travelog 122






Ausflug mit dem Tequila Express Zug



Rätsel: Wo befinden wir uns in Gesellschaft von grölenden Tequila Fans aus Colima, zwei erschöpft auf einer Bank eingeschlafenen Mädchen, Mariachi Musik mit einem chic frisierten Sänger, einem Witze reissenden Animator, zwei überarbeiteten Jungs, die Drinks servieren, und vor dem Fenster ziehen blaue Agavenfelder vorbei?

Lösung: Auf dem Tequila Express Zug der Firma Herradura.



Eigentlich sind wir ja wirklich keine Fans solcher Touristenattraktionen, doch als Dieter Gruber, ein Kakteenfreund aus Basel, sich für einen Kurzbesuch in Guadalajara anmeldete, um sich quasi einen Jugendtraum zu erfüllen, da packten wir die Gelegenheit beim Schopf und kauften ebenfalls Tickets für besagten Tequila Express. Dieter hat sich über die Jahre zum ernsthaften Tequila Connaisseur gemausert, ist Mitglied beim Club Mundo Cuervo (sein absoluter Favorit ist "Reserva de la Familia"), hatte die Fabrik von Siete Leguas in Atotonilco vor ein paar Jahren mit uns besucht, und kannte natürlich das UNESCO Welterbe, die blauen Tequilafelder in Jalisco. In der Schweiz hatte er auch schon ein Geschäft ausfindig gemacht, wo er Siete Leguas Tequila und weitere Marken kaufen konnte und zuhause zieht er sich in Töpfen zwei Pflanzen, aus denen Tequila produziert wird, Agave tequilana. Nun wollte er eben noch den Tequila Express von seiner "Bucket List" streichen. Mit von der Partie waren natürlich auch Jean-Marc Chalet und Lupita, unsere Freunde aus Guadalajara.



Per Internet kann man sich die Tickets kaufen und darf sogar aussuchen, in welchem Waggon man mitfahren will. Zur Verwirrung aller gibt es allerdings zwei Tequila Express Züge, der eine etwas günstiger, der andere eher auf edel getrimmt. Die günstigere Variante ist der Zug von Herradura, der bis nach Amatitan (und nicht bis nach Tequila) fährt. Die teurere Variante ist seit 2012 in Betrieb und heisst Jose Cuervo Express, doch da Dieter die Anlage von Cuervo in Tequila schon kannte (wir übrigens auch), entschliessen wir uns für Herradura. Der Preis ist mit $1370 Pesos ziemlich stolz und auch für die beiden "alten Knacker" Jean-Marc und Martin gibt es nicht viel Rabatt mit ihrer mexikanischen Seniorenidentitätskarte. Auf dem Jose Cuervo Express hätten wir allerdings zwischen $1450 Pesos für die "Holzklasse" bis $1800 Pesos für "Premium Plus" bezahlt.



Um 8:50 am Samstagmorgen müssen wir spätestens am Bahnhof in Guadalajara sein. Beim Einlass wird uns erklärt, dass der Parkplatz nur für Angestellte reserviert ist, doch dass für 120 Pesos extra ein Valet Parking System verfügbar sei. Also Auto abgeben und zahlen. Am Schalter müssen wir uns in die Reihe stellen, die unserem Waggon entspricht und warten. Lupita sichtet eine Kaffeekanne, doch da wird erst ausgeschenkt, wenn man das Ticket vorweisen kann. Bunte Baseballmützen mit dem Tequila Express Logo werden ausgelegt, doch auch dafür muss man natürlich nochmals extra bezahlen. Schliesslich bekommen wir unsere Plätze zugeteilt und eine Karte umgehängt, die uns für den Rest des Tages als Tequila Express Touristen kennzeichnet. Nun endlich kann sich Lupita ihren Gratiskaffee holen und wir setzen uns auf eine Bank in der Wartehalle. Und warten noch etwas mehr. Am anderen Ende der Halle werden schöne Keramikkannen mit Cafe de Olla aufgestellt und in geflochtenen Körben sind süsse Stückchen appetitlich angeordnet. Schnell finden wir heraus, dass diese Ecke für die besser zahlenden Gäste ist, nämlich für die Jose Cuervo Touristen. Um uns die Warterei etwas zu verkürzen, spielt eine Mariachi Band ein Ständchen und die Botschafterin des Mariachi und der Charreria lässt sich in voller Adelita Tracht mit den Passagieren fotografieren. Endlich wird über Lautsprecher angekündigt, dass unser Abenteuer bald beginnt und wir uns am Eingang formieren sollen, um durch die Sicherheitskontrolle zu gehen und geordnet in die Waggons einzusteigen.



1997 wurde der Tequila Express von der Handelskammer in Jalisco ins Leben gerufen, um ein Stück der mexikanischen Passagier-Eisenbahn und v.a. drei wichtige Aspekte der mexikanischen Kultur, Charreria, Mariachi und Tequila, zu bewahren, und seither fährt besagter Zug immer am Wochenende von Guadalajara nach Amatitan und Tequila. Das Angebot scheint gut genutzt zu sein, es gibt junge Paare, Familien mit Kindern und Grosseltern, Gruppen von Tequila Fans, eine Gruppe Freundinnen, die den "Polterabend" mit der Braut feiert, und natürlich weisshäutige Touristen wie uns. Nachdem ein Kondukteur Lupitas und Jean-Marcs Sitzreihe in unsere Richtung gedreht hat, sodass wir gemütlich plaudern können, geht die Reise los. Für die knappen 45 Kilometer braucht unser Zug sage und schreibe ganze 1 1/2 Stunden, dafür sehen wir die blauen Agavenfelder langsam an unseren Fenstern vorbeiziehen.



Der Tequila Express besteht aus fünf Waggons und einer Lokomotive, alles Wagen, die wahrscheinlich anderswo schon lange ausrangiert worden wären. Beim Einsteigen werden wir schon ein erstes Mal von einer Fotografin abgelichtet, die uns auf der Rückfahrt die Fotos verkaufen will. Am Waggonende befindet sich die Bar, die von zwei jungen Männern bedient wird. Dazu kommt noch Antonio, unser Animator, der dafür verantwortlich ist, uns bei extrem guter Laune zu halten. Um die Gruppenidentität etwas zu festigen, erklärt er uns, dass es zwischen den Waggons einen Wettbewerb gibt und wer gewinnt, bekommt am Schluss eine kleine Ueberraschung. Danach johlen und klatschen natürlich immer alle kräftig mit, denn die Lautstärke ist ausschlaggebend, um besagten Preis zu gewinnen. Antonio erzählt uns zuerst etwas über die Geschichte des Tequila Express Zuges und geht dann zu ernsteren Sachen über, nämlich den Spielregeln. In Kurzform heisst das, dass man keine sturzbetrunkenen Fahrgäste an Bord haben will und auch keine allzu unanständige Wörter hören will, denn die ganze Sache sei eben auch für Familien gedacht. Endlich geht es zur Erleichterung der Gruppe aus Colima zu den Drinks über. Neben den diversen "New Mix" 5% alkoholhaltigen Getränken wie Paloma und Margarita von Herradura, die mit Tequila Jimador hergestellt werden, gibt es natürlich Tequila, einen Herradura und Jimador. Dazu wird uns in einer Plastikbox ein Sandwich serviert und eine Dose Guava Nektar, nach deren Konsum man schon 46% seines täglichen Zuckergehaltes intus hat. Da halten wir uns doch lieber an den Tequila! Die Mariachi Gruppe von der Bahnstation zieht auch durch die Waggons und unterhält die Gäste mit einigen Liedern, wobei wir vom Sänger absolut unbeeindruckt sind.



Endlich erreicht der Zug den kleinen Banhof von Amatitan, wo schon Busse auf uns warten. Wir werden aufgefordert, gruppenweise den Zug zu verlassen und geordnet in die jedem Waggon zugeordneten Busse einzusteigen. Ueber kleine Gassen holpern die Busse dann zum Haupteingang von Tequila Herradura in Amatitan. Eines muss man den Organisatoren lassen: in jedem der fünf Waggons sitzen durchschnittlich 60 Personen, die alle problemlos und ohne Nadelöhr in die Busse verladen werden und jetzt in Gruppen durch die Anlage geschleust werden, ohne sich jemals wirklich in die Quere zu kommen. Jeder Gruppe wird ein Führer mit Megafon zugeteilt, der als erstes fragt, welches denn der beste Tequila sei. Da liegt er bei uns genau richtig und wir rufen wahrheitsgetreu "Siete Leguas" und bekommen prompt Applaus und Unterstützung von anderen Teilnehmern und ein betretenes Gesicht vom Führer. Im Eingangsbereich von Herradura kommt man an kleinen bunten Reihenhäuschen vorbei, in denen immer noch Angestellte der Fabrik wohnen. Dann kommen wir zu Felix dem Jimador. Er zeigt, wie von den Agaven die Blätter mit der Coa weggehackt werden und die Herzen auseinandergeschnitten werden. Natürlich sollen auch Leute aus dem Publikum mal Hand anlegen dürfen und so ruft er ein Paar aus der vordersten Reihe zu sich. Plötzlich kniet sich der Mann nieder und per Megafon erklärt Felix, dass es sich hierbei um einen Heiratsantrag handelt. Ueberraschung, Ueberraschung, dies gibt es nicht nur am amerikanischen TV, sondern auch in Mexiko. Der junge Mann stottert verlegen vor sich hin, die junge Frau wird knallrot und sagt zur grossen Erleichterung aller "JAAAAAA!!!!!" und weiter geht's im Text. Bald schon fällt die Gruppe aus Colima auf, nicht nur weil sie alle mit T-Shirts im Eigendesign bekleidet sind und die meisten von ihnen übergewichtig sind, sondern weil sie andauernd und überall Selfies machen. Dazu haben einige Frauen der Gruppe kleine Stöckchen dabei, an denen sie dann die Telefone befestigen, die Stöckchen weit von sich in die Luft strecken und dann möglichst blöd in die Kameras grinsen. Anfangs amüsiert man sich noch darüber, doch bald wird die Knipserei etwas lästig und man fragt sich, wer diese ganzen Bilder dann auf Facebook oder Twitter oder Instagram alles bewundern soll.



Immer wenn sich die nächste Gruppe nähert, wird der Führer per Handzeichen dazu aufgefordert, seinen Satz schnell zu beenden und zur nächsten Station zu pilgern. Bei den Oefen und den Fermentationstanks halten wir erneut. Unglaublich, die Anzahl Oefen, in denen die Agavenherzen gedämpft werden. Ebenso unglaublich die Anzahl Tanks, in denen die Fermentation stattfindet. Und dann wollen einem die Leute von Herradura weismachen, dass hier alles "ganz natürlich" abläuft und für die Fermentierung ausschliesslich natürliche Hefe verwendet wird. Hefe nämlich, die in der Luft vorhanden ist. Deshalb gibt es auf dem Gelände so viele Fruchtbäume und deshalb setzt sich an den Gebäuden eine schwarze Schicht ab, wird uns erklärt. Uns erscheint die alles "ganz-natürlich-Theorie" eher eine gute Marketingstrategie zu sein als Realität, v.a. wenn man die enorme Grösse der Fabrik und die Mengen an Tequila bedenkt, die hier täglich produziert werden. Um eine Erkenntnis von unserem Siete Leguas Besuch vorwegzunehmen, wollen wir kurz auf die natürliche Hefe eingehen. Bei Siete Leguas nämlich stellten wir die Frage nach der natürlichen Hefe und ob das bei den Mengen Tequila, die bei Herradura produziert werden, überhaupt möglich sei. Die schwarze Schicht an den Gebäuden ist laut Gesetz verboten, denn es könnte sich um schädliche Pilze handeln. Auf die Hefe angesprochen, meint der Verwantwortliche bei Siete Leguas, dass wir nicht die ersten Besucher mit ebendieser Frage seien. Besitzer einer Tequila Fabrik aus Arandas wollten es bei einem Besuch bei Herradura etwas genauer wissen und so wurde ihnen erklärt, dass man quasi in einem kleinen Tank eine Hefemutter ansetze, ein Prozess der ganz natürlich von sich geht. Diese Mutter werde dann den riesigen Tanks zugesetzt, was streng genommen aber schon eine Manipulation ist. Die Fermentation in solch riesigen Tanks würde viel zu lange dauern, wenn man sich einfach auf die Natur verlassen wollte und wäre im Falle einer Firma wie Herradura oder Cuervo kostentechnisch völlig unsinnig. Nach der Theorie bei den Fermentationstanks kommen wir als nächstes an einem kleinen Tisch vorbei, wo wir nochmals zu einer Degustation eingeladen werden. Lupita probiert eine Margarita von New Mix, die allerdings extrem künstlich schmeckt. Wir halten uns lieber an Tequila pur und Wasser. Die nächste Attraktion sind der Esel Cuco und sein Wärter Pedro, mit denen man sich fotografieren lassen kann. Dann passieren wir das Gebäude, wo die Destillation stattfindet und der fermentierte Agavensaft erst wirklich zum Tequila wird. Danach folgt die alte Fabrik, was für uns eigentlich der spannendste Teil ist. Im Halbdunkeln geht man durch düstere Steinhallen, in den Boden sind Löcher eingebracht mit unterirdischen Tanks, die rostige Maschinerie ist noch vorhanden und es riecht etwas modrig. Zum Schluss kommen wir in einen Keller, wo der Tequila in Fässern gelagert ist, oder wenigstens ein kleiner Teil davon. Viele der Fässer sind dicht bekritzelt mit Namen und Daten und auch von unserer Gruppe verewigen sich einige Teilnehmer auf einem der Fässer.



Nachdem wir nun also alle wissen, wie Tequila hergestellt wird und zigmal gehört haben, dass Herradura der beste Tequila überhaupt ist, geht es zum gemütlichen Teil des Tages über. Wir sind die zweitletzte Gruppe, die ans Buffet gelassen wird. Auch hier muss nochmals erwähnt werden, dass die Organisation nichts zu wünschen übrig lässt. Um mehr als 300 Personen ohne Probleme an einem Buffet vorbeidefilieren zu lassen, muss man sich schon einiges überlegt haben. Es funktioniert alles perfekt und es gibt keine Wartezeit am Buffet und die Schalen sind immer voll. Die zweite Ueberraschung ist, dass das Essen am Buffet durchaus sehr gut schmeckt! Man kann sich einen Teller mit Mole, Fajitas, Kartoffeln mit Chorizo und/oder grüne Peperoni in Sauce füllen lassen oder diese Zutaten in Tacos serviert bekommen. Oder es gibt einen erstaunlich guten Pozole, ein reichhaltiges Salatbuffet, und natürlich dürfen auch die scharfen Salsas nicht fehlen. Zusammen mit zwei anderen Familien sitzen wir an einem Tisch gleich neben der Bühne. Dieter ist ganz begeistert von Jean-Marc's Organisationstalent, obwohl es purer Zufall ist, dass wir genau hier hingesetzt werden. Bald erklingen im Hintergrund ominöse Trompetenklänge aus einer Riesenmuschel und spärlich bekleidete, gutaussehende Männer und Frauen führen einen Tanz zu Ehren von Mayahuel, der Göttin der Agavenpflanzen, auf. Danach geht die Folklore weiter mit Mariachi und Tänzen, doch leider ist die Lautstärke so übertrieben, dass wir uns bald hinter das Gebäude verziehen. Zuerst schlendern wir entlang der verschiedenen Stände, um uns die Souvenirs anzusehen. Dann werfen wir einen kurzen Blick in den Laden von Herradura, wo man den teuren Tequila kaufen kann, den sie einem nie zu degustieren geben, und schliesslich legen wir uns unter einem Baum ins Gras und halten eine kleine Siesta ab.



Bald schon erscheinen die Busse wieder, die uns geordnet zurück zum Bahnhof von Amatitan fahren. Die Tequila Fans aus Colima, gut genährt und etwas "gekäppelet" (=angesäuselt), kommen schon im Bus richtig in Fahrt und zwei Frauen ohne männliche Begleitung machen sich an die jungen Mariachimusiker heran, wobei einige Wörter fallen, die unser Animator bestimmt nicht gerne gehört hätte. Wieder im Waggon sind wir froh, dass die Colima-Gruppe ganz am anderen Ende sitzt, denn das Gegröle ist jetzt schon eher unerträglich. Ausserdem werden jetzt nochmals eine Runde Tequila und Mixgetränke offeriert, dem die wenigsten wirklich widerstehen können, schliesslich haben wir ja alle einen ziemlich stolzen Preis bezahlt und wollen dafür auch möglichst viel bekommen. Auf dem Bahnhof in Guadalajara läuft dann noch eine dieser Szenen ab, vor denen man sich graut. Eine ältere Dame mit nicht wenigen Kilos zuviel auf den Rippen, hat dem Tequila und den Mixgetränken über ihren Verstand hinaus zugesprochen und ist komplett besoffen. Nun machen sich die Männer der Colima Gruppe an sie heran und fordern sie auf, ihre Hüften zum Gejohle alle zu schwingen und sowas wie twerking zu veranstalten, was mehr als peinlich ist.



Als wir in Guadalajara dann unser Auto wieder haben, fahren wir alle zu Jean-Marc nach Hause und trinken den besten Tequila der Welt: Siete Leguas. Und zwei Tage später kommt Dieter mit Jean-Marc und Lupita zu Besuch, um in Atotonilco nochmals die Fabrik von Siete Leguas zu besichtigen, doch davon werden wir im nächsten Bericht erzählen.



Januar 2015



Julia Etter & Martin Kristen