travelog 15



Lobster & Co.



Unser Campingplatz für die nächsten Tage sieht auf den ersten Blick einsam und verlassen aus. Kein Dorf in Sicht, keine Fischerhütte, keine anderen Camper. Nur Möwen, blühende Dudleyen, Wind und der blaue Pazifik mit weissen Schaumkrönchen. Doch der nächste Morgen belehrt uns eines Besseren: der erste Besucher ist mit seinem Golfschläger unterwegs, umrundet unser Fahrzeug neugierig und verschwindet danach wieder hinter einer Klippe.



Die nächsten Besucher sind hartnäckiger. Nach der Umrundung des Fahrzeuges lassen sie sich auf den Felsen nieder und genehmigen sich ein Bierchen (deren Flaschen, kaum geleert, sie gleich auch nach einheimischer Manier "entsorgen" - sie werden einfach da fallengelassen, wo man steht). Bald werden sie ungeduldig und fangen an, sich lautstark bemerkbar zu machen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ihren Fragen zu stellen. Es stellt sich heraus, dass die beiden einheimische Fischer sind, José und Chaparro. Nach einer netten Plauderstunde verschwindet Martin mit ihnen. Eigentlich will er nur schnell frischen Fisch bei Chaparros Hütte holen gehen, doch die drei erscheinen erst nach drei Stunden wieder.



Stolz präsentieren sie mir ihren Fang: 3 frische kleine Fische, 2 Kraken (Pulpos) und eine Baby-Langosta.







Pulpos sind recht einfach zu fangen - wenn man weiss, wie ! Chaparro hat da langjährige Erfahrung. Da gerade Ebbe herrscht und die Felsen des Küstenriffs vor seiner Haustür trocken liegen, klettert er darauf herum und linst immer wieder da und dort unter überhängende Felspartien an der Wasseroberfläche. Die darunter liegenden Höhlungen werden bevorzugt bei Ebbe von Pulpos bewohnt, erklärt er. Schon hat er Fangarme entdeckt, spritzt etwas Javel-Wasser unter den Felsen und wartet geduldig. Da ein Pulpo diesen Geschmack nicht sonderlich mag, kriecht er bald aus seinem Versteck. Die elegante Bewegung mit der sich das Tier aus seinem Versteck gleichsam "herausrollt" ist eindrucksvoll. Nun packt Chaparro mutig zu, die Fangarme schlingen sich um seine fest geschlossene Hand und seinen sehnigen Unterarm. Er hat sichtlich Mühe, das kämpfende Tier unter seine Kontrolle zu bringen. Mit einigen schnellen Griffen dreht er das Innere des sackähnlichen Pulpokörpers nach aussen und lähmt damit das Tier. Anschliessend schlägt er den sich noch windenden Pulpo mehrmals kräftig auf einen Felsen und tötet ihn damit. Danach wird er im Meerwasser gereinigt und von ein paar Innereien befreit. So fängt Chaparro zwei Pulpos und ertastet dann noch eine kleine Langosta unter einem grossen Seegrasbüschel in der Uferdünung. Martin will ihn davon überzeugen, das arme Tier wieder ins Wasser zu entlassen, doch die beiden wollen ihren Fang unbedingt der Señora als Geschenk mitbringen.



Der Deal läuft nun folgendermassen: wir bekommen die Zutaten für das Mittagessen gratis und dafür wird in unserer Küche gekocht. José und Chaparro schnipseln draussen Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch, ich kämpfe mit den beiden Tintenfischen und der kleinen Languste, die partout nicht in den Kochtopf wandern will. Die Fische werden nur kurz in der Bratpfanne angebraten und mit viel Limesaft und Olivenöl serviert. Wir setzen uns alle draussen an die Sonne und trinken Wasser - Martin hat den beiden gestanden, dass wir keinen Alkohol trinken... (sonst wären wohl unsere Weinvorräte schnellstens den Jordan hinunter gegangen !). Das Essen schmeckt auch ohne ein Gläschen Wein köstlich, die Umgebung ist fantastisch und die Gesellschaft unterhaltsam. José und Chaparro gefällt es so gut, dass sie uns fast nicht mehr verlassen wollen.



Am nächsten Tag warten wir vergebens auf Chaparro, der uns Langusten vorbeibringen wollte. Also machen wir uns auf die Suche nach seinem Haus und finden ihn dort. Er ist schon etwas zittrig, weil ihm sein 90%-iger Alkohol (normalerweise desinfiziert man damit Wunden) ausgegangen ist. Ausserdem hat er die Ebbe mitten in der Nacht verschlafen und muss nun seinen Besuch (und Alkoholkauf) in der "Stadt" etwas verschieben.



Wir nehmen all unsere Kaffeeutensilien aus dem Unimog zu seiner Hütte mit, Chaparros Behausung ist definitiv nicht für Besuch eingerichtet. Seine Hütte besteht aus zwei kleinen Räumen, zusammen nicht grösser als 20 m2. In der Küche hängen zwei angeschlagene Tassen, ein Plastikteller und verbogenes Besteck. Chaparro kocht auf einem Grill, der auf einem kleinen Tisch aufgebaut ist, alles Marke home made, alles im Zustand des Zerfalls. Im Schlafzimmer steht ein Bett und ein Nachttischchen mit drei zerfledderten Comic-Heftchen. Er besitzt eine Wolldecke, einen zerschlissenen wet suit und die Kleider, die er auf dem Leibe trägt. Ernähren tut er sich (und seinen Hund) von Fisch, Pulpo, Muscheln, Seeigeln und Langusten, immer abhängig vom Jagdglück. Ab und zu verdient er etwas Geld, indem er Langusten an Touristen verkauft oder sie nach El Rosario schmuggelt, wo er sie an ein Restaurant verkauft. Nun ist er natürlich ganz nervös, weil sein heutiger Fang aus den drei Reusen ihm erlaubt, wieder Alkohol zu kaufen.



Als die Ebbe genügend niedrig ist, steigt der kleine Chaparro ins kalte Wasser und macht sich auf die Suche nach seinen Reusen. Die ersten beiden sind leer, bei der dritten winkt er aufgeregt, hier hinein haben sich drei Langusten verirrt. Vor seiner Hütte wird der Fang natürlich festgehalten und wir bezahlen ihm 90 Pesos (ca. 14 sFr.) für die Tiere und verstauen sie in unserem Kühlschrank.



Die Fahrt auf der Transpeninsular ist nicht gerade entspannend, wir hoffen beide, dass die Federales auf dieser Strecke keine Kontrolle aufgebaut haben. Zur falschen Zeit (erst später haben wir festgestellt, dass es gar keine verbotene Zeit war !) mit lebendigen Langusten angetroffen zu werden ist gleichbedeutend mit $600 Busse pro Tier - Mexikaner wandern dazu meistens noch hinter Gitter. Doch wir haben Glück und erreichen einen schönen Lagerplatz am Pazifik, ohne angehalten zu werden. Draussen können wir Grauwale beobachten, die auf ihrem Weg nach Alaska sind. Unsere drei Langusten krabbeln nun in der Küchenspüle herum und Martin hat ihnen schon Namen gegeben. Ich befürchte langsam, dass wir sie schlussendlich doch wieder in den Pazifik entlassen müssen...



Doch so weit soll es nicht kommen. Wir nehmen unseren grössten Kochtopf und erhitzen das Wasser. Nun kommt der schrecklichste Moment des ganzen folgenden Essvergnügens, die Langusten werden lebendigen Leibes ins kochende Wasser versenkt. All die Schauergeschichten von Heulen und Weinen bewahrheiten sich nicht, die Langusten geben keinen Mucks von sich ! Wir verzehren sie mit unserer letzten Flasche Champagner, viel Limesaft und flüssiger Butter. Aus dem Plan, die dritte Languste am nächsten Tag zu einem feinen Aperitif zu verarbeiten, wird nichts. Das Fleisch schmeckt so köstlich, dass wir problemlos alle drei Tiere verköstigen. Zurück bleiben nur die Schalen für die Geier, Raben und Coyoten. Und unser Entschluss, die Fischer von Punta Banda wieder zu besuchen, diesmal mit Bohnen, Brot, Milch und T-Shirts als Mitbringsel, steht endgültig fest.













Mai 1999



Julia Etter & Martin Kristen