travelog 21



Cumbre de San Pedro



Curvas muy pronunciadas und camino muy angosturo y muy malo waren die Aussagen diverser lokal Ansässiger, die wir auf unserer Fahrt durchs Bergland der Zentral-Baja angetroffen hatten, über die Piste von der ehemaligen Misión de Guadalupe nach San Juan de las Pilas und San Pedro de la Sierra.



Wohlklingende Ortschaftsnamen, die in uns schon seit dem ersten Besuch der Baja California den Wunsch geweckt hatten, sie zu besuchen. Ausserdem war aus der topographischen Karte ersichtlich, dass dies die einzige Strecke ist, die richtig hoch in die Sierra hineinführt und gleichzeitig eine Verbindung zur Pazifikseite herstellt. Da wir schon mehrfach hatten feststellen können, dass auf die Meinung der Mexikaner zu ihren Strassen und Wegen Verlass ist, entschlossen wir uns - wenn auch schweren Herzens - den beschwerlichen Weg zur Cumbre de San Pedro von der Mission aus unter die Füsse zu nehmen.



Wir bereiteten uns gut vor, denn es waren nicht nur total 12 Kilometer, sondern auch zugleich 700 Höhenmeter zu überwinden. Am Vorabend wurden bereits die Rucksäcke gepackt, einer mit dem technischen Krams (Fotoapparate, Objektive, Filter, Filme, Notizpapier etc.), einer mit Essen und Getränken und all den anderen Accessoires (Klopapier, Tropenmütze, Sonnencreme, Abfalltüte, Taschenmesser etc.). Wir wussten schon allein vom Blick auf das vor uns aufragende Bergmassiv, dass es ein schweisstreibender "Spaziergang" werden würde. Ganz besonders deshalb nahmen wir auch gleich 4 Liter Tee mit. Wir beschlossen, beim ersten Tageslicht aufzubrechen, um möglichst nicht in der prallen Sonne aufsteigen zu müssen und natürlich auch möglichst viel Zeit auf der Cumbre de San Pedro (=Passhöhe von San Pedro) verbringen zu können - bevor einen das zu dieser Jahreszeit schnell dahinschwindende Tageslicht wieder zurück ins Tal zwingt. Der Wecker wurde auf 6 Uhr morgens gestellt, eine Zeit, zu der Julia normalerweise noch tief schläft.



Zur Weckzeit war noch alles stockdunkel. Schnell war noch ein letzter Kaffee gebraut, ein halbes Brötchen mit Marmelade verdrückt und der obligate Gang zum Klo hinter sich gebracht. Dann wurden die Bergschuhe geschnürt, die Länge des Teleskop-Wanderstocks geeicht, der Rucksack geschultert und nach einer letzten Kontrolle unseres fahrenden Häuschens (einbruchsicherer Verschluss inklusive Abschaltung aller elektrischer Systeme) ging's in der frischen Morgenluft bei langsam heller werdendem, wolkenlosen Himmel bergan. Wir wanderten auf der Piste, war doch das Gelände für eine andere Art der Begehung völlig ungeeignet; teils zu steil, mit zuviel losem Geröll oder mit völlig undurchdringlichem, dornigem Dickicht bewachsen.



Zweimal kreuzte ein Reiter unseren Weg. Die einzige menschliche Seele, die wir an diesem Tag zu sehen bekamen. Ramón Carillo Aguilar hatte nicht unweit von unserem Parkplatz auf freiem Feld mit seinem Muli und dem Packesel über Nacht gelagert. Wir grüssten freundlich, wechselten ein paar höfliche Worte und zogen weiter. Etwa auf der Hälfte des Wegs holte er uns ein und verwickelte uns in ein längeres Gespräch. Er stellte sich vor, bot sich auch als Führer an zu wenig besuchten Felshöhlen mit indianischen Malereien - para servirle (=zu Ihren Diensten), wie er immer wieder betonte. Er sei ein lokaler Abgeordneter und wenn wir jedwede Hilfe benötigen würden, wir sollten uns nur seinen Namen merken und mit ihm Kontakt aufnehmen. Er wunderte sich etwas, dass wir nach der Hälfte des Wegs so munter auf den Beinen waren. Nachdem wir ihm aber erklärt hatten, dass wir aus der Schweiz kämen, war ihm gleich alles sonnenklar.



Die Piste war in teilweise haarsträubendem Zustand. Sehr steinig, oft sehr bis extrem steil - an einer 100 Meter langen Passage um die 80% (!) verfestigt mit sich langsam in Einzelbestandteile lösenden Beton - jedoch nur an zwei kleinen Stellen wirklich eng. Da waren durch Regenwasser tiefe Rinnen aus der Piste ausgewaschen und gleich auch noch ein Stück der Fahrbahn weggebrochen. Es wäre mit PocoLoco machbar gewesen (nach dem Motto: UNIMOG - sollte man haben !). Aber es wäre trotzdem ein Risiko gewesen und wir riskieren nicht sonderlich gern unser Häuschen. Ausserdem ist Wandern ja auch eine sehr erfrischende Angelegenheit - bei der man mehr sieht als wenn man in einem Fahrzeug unterwegs ist.



Da wir an den Osthängen der Sierra del Potrero hochstiegen, wärmte uns teilweise die aufgehende Morgensonne. Was dann die Schattenpartien beissend kalt machte und einen dem Risiko aussetzte, sich eine Verkältung einzuhandeln.



Kurz nach 9 Uhr erreichten wir die Passhöhe, von der man einen gigantischen Blick nach Westen bis zum Pazifik und nach Osten bis zum Cortéz-Meer hat. In der Ferne sieht man die Salzflächen der Laguna San Ignacio, und die noch sehr flach stehende Sonne modelliert die unter einem liegenden Bergketten, Hügel und Felsen in den seltsamsten Formen richtig plastisch. Wir waren in rund 2 Stunden aufgestiegen, ein Drittel schneller als geplant. Nach einer kurzen Teetrink- pause machten wir uns an die botanische Erforschung der nahegelegenen Felszinnen und -klippen. Wir hatten genügend Zeit mitgebracht, mussten wir uns doch erst um die 15 Uhr auf den Rückweg machen.



Als erstes fallen einem die landschaftsbestimmenden Bestände von Nolina beldingii auf. Baumartige 4-6 Meter hohe Agavengewächse mit elefantenartig verdicktem Fuss und mehreren kugelrunden Blattköpfen, die nur in diesen Höhen und extremen Lagen vorkommen. Dann die grossen, tiefgrün glänzenden und extrem wehrhaft bedornten, einzeln stehenden Individuen von Agave gigantensis, deren alte Blütenstände hier und da aus dem Dickicht ragen. Neben verschiedenen Arten von Cylindro-Opuntien treffen wir auch eine Opuntie mit Ohren (flachen Gliedern) an, allesamt Pflanzen, denen wir lieber aus dem Weg gehen.



Dann steht hier natürlich Ocotillo (Fouquieria splendens), an desssen Armen kleine kugelrunde Büschel von Tillandsien hängen, alle Arten von dornigem Gebüsch und diverse Kakteen. Teils die riesigen Orgelpfeifen-Kakteen (Stenocereus thurberi), teils grosse Exemplare von Kugelkakteen (Ferocactus rectispinus) mit bis zu 20cm langen Zentraldornen, teils kleine weissliche Mammillarien einzeln oder in Polstern unter Büschen oder auf nacktem Fels wachsend. Nach einigem Herumklettern fanden wir denn auch grössere Bestände von Dudleya rubens, ein Vertreter der Pflanzengattung, die wir momentan an ihren Wildstandorten dokumentieren. Einträchtig stehen total weisse (gegen zu starke Sonneneinstrahlung bemehlte) und tiefgrüne Exemplare nebeneinander. Einziger Nachteil: leider nur in praktisch unzugänglichen, senkrechten, schattigen Felspartien ! Das erforderte recht grosse Umsicht, um in Fotodistanz zu kommen. Da ich Höhenangst habe, war dies nichts für mich. Julia ist da schon weniger empfindlich besaitet und so erledigte sie den anstehenden "Job".



Zwischen Foto-Sessions und dem Erstellen der Feld-Dokumentation verdrückten wir zwei Birnen und eine Tafel schon sehr weicher Schweizer Schokolade (Kinder bekommen Schokolade, wenn sie besonders brav gelaufen sind...) und mussten immer wieder gegen die recht immense Tageshitze einen Becher erfrischenden Tees zu uns nehmen. Die Zeit verging mit dem vielen Herumklettern und Fotografieren wie im Fluge und bald war es Zeit, sich an den Abstieg zu machen.



Der stellte sich als schwerer heraus, als es der Aufstieg gewesen war. Rutschiges Geröll und die teils sehr steilen Pistenpartien machten einem das Leben nicht gerade einfach. Kniegelenke und die schnell müde werdenden Füsse wurden extrem belastet. Wir waren denn auch froh, zu unserem Häuschen zurückkehren, uns der Wander- schuhe zu entledigen, eine erfrischende Dusche zu geniessen und unsere schmerzenden Beine hochlagern zu können. Wir wussten jetzt schon, dass der Muskelkater tags darauf nicht lange würde auf sich warten lassen.



Dezember 1999



Julia Etter & Martin Kristen