travelog 16



Ein Paradies für Camper



Wenn es nach den unzähligen guten Ratschlägen von besorgten Amerikanern gegangen wäre, hätten wir unseren Baja-Aufenthalt auf mehr oder (meistens) weniger gut ausgerüsteten Campingplätzen verbracht. Wahrscheinlich hätten wir uns dann auch gar nie über die mexikanische Grenze wagen dürfen. Doch diese Angst vor den vielen Gaunern und Strauchdieben hat auch sein Gutes: die Leute bleiben entweder in den USA oder, wenn sie sich denn doch ins gefährliche Mexiko wagen, verbringen ihre Zeit entlang der wenigen asphaltierten Strassen und in grösseren Touristenansammlungen. Wir haben dafür dann die ganze restliche Baja (und das ist eigentlich der grösste Teil dieser "Halbinsel") fast für uns alleine.



Kaum bewegt man sich vom Asphalt weg und erkundet das Landesinnere, die zerklüfteten Berge, Palmencanyons, Kakteenwüsten oder einsamen Sand- und Muschelstrände, findet wohl jeder ein Plätzchen, das ihm zusagt. Normalerweise schert sich keine Menschenseele darum, wer wo campiert. Man wird höchstens eingeladen, auf einem kleinen Hof zwischen Ziegen und Hühnern zu gastieren, weil sich die Pächter des Farmlandes kaum vorstellen können, dass man der "Zivilisation" die Einsamkeit zwischen den Kakteen vorzieht. Nur an den bekannten Stränden kostet einen die Übernachtung eine Kleinigkeit. Dafür darf man dann aber stinkende Toiletten oder eine erstaunlich saubere Süsswasserdusche benützen. Und wenn der Geldeintreiber gerade mal andere Pläne für den Tag oder die Woche hat, dann steht man auch am Strand umsonst.



Besonders beliebt ist die Gegend rund um Cataviña, wo man sich auf 'zig kleinen Sandpisten den schönsten Lagerplatz zwischen grossen roten Steinbrocken, Säulenkakteen (Pachycereus pringlei), "Telegrafenmasten" (Idria columnaris bzw. Fouquieria columnaris) und weiterem, meist dornigem "Kleingemüse" aussuchen kann. Während der Hauptreisezeit wird man vielleicht ab und zu auf andere Camper stossen, doch ab April hat man die ganze Gegend für sich alleine. Nachts heulen die Coyoten um die Wette und der Sternenhimmel glitzert und funkelt. An den Kakteenblüten laben sich Kolibris und andere farbige Vögel. Da immer ein steter Luftzug vom Pazifik her weht, lässt es sich hier trotz der teils immensen Hitze sehr gut aushalten.



Eine weitere sehr beliebte und bekannte Gegend ist die Bahía Concepción südlich von Mulegé. An den vielen kleinen Sandstränden verbringen die Snowbirds (ein liebevoller, wenn auch manchmal etwas despektierlich gemeinter Übername für amerikanische Rentner, die dem kalten Wetter Kontinental-Nordamerikas entgehen wollen) den Winter mit Baden, Schnorcheln, Spazieren, Kanufahren, Klatschen und Tratschen.



Von der Strasse her kann man sich den schönsten Strand aussuchen und entdeckt sogar vielleicht Bekannte, die schon dort campieren. In jedem Reiseführer sieht man die Bilder vom weissen Sand, dem türkisblauen Wasser und der karibisch anmutenden Palmengruppe (Playa Coyote). Was einem aber jeder Reiseführer verschweigt, ist, dass oft gleich hinter dem Strand die Transpeninsular verläuft, die Hauptverkehrsachse der Baja California. Zwar hält sich der Verkehr in Grenzen, doch die mexikanischen LKW's mit ihren kreischenden Retarder-Bremsen können einem ganz schön auf die Nerven gehen. Glücklicherweise fürchten sich die meisten (zu recht) davor, nachts auf den engen Strassen unterwegs zu sein ! Ebenso verschwiegen wird, dass sich an jedem Strand unweigerlich der Abfall türmt. Zwar wird er oft in alten Ölfässern gesammelt (Motto: wir tun was für die Erhaltung der Umwelt !), die dann aber gleich um die nächste Strassenbiegung über die Böschung in die Landschaft entleert werden. Doch auch hinter jedem Busch und unter fast jedem Stein sind volle Windeln, Dosen, Glasscherben, Pappteller, Turnschuhe, Chipstüten und sonstige Zivilisations-"Andenken" zu finden. Das Fressbare holen sich Coyoten, Raben und Truthahngeier, der Rest wird vom Wind in alle Richtungen verweht. Wir fragen uns ernsthaft, warum besonders auch Leute, die regelmässig wieder hierher zurückkommen (und das sind nicht nur Mexikaner), sowas tun.



Bei unserem ersten Besuch an der Playa Coyote sind wir zuerst fast alleine, am nächsten Morgen jedoch plötzlich von einer mexikanischen Zeltstadt eingekreist. Die Semana Santa hat begonnen und die Mexikaner verbringen ihren Osterurlaub mit der ganzen Grossfamilie am Strand. Nach drei Tagen, als dann auch noch ein Bierzelt von Corona aufgebaut wird und das Militär Einzug hält, um die feiernden Mexikaner unter Kontrolle zu behalten, wird uns der ganze Rummel zuviel und wir ziehen uns in die einsamen Berge zurück.



Beim zweiten Besuch aber präsentiert sich uns der Strand fast menschenleer. Wir ergattern den Logenplatz unter den Palmen, spannen die Hängematte, tafeln im Halbschatten, geniessen beim täglichen Badevergnügen das warme kristallklare Wasser und erkunden die umliegenden Hügel nach interessanten Pflanzen. Tag für Tag halten wir ein Schwätzchen mit den Souvenirverkäufern, die bald einsehen, dass wir in unserem Mobil keinen Platz für geschnitzte Scheusslichkeiten haben und auch mit T-Shirts schon eingedeckt sind. Jeden Tag kommt der Händler aus Mulegé vorbei und verkauft Trinkwasser, frisches Gemüse und Früchte, Brötchen und ab und zu sogar etwas Fisch oder Muscheln. Wenn man etwas dringend braucht, kann man es bei ihm auch bestellen; nur Bier darf er leider nicht mitbringen. Da wir wissen, dass am nächstgelegenen Strand ein paar Kilometer weiter Freunde von uns campieren, muss unser guter Mann auch ab und zu als Bote fungieren. So senden wir mal eine Nachricht, mal ein ausgelesenes deutsches Taschenbuch durch ihn rüber (etwas, was Langzeitreisende wie wir immer zu schätzen wissen: der Tausch von Lesestoff).



Im Sand kann man bei Ebbe gut nach kleinen Muscheln suchen (Butter Clams oder die etwas grösseren, braunen "Chocolates"), die dann für 24 Stunden gewässert werden und nachher mit etwas Weisswein, Zitronensaft, Zwiebeln und Knoblauch gekocht ein hervorragendes Nachtessen abgeben. Hier lässt es sich frei nach dem Motto von Freunden aus Arizona leben: "Life is tough !"



Juni 1999



Julia Etter & Martin Kristen