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Hart's Pass - the state's most terrifying road



Zitat Lonely Planet Reiseführer "Pacific Northwest": Nahe dem Ende der wahrscheinlich schrecklichsten Strasse im Staate Washington - einer einspurigen Piste mit langen tödlichen Abstürzen und ohne Leitplanken - befindet sich Hart's Pass (6197 feet), ein wahres Panorama... Halt Deinen Atem an und los geht's, die Ausblicke vom Gipfel sind Belohnung genug... !



Als ich im Lonely Planet Guide über den Pazifischen Nordwesten diese Beschreibung der Piste zum Hart's Pass gelesen habe, steht für mich sofort fest, dass wir diesen Ort besuchen müssen. Martin verschweige ich die schlimmsten Passagen aus dem Buch, ich will ihn nicht an seine unguten Gefühle gegenüber engen Strassen, steilen Felsen und schwindelerregenden Blicken in die Tiefe erinnern. Ausserdem kennen wir die Amerikaner mittlerweile ein bisschen besser und wissen um ihre Liebe zur Übertreibung. Als wir dann auf einem kleinen Campingplatz auch noch ein nettes Pärchen kennenlernen, das ihre Hochzeit wegen zuviel Schnee nicht auf dem Hart's Pass abhalten konnte, werden wir natürlich noch neugieriger. Die beiden schwärmen in den höchsten Tönen von der Panoramasicht und sind zutiefst betrübt, dass die Trauung nur am Washington Pass (im North Cascades Nationalpark) stattfand. Zur Sicherheit erkundigen wir uns nochmals in einer Ranger Station nach den Strassenkonditionen, verschweigen aber wohlweislich die Dimensionen unseres Vehikels. Die Rangerin meint auf die Frage, ob es irgendwelche Gewichts- oder sonstige Limiten gebe, nur, dass wir mit einem normalen PKW keine Probleme hätten...



Fast verpassen wir die Abfahrt in Mazama. Erstaunlicherweise gibt es kein Schild und nichts, was auf die spektakuläre Sicht hinweisen würde - ein Glück, denn viele Leute finden so gar nie auf diese Strasse. Im Tal unten fährt man an unzähligen zwischen den Tannen versteckten Ferienhäuschen vorbei, der Methow River glitzert türkisblau und es gibt sogar einen kleinen Flugplatz. Bald erreichen wir das Schild "No Trailers, one lane road ahead" (Keine Anhänger, einspurige Strasse). Nun wird es spannend ! Unser Unimog passt gerade so auf die Piste, doch wir sind froh, dass wir von unten her kommend Vorfahrt haben. Die Piste klettert von rund 500m auf über 2000m in unzähligen Haarnadelkurven steil in die Berge hinauf. Immer wieder passieren wir kleine Wasserläufe, überall blüht und grünt es. In den unteren Regionen wachsen grosse Bestände von Türkenbundlilien, weiter oben dann Vergissmeinnicht, Sedum, Phlox-Polster, Akelei und vieles mehr. Die Blicke ins Methow Valley werden immer abenteuerlicher, doch wir haben Glück und begegnen nur ganz wenigen anderen Fahrzeugen. Am Deadhorse Point wird's dann wirklich eng, rechterhand fährt man beängistend nah an einer steilen Felswand entlang, linkerhand ist nur noch Aussicht und viel klare Bergluft. Wir fragen uns immer wieder, was wohl diejenigen Leute durchgemacht haben müssen, die einst solche Pfade in die pure Felswand gehackt haben. Doch die Gefahren wurden bereitwillig auf sich genommen, da ganz am Ende der Strecke einstmals Gold gefunden wurde. Leise rieselt Sand von der Felswand und ab und zu müssen Schüttkegel mit kleineren oder grösseren Felsbrocken umfahren werden - bei der Enge der Piste keine einfache Aufgabe. Da hoffen wir dann richtig, dass uns niemand entgegenkommt. Ein etwas schwieriges Unterfangen wäre es schon, auf dieser engen Passage rückwärts zu manövrieren. An einer Salzleckstelle kurz darauf können wir Rehe und Bergziegen mit ihren Jungen beobachten, nach Bären halten wir vergebens Ausschau. Bald erreichen wir die ersten Schneefelder, die Piste wird nass vom vielen Schmelzwasser, überall plätschert und murmelt das Wasser, die Blumenpracht ist überwältigend.



Nach ca. 30km erreichen wir Hart's Pass, die beiden primitiven Campingplätze sind noch eingeschneit und auch wir treffen auf den ersten Schnee auf der Strasse. Auf einem kleinen Parkplatz müssen wir dann unseren Unimog hinstellen, die Haarnadelkurven weiter oben liegen noch metertief unter Schnee. Etwas erstaunt uns ein völlig zerbrochenes Bohlen-Gatter, an dem normalerweise Reitpferde angebunden werden. Von einem Wanderer erfahren wir, dass dieser Schaden nicht durch Vandalen angerichtet wurde, sondern vom Gewicht des Schnees herrührt, der in harten Wintern hier anscheinend bis zu 30 Meter Dicke erreichen kann. Wir schultern etwas Proviant und die Fotoausrüstung und machen uns auf den Weg zum Aussichtsturm. Die Wiesen hier sind bedeckt mit weissen Anemonen, Helleborus-Blättern und kleinen gelben Gletscherlilien. Murmeltiere lassen ihre Alarmschreie hören, der Wanderweg ist teils noch sehr matschig und aufgeweicht vom eben erst geschmolzenen Schnee. Je höher wir steigen, desto beeindruckender wird die Sicht auf die umliegenden Gipfel. In einem kleinen Tal schauen wir einem unermüdlichen Skifahrer zu, der im nassen Schnee mit Stemmbögen im Telemark-Stil den Hang hinunterfährt, nur um nachher den ganzen Weg wieder hinaufzustapfen, um dann wieder herunterfahren zu können. Die Aussicht ist traumhaft: All die verschneiten, zerklüfteten Felszinnen und -türme, kleine Gletscher, Nadelwälder und Blumenwiesen, ein 360° Panorama auf die ganzen North Cascade Mountains !



Wieder auf dem Parkplatz treffen wir auf mit Schaufeln bewehrte Männer, die die Piste vom Schnee befreien. Erstaunt wollen wir wissen, wieso sie denn hier der Natur nachhelfen wollen. Für wahre Liebe, meinen sie ! Ihre Freunde heiraten in einer Woche hier oben, dann muss die Strecke mit Autos zu befahren sein. Heiraten hier oben scheint gross in Mode zu sein.



Weil es uns so gut gefällt, suchen wir uns für die Nacht einen Platz mit Aussicht. Wir finden eine kleine Waldlichtung mit einem ebenen Wiesen-Stellplatz, an dem bereits früher einmal andere Leute campiert haben - eine kleine Feuerstelle (mit den üblichen Zivilisations-Überresten) zeugt davon. Wir räumen kurz auf und lassen uns häuslich nieder. Sogar ein kleiner Kolibri mit orangem Bauch hat sich hierher verirrt und stattet unseren roten Bremslichtern einen Besuch ab. Gegen Abend wagen sich Rehe aus dem Gebüsch, staksen durch's hohe Gras und äsen um's Auto herum. Immer wieder suchen wir mit unseren Augen die nähere Umgebung ab, ob wir wohl mit dem Besuch eines Bären zu rechnen hätten. Es zeigt sich jedoch keiner, obwohl wir davon überzeugt sind, dass wohl einige in dieser entlegenen Gegend leben. Es ist ein friedlicher Ort, wie geschaffen für uns ! So geniessen wir den Abend, lesen ein wenig, hören Musik und gönnen uns ein gutes Gläschen Wein.



August 1999



Julia Etter & Martin Kristen