn das alte Handy sei ihm gestohlen worden, Und er instruierte, dass wir in den folgenden zwei Stunden zahlen sollten, denn dann wäre er auf der Bank und er hätte noch einige Dinge zu kaufen. Und wenn dann alles bezahlt sei, dann würde er sich wieder melden, um über die weiteren Details zu reden. Nach dem Telefonat meinte Martin, der angebliche Eric habe sehr jung geklungen. Ausserdem kam es uns spanisch vor, dass die Firma ein Bankkonto verwendete, das auf den Namen einer Frau lautete. Dann kontrollierten wir noch die Handynummer und es stellte sich heraus, dass es in Tijuana registriert war und nicht in Nuevo Laredo. Ausserdem stimmte die Summe, die der junge Mann am Telefon erwähnte, nicht ganz mit der Summe überein, die Eric uns per Email hatte zukommen lassen. Martin rief daraufhin das US Büro der Firma an, von wo er weiter nach Mexiko und direkt zu Eric Medina verbunden wurde. Dieser bestätigte, dass er nicht der Anrufer von vorher gewesen sei, dass sie bei einer anderen Bank waren und dass seine alte Handynummer wunderbar funktioniere. Martin wies ihn darauf hin, dass es dann jemanden in seinem Büro geben musste, höchstwahrscheinlich seine Sekretärin, die mit irgendwelchen Gaunern zusammenarbeitete, die uns gerade um viel Geld erleichtern wollten. In den nächsten Stunden bekamen wir fast im Minutentakt Telefonanrufe von der Tijuana-Nummer, die wir schliesslich blockierten und dann schlussendlich den Stecker aus dem Telefon zogen, um unsere Ruhe zu haben. Wie heisst es doch so schön bei den Amis? Nice try!



In Guadalajara gaben wir danach die Papiere ein und am nächsten Tag hielten wir die Fahrbewilligung, den "retorno seguro", in den Händen. Danach packten wir ein paar Kleider in eine Tasche und fuhren los. Es waren wie gesagt "nur" schlappe 1000 Kilometer bis nach Nuevo Laredo. In Monterrey übernachteten wir und fuhren am nächsten Morgen früh die letzte Strecke. Natürlich stoppte uns auf der ganzen Strecke niemand und wir mussten die extra in Guadalajara eingeholten Papiere nie vorzeigen. Ohne Mühe fanden wir in Nuevo Laredo die Zollagentur, die gleich an der amerikanischen Grenze lag. Eigentlich hatten wir uns ein modernes Büro mit Parkplätzen vorgestellt, doch weit gefehlt. Wir fuhren in eine enge Gasse hinein und an der angegebenen Hausnummer befand sich ein obskurer Eingang jedoch keine Zollagentur. Ein junger Mann, der offensichtlich Leute wie uns einen Parkplatz zuwies und dafür etwas Geld bekam, führte Martin schliesslich auf die andere Strassenseite zu einem schmalen Parkplatz, der komplett mit Autos zugeparkt war, und einem heruntergekommenen Gebäude dahinter. Hier befanden sich also die Büros der Firma DNS Aduanales y Logísticos. An der Rezeption wurde uns beschieden, dass Eric Medina noch unterwegs sei aber "horita" kommen würde. Nachdem wir eine ganze Weile geduldig gewartet hatten, riefen wir Eric auf seinem Handy an, und siehe da, nur Minuten später kam er aus einem Büro herausspaziert und verkündete, nur auf uns gewartet zu haben. Als erstes mussten wir aber noch an die Grenze fahren und unsere temporäre Importbewilligung des Dodge zurückgeben. Dafür musste man mit dem Fahrzeug an einem kleinen Schalterhäuschen vorbeifahren und Papiere aushändigen, woraufhin der Kleber an der Windschutzscheibe entfernt wurde. Danach war eine sehr mexikanische Tugend gefragt, die wir noch nicht so ganz beherrschen: GEDULD. Martin wollte das Fahrzeug mit den Originalpapieren keinem Fremden überlassen, deshalb fuhr er mit zum Büro mit Parkplatz, wo Papiere eingesammelt, Daten kontrolliert, und einem zum Schluss ein "Pedimento" ausgehändigt wurde. Das dauerte schlappe vier Stunden, weil der uns zugeteilte Bürogummi genau in dem Moment mit den Fahrzeugpapieren zum Mittagessen oder einem Schwätzchen verschwand, als die offiziellen Beamten eben diese Papiere einziehen und kontrollieren wollten. Währenddessen wartete ich geduldig an der Rezeption der Firma und beobachtete das rege Treiben und spielte, wie die anderen Wartenden auch, mit meinem Handy. Hier drin war es wenigstens einigermassen warm. Das rege Treiben war beeindruckend. Andauernd gingen Leute ein und aus. Bei dieser Firma schienen mindestens Hundert Männer angestellt zu sein, die alle Zugang zu den Büros hatten. Irgendwie verwunderte es einen nicht mehr so gross, dass sich so einer unsere private Telefonnummer von einem Bürotisch abgeschaut hatte und versuchte, einen Nebengewinn zu erzielen. Draussen war es kalt und richtig schweizerisch und regnerisch. Der kleine Parkplatz vor dem Haus war vollgestopft mit vollbeladenen Autos (die Zollagentur wirbt auf ihrer Webseite mit "estacionamiento amplio", was soviel heisst wie "grosser Parkplatz" - das Foto stammt von Google Earth 2009). Viele der Insassen hatten die Nacht im Auto verbracht um Geld zu sparen. Die meisten hatten auch nicht vorher gezahlt und die Wagenpapiere eingeschickt und so mussten sie viel länger als wir warten. Am späteren Nachmittag kam Martin endlich zurück. Nun musste nur noch auf einem anderen Büro eine Fahrbewilligung eingeholt werden, die uns erlaubte in fünf Tagen bis nach Guadalajara zurückzufahren. Da es immer noch grau und regnerisch war und schon später Nachmittag, beschlossen wir in Nuevo Laredo ein Hotel zu suchen. Zuerst aber fuhren wir zu einem Pizza Fast Food Restaurant, wo wir sogar ein Bier serviert bekamen. Nebenan befand sich ein Geschäft mit Autozubehör, wo wir eine Glühbirne für die Scheinwerfer erstanden. Praktischerweise standen vor dem Geschäft auch gleich ein paar Typen bereit, die einem die Glühbirne (oder sonstige Accessoires) an Ort und Stelle für einen kleinen (oder auch grösseren) Obolus einbauten.



Am nächsten Morgen fuhren wir früh los und mussten auf der ganzen Strecke nie unsere spezielle Fahrbewilligung zeigen. Nur an einem Kontrollposten in Aguascalientes stellte der freundliche Polizist fest, dass mein normaler Fahrausweis vor wenigen Tagen abgelaufen war. Nicht tragisch, meinte er, ich sollte einfach bei Gelegenheit mal einen neuen lösen gehen. Was wir denn auch gleich auf der Rückreise mit einem kleinen Abstecher nach Arandas (rund 45 km von Atotonilco entfernt) in die Tat umsetzten.



Zurück in Jalisco mussten wir nun "nur" noch Nummernschilder bekommen. Dieses Verfahren konnte natürlich nur in Guadalajara abgewickelt werden. Um die Nummernschilder zu beantragen, musste man einen Termin bei einem der zwei Zentren bekommen. Unsere Versuche, einen Termin per Registrierung auf der zuständigen Webseite zu bekommen, waren alle erfolglos. Immerhin gab es eine kostenlose Telefonnummer, wo man sich etwas in Geduld üben musste, doch wo man schliesslich mit jemandem direkt sprechen konnte. Uns wurde also mitgeteilt, dass man sich um punkt 15 Uhr einloggen musste, um einen Termin für 7 Uhr am nächsten Morgen zu bekommen. Einen Termin für einen bestimmten Tag oder die nächste Woche abzumachen, war unmöglich. Ausserdem stellte sich dann in der Praxis heraus, dass man den Termin von den zwei existierenden Zentren nur in einem, nämlich in Tonala, bekommen konnte. An einem Mittwochnachmittag klappte dann alles und wir bekamen einen Termin für den nächsten Tag. Am späten Nachmittag fuhren wir also mit ungültigen Nummernschildern nach Guadalajara, immer hoffend, dass uns kein Polizist kontrollieren wollte. Wir übernachteten bei einem Freund am anderen Ende der Stadt. Um 4:30 am frühen Morgen klingelte der Wecker, wir brauten einen Kaffee, und weckten nachher mit dem lauten Dieselmotor die Nachbarn als wir wegfuhren. In der Dunkelheit fuhren wir schnell durch die ganze Stadt bis nach Tonala, wo um 5:15 auf dem Parkplatz des Amtes schon 29 weitere Fahrzeuge standen. Uns wurde die Nummer 30 zugeteilt. Leute, die erst um 6 Uhr eintrafen bekamen 90-er Nummern. Und bald schon wurden die Autos dann auf einem Ueberlaufparkplatz abgestellt. Kurz vor 7 Uhr kamen die ersten Inspektoren und kontrollierten einige Papiere und verteilten weitere Papiere, die man ausfüllen musste. Im Total kamen vier verschiedene Inspektionen vorbei. Danach musste man sich in einen Warteraum setzen, bis wir um 9 Uhr unsere Papiere am Schalter abgeben konnten. Der Beamte meinte, wir sollten mal etwas frühstücken gehen, so in 1 1/2 bis 2 Stunden würde es dann weitergehen. Donnerstag ist der grosse Markttag in Tonala, so hatten wir wenigstens einiges zu sehen bei unserem Spaziergang durch die Gassen. Um 11 Uhr waren wir zurück und setzten uns wieder in die Wartehalle. Bei den Schaltern herrschte ein reges Treiben, doch niemand wusste so genau, was jetzt wie und v.a. wann weitergehen würde. Als ich mich einmal erkundigte, wurde mir erklärt, dass am Dienstag und Mittwoch das System nicht funktioniert hatte und sie deshalb alle diese Anträge für Nummernschilder zuerst abarbeiten mussten, aber dass wir uns keine Sorgen machen sollten und bestimmt mit Nummernschildern nach Hause fahren könnten. Gegen Mittag fing die Gerüchteküche an zu arbeiten. Jeder wusste was anderes oder hatte etwas gehört. Doch offiziell wurden wir nicht informiert, wir sassen einfach alle geduldig da und warteten. Und warteten noch ein bisschen, und dann noch etwas mehr, und zum Schluss noch mal ein bisschen. Und so weiter und so fort. Schliesslich entschlossen wir uns, nochmals einen Spaziergang zu unternehmen, ein Sandwich zu verdrücken und uns etwas die Beine zu vertreten. Als wir zurückkamen, war immer noch nichts geschehen. Gegend 14 Uhr kam plötzlich ein Beamter aus dem Büro und die Menge klatschte begeistert. Nun wurden die Nummern von den Leuten verlesen, die heute mit Nummernschildern nach Hause durften. Wir waren auch dabei! Als der Menge beschieden wurde, dass wir jetzt in ein anderes Gebäude gehen sollten, um die anstehenden Gebühren zu bezahlen, rannte die Meute sofort los, weil jeder der erste an der Kasse sein wollte. Das Bezahlen wurde dann aber auch so organisiert, dass diejenigen, die früh auf dem Parkplatz angekommen waren, auch zuerst bezahlen konnten. Kaum hatte man das Geld für die Zulassung gezahlt, wurden einem die neuen Nummernschilder ausgehändigt. Um 15:30 Uhr, schlappe 10 Stunden nachdem wir angekommen waren, hielten wir endlich die lange ersehnten Nummernschilder in der Hand.



Und die Moral der Geschichte? Uns mehr in Geduld zu üben, um richtige Mexikaner zu werden, und nie mehr persönlich ein Auto zu nationalisieren.



Juni 2014



Julia Etter & Martin Kristen