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Kuba IV: Flora I



In unserer kurzen Einführung zu Kuba haben wir ja schon etwas zur Flora geschrieben, v.a. dass wir unsere Lieblingspflanzen, deretwegen wir nach Kuba flogen, (fast) durchwegs gross und grün angetroffen haben. Und uns wirklich nicht sicher waren, dass alle zusammen "gute" Arten sind. Hier also zuerst einmal eine Liste der 16 anerkannten Agavenarten, inklusive Unterarten: Agave acicularis, A. albescens, A. anomala, A. brittoniana ssp. brittoniana, A. brittoniana ssp. brachyphus, A. brittonia ssp. sancti-spirituensis, A. cajalbanensis, A. grisea, A. jarucoensis, A. legrelliana, A. papyrocarpa ssp. papyrocarpa, A. papyrocarpa ssp. macrocarpa, A. tubulata, (A. tubulata ssp. brevituba ist ein Synonym), A. shaferi, A. underwoodii, und A. willdingii (in Kuba vermutet). Zu den Agavaceen gehören ausserdem noch Furcraea antillana, F. hexapetala, F. macrophylla und F. tuberosa. Die Liste der Melokakteen, deretwegen Jean-Marc nach Kuba wollte, ist - je nachdem ob man ein "Splitter" (aus dem englischen to split = aufteilen), oder ein "Lumper" (to lump = zusammentun) ist - länger oder kürzer. Ausserdem wollten wir unbedingt zwei endemische Pflanzen sehen, nämlich Microcycas calocoma, ein Palmfarn, und Dracaena cubensis, ein Drachenbaum. Die meisten Agavenarten wurden 1913 von Trelease beschrieben, entweder anhand von Herbarmaterial früherer Sammler oder basierend auf Notizen und Fotografien seines Besuchs in Kuba 1907. Trelease's Agaven-Taxonomie ist laut Gentry teils genial und generell ungehemmt, wenn es darum ging, neue Arten zu beschreiben. Die meisten der kubanischen Agaven, die Trelease beschrieb, haben denn auch mindestens ein Synonym oder sind selber ein Synonym geworden. Der kubanische Botaniker Alberto Alvarez de Zayas beschrieb weitere Arten, wird aber wahrscheinlich eher in die Agavengeschichtsbücher eingehen, weil er zig Unterarten beschrieb, die unserer Meinung nach gerne vernachlässigt werden können, was uns zu "Lumpern" macht.



In Kuba gibt es ungefähr 3000 endemische Pflanzenarten, 53% der gesamten Flora, d.h. diese 3000 Arten kommen nirgendwo sonst auf der Welt vor. Kuba ist eine der vier artenreichsten Inseln weltweit mit ungefähr 7500 Blütenpflanzen, was mehr als der Hälfte aller Arten der ganzen Karibik entspricht. Die bemerkenswertesten endemischen Pflanzen sind Pinguicula lignicola (weltweit die einzige fleischfressende epiphytische Pflanze), die obenerwähnte Korkpalme Microcycas calocoma, Colpothrinax wrightii, eine Palme, die in der Mitte des Stammes sowas wie einen dicken Bauch formt, eine kubanische Magnolia (Magnolia cubensis), ein kubanischer Drachenbaum (Dracaena cubensis), eine kubanische Pinie (Pinus cubensis) und Melocactus matanzanus. Und dann noch viele mehr, was den Rahmen dieses Reiseberichtes sprengen und die geneigte Leserschaft langweilen würde.



Unser erklärtes Ziel ist es, alle kubanischen Agaven zu besuchen, was sich natürlich als nicht verwirklichbar herausstellt. Erstens fehlt uns die Zeit dazu, zweitens wächst eine Art plus Unterart auf einer Insel, und drittens ist unser chinesisches Mietauto mit vier Insassen und deren Gepäck nicht das geeignete Gefährt, um kubanische Pisten zu befahren. Die normalen Strassen setzen dem Auto schon genügend zu, und die wenigen Pisten, die wir befahren, sind doch eher für Pferdegespanne und Ochsenkarren geeignet.



Als erstes besuchen wir Agave tubulata in der Gegend von Viñales, u.a. entlang einer Piste, die uns am Mural de la Prehistoria vorbei über Dos Hermanas wieder an die Hauptstrasse führt. Dieselben grossen und grünen Pflanzen sehen wir auch unerreichbar hoch in den Felswänden oberhalb einer Höhle, wo es viele weitere interessante Pflanzen gibt. Gegenüber steigen wir durch ein Feld, um bessere Fotos zu schiessen, werden jedoch von einem kräftigen Regenguss überrascht. Später fahren wir nach Valle Ancon und finden tatsächlich mehr Pflanzen, die gleich neben der Strasse im Gebüsch wachsen, doch auch hier sind sie einfach gross und grün. Auf dem Rückweg zu unserer Casa werden wir von einem extrem heftigen Gewitter überrascht, das die Strassen überschwemmt und uns vor der Casa im Auto warten lässt, bis das Schlimmste vorbei ist. Wasserbäche fliessen die Strasse entlang nach unten in den Bach, der sich innert Minuten in einen braunen reissenden Fluss verwandelt hat, dessen Wassermassen die Brücke küssen. Der Strom ist ausgefallen, oder wie uns die Casa Besitzer sagen, er wurde sicherheitshalber vorher abgestellt, damit kein Schaden an den Installationen entstehen kann. Viñales ist berühmt für die Mogotes und ein beliebtes Reiseziel bei jungen Rucksacktouristen in Flipflops, Shorts und Bikini. Nach zwei Tagen haben wir genug vom Rummel und fahren über Pons und Sumidero auf einer kleinen Landstrasse durch eine wunderbare Mogote-Landschaft nach Guane. In Guane finden wir an der grossen Strassenkreuzung ein lokales Restaurant, wo es Kaffee gibt. Für einen kubanischen Peso bekommt man ein kleines Glas, das einen Schluck zuckersüssen, starken Kaffee enthält.



Unsere nächste Agave ist A. grisea, auch ziemlich gross und grün, doch es gibt auch bläuliche Exemplare und v.a. ist der Standort direkt am Meer wunderschön. Von Cienfuegos fahren wir vorbei am nie fertiggestellten Atomkraftwerk Jaragua nach Castillo de Jagua. Das Schloss sieht beeindruckend aus mit seinen dicken Mauern, doch eigentlich wollen wir ja Agaven sehen. Wir fragen uns zum Caleton Don Bruno durch, was viel Zeit und Geduld braucht, und landen schliesslich vor dem Eingang einer Universität, wo wir glücklicherweise ein altes Ehepaar finden, das uns gerne zum Caleton führt. Die beiden führen uns auf einem kleinen Pfad durch dichtes Gebüsch bis an eine Bucht mit wunderbar blaugrünem, kristallklarem Wasser. Die Agaven, die wir im Gebüsch antreffen, sind grün und vergeilt, doch gleich am Abbruch ins Meer stehen wunderschöne grosse Exemplare, die von dunkelgrün bis graublau reichen. Auf dem Rückweg nach Cienfuegos stoppen wir für Agave sisalana Plantagen, wo tatsächlich noch Blätter für Sisalfasern geerntet werden. Hinter Cienfuegos besuchen wir den botanischen Garten, der eher einer Wildnis als einem gepflegten Garten gleicht, doch ein morgendlicher Spaziergang unter den vielen Palmen (es soll hier 280 Arten geben) und anderen tropischen Bäumen ist märchenhaft. Beim Parkplatz und dem kleinen Restaurant bestaunen wir blühende Orchideen, nur das Kakteenhaus ist gerade im Umbau.



Wir nehmen die Küstenstrasse vorbei an Mangoplantagen nach Trinidad. An der grossen Brücke über den Rio San Juan stoppen wir, doch auch beim besten Willen können wir keine Agaven entdecken. Im kleinen Dorf versichern wir uns, dass es sich hier wirklich um den Rio San Juan handelt. Kaum haben wir angehalten kommen auch schon ein paar Kinder angerannt und fragen uns nach Bleistiften, Baseballmützen, oder einfach irgendetwas. Einem der Buben kaufen wir dafür ein Büschel interessant aussehender Früchte ab (Guaya = Melicoccus bijugatus). Also zurück zur Brücke, wo Martin auf einer kleinen Piste etwas ins Land hinein wandert und pfeift. Wir folgen und kommen zu einem riesigen Ficusbaum, in dessen Wurzelwerk die ersten Agave acicularis wachsen. In den Felsen weiter oben sehen wir noch mehr Pflanzen und so beginnt eine mühsame Kletterei, denn das Terrain ist extrem steil und rutschig und die Felsbrocken bewegen sich, kaum hat man einen Fuss darauf gesetzt. A. acicularis würden wir ebenfalls in die Kategorie "gross und grün" einsortieren, das schönste ist die Flusslandschaft mit den kubanischen Königspalmen und die kreischenden Papageien. Also weiter nach Trinidad, wo wir am Eingang zum Städtchen schon die nächste Agave, A. brittoniana, fotografieren können. Trinidad ist ein beliebtes Touristenziel und sieht wie ein kubanisches Freilichtmuseum aus, in dem richtige Menschen wohnen. Kopfsteinpflaster Strassen und Gassen, ein autofreies Zentrum, bunte Häuser mit Balkonen und Terrassen, morgens Hufgetrappel in den Gassen, ein Platzregen am Nachmittag, das Nachtessen im ersten Restaurant unmöglich, weil das Gas ausgegangen ist.



Von Trinidad fahren wir über die Berge durch den Nationalpark Topes de Collantes mit seinem Escambray Kurhotel, einem achtstöckigen, grotesken Monster à la Stalin, nach Manacal. Kaum verlassen wir die Küstenebene klettert die Strasse in abenteuerlichen Steigungen in die Berge hinauf und es eröffnen sich grandiose Sichten auf die Küste. Unser chinesisches Mietauto mit vier Insassen und Gepäck kann viele der Steigungen nur noch im ersten Gang bewältigen. Hier gedeiht Agave brittoniana ssp. brittoniana, eine weitere Art der Kategorie "grün und gross". Teils wachsen die Pflanzen so dicht entlang der Strasse, dass es kein Durchkommen gibt, falls man sich überhaupt ins dichte Gebüsch wagen will. Was ich natürlich nicht unterlassen kann und prompt mit "Guau" in Kontakt komme. "Guau", im englischen auch "Black Poisonwood Tree" genannt, übersetzt ungefähr schwarzer Giftholz Baum, heisst auf lateinisch Metopium brownei und gehört in die Familie Anacardiaceae. Der Baum sondert einen Saft ab, der als schwarze Stellen am Stamm zu sehen ist. Berührung mit diesem Saft produziert bei vielen Leuten, u.a. bei mir (Julia), heftige allergische Reaktionen und nach diesem Ausflug ins Gebüsch entwickeln sich auf meiner Haut kleine Bläschen, in meinem Fall zwischen den Fingern und auf dem Handrücken, und hinten im unteren Teil des Rückens. Wenn man kratzt, platzen die Bläschen und Flüssigkeit kommt heraus, die, kaum in Kontakt mit Haut, auch an diesen Stellen neue Bläschen produziert. An der Hand kann ich mich beherrschen, doch im Rücken reibt automatisch der Autositz an meiner Haut und die Bläschen vermehren sich immer weiter. Es gibt anscheinend "Guau de montaña" und "Guau de costa", die Kubaner sagen, dass man auch allergische Reaktionen haben kann, wenn man nur im Schatten eines Baumes gestanden ist. Anscheinend gibt es sogar Kubaner, die sich damit tätowieren! Leider hören wir erst später, dass Bursera simaruba dort vorkommt, wo Metopium wächst. Der Saft der Bursera wird als Gegenmittel benützt und lindert Hautausschläge, Sticher und Verbrennungen. Aber zurück zur angenehmen Flora. Weiter oben, nahe dem Kurhotel, fotografieren wir Furcraea antillana und eine grüne Eidechse auf einem der Furcraea-Blätter. Immer wieder bieten sich spektakuläre Ausblicke in den grünen Dschungel, so z.B. bei einem Aussichtspunkt über den Hanabanilla Stausee. Bei Jibacoa kommt endlich Jean-Marc zum Zug. Hier wächst Melocactus perezassoi, für die Lumper ein hundskommuner Melocactus harlowii (oder auch M. harlowii ssp. perezassoi). Die Pflanzen sind am besten mit dem Fernglas bei einer Höhle zu sehen, oder mit einem starken Teleobjektiv zu fotografieren. Wir erreichen Manicaragua und nehmen unsere erste (und letzte) Querspange, also eine Abkürzung, die auf unserem kubanischen Strassenatlas sehr dick eingezeichnet ist. Fomento ist unser Ziel, doch die Kilometer ziehen sich dahin und die gute gelbe Strasse stellt sich als schlechte Piste geeignet für Eselskarren, russische LKW's aus dem letzten Jahrhundert und Fahrräder heraus, aber sicher nicht für ein chinesisches Mietauto. Mit Mühe und Not erreichen wir Fomento und eine asphaltierte Strasse. Kaum haben wir Asphalt erreicht, biegen wir schon wieder in die Felder ab und fahren zu einem Stausee, um Melocactus guitartii, ein Synonym von M. curvispinus, zu fotografieren.



Weiter im Text geht es über Sancti Spiritus, Camagüey, Las Tunas, Bayamo und Manzanillo nach Pilón. Natürlich nicht in einem Tag, denn auf Kuba gibt es nicht sonderlich viele Autobahnen und die grossen Strassen müssen v.a. in der Nähe von Dörfern und Städtchen mit vielen anderen Verkehrsteilnehmern wie Fahrrädern, Ochsenkarren, Pferdegespannen, Traktoren und natürlich Fussgängern geteilt werden, was teils zu Verkehrsstau führt - aber nicht etwa, weil es zuviele Autos hätte! Immer wieder stehen "botellas" (Flaschen) an der Strasse, Kubaner, die gerne eine Mitfahrgelegenheit möchten. Zuckerrohrfelder und Bananenplantagen wechseln sich ab, dazwischen bieten verschiedene Palmenarten, aber v.a. die kubanische Königspalme Abwechslung. Ab und zu kommen wir durch einen "Punto de Control", wo genau einmal meine Papiere kontrolliert werden. Die Polizeiautos haben oben auf dem Dach ein riesiges Blaulicht und sehen aus wie aus einem Monsieur Hulot, Inspektor Cluzot oder Louis de Funès Film. Wir passieren kleine Ortschaften mit bunten Häusern und ab und zu sowas wie überdimensionale Taubenschläge in Form von Hochhäusern. Es sind architektonische Verbrechen aus der Sowjetzeit, die Gebäude sehen grau und traurig aus, sind komplett heruntergekommen, die einzige Farbe ist die bunte, zum Trocknen aufgehängte Wäsche, an der man auch erkennt, dass einige dieser Wohnungen doch noch bewohnt sind. Interessanterweise stehen diese Gebäude oft mitten in der einsamen Landschaft, weit entfernt von der nächsten Siedlung, und man wundert sich, was die Bewohner arbeiten. Entlang der kurvenreichen Strasse runter nach Pilón stoppen wir für Agave underwoodii, ebenfalls gross und grün und ziemlich dicht wachsend im Gebüsch. Die Küstenstrasse von Pilón nach Santiago de Cuba ist ein Erlebnis. Der Asphalt hört kurz hinter Pilón auf und wir fahren auf einer mehr oder weniger schlechten Piste bis nach Uvero. Teils trennen uns nur ein paar riesige Felsblöcke vom Meer; ein Tunnel ist verschüttet und die Piste klettert in die Höhe, um das Hindernis zu umgehen; eine lange Brücke ist eingeknickt, d.h. im hinteren Teil eingebrochen, was man aber erst so wirklich sieht, wenn man schon drübergefahren ist. Wir kommen also nicht nur wegen der Pflanzen sehr langsam vorwärts. Die Agave underwoodii in offenem Gelände sind tolle, grosse und grüne Pflanzen, einige blühen noch, andere tragen schon Bulbillen. Jean-Marc ist begeistert von seinem Melocactus nagyi, der laut den Lumpern nur ein Synonym von M. harlowii ist. Wir stoppen aber nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Steine. Z.B. kugelrunde Steine in Grün- und Grautönen mit dunklen Punkten. Oder angeschwemmte Korallen. Alles wird irgendwie im Mietauto verstaut, um später aussortiert zu werden. In Chivirico finden wir endlich ein Restaurant, wo es etwas zu essen gibt. Es ist gleichzeitig ein Campingplatz, natürlich alles staatlich. Wir bekommen einmal frittierten Fisch und einmal frittiertes Schweinefleisch und lauwarmes Bier, das ist so ungefähr alles, was es hier gibt. Der Kaffee ist im Menu inbegriffen, es ist aber nicht richtiger Kaffee, sondern aus "chicharo" (Erbsen) gemacht und ziemlich bitter. Deshalb wird wahrscheinlich soviel Zucker hineingeschmissen. Die Bedienung verdient 10 CUC im Monat und ein Paar ihrer schwarzen Strümpfe, die sie bei dieser Hitze (gemäss staatlichem Befehl von oben) tragen muss, kostet 4 CUC.



August 2016



Julia Etter & Martin Kristen