travelog 22






Rancho San Isidro



1. Der erste Kontakt



Bei unserem letzten Baja-Besuch im Frühling 1999 waren wir über die Osterfeiertage den Mexikanerhorden entflohen, die die schönen Stränden der Bahía Concepción überfüllt hatten. So hatten wir uns damals in die nahen Berge, in die Sierra de Guadalupe verzogen. Bei vielen Ranchos entlang des Wegs musste man ein Kuhgatter öffnen, um weiterzukommen.



Dies ergab dann meistens die Möglichkeit, sich etwas mit den Rancheros zu unterhalten. Beim Rancho San Isidro war kein Kuhgatter vorhanden, doch einer der Bewohner, Loreto (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Küstenstadt), musste unser brummendes Vehikel schon seit längerem gehört haben, denn er stand wie ein Wilder winkend mitten auf der Piste, als wir um die Ecke kamen.



Bald stellten wir fest, dass Loreto Tauschgeschäfte im Sinne hatte. Er versuchte es erst bei Martin und fragte ihn, ob er denn eine Axt dabei habe. Nichtsahnend öffnete Martin unsere Schublade mit den Werkzeugen und zeigte Loreto die Axt. Dieser prüfte deren Schliff mit Kennermiene und bot Martin seine kleine Axt im Tausch gegen unsere an. Als alles gute Zureden nichts fruchtete - Martin stellte sich taub für derlei "gute Geschäfte" - versuchte er sein Glück bei mir und meinte, Martin hätte ihn wahrscheinlich nicht richtig verstanden und meine, er wolle die Axt einfach so haben. Es wäre aber ganz anders und er wolle doch seine tolle Axt gegen unser deutsches Produkt eintauschen. Nun musste ich ihm versichern, dass Martin das alles sehr wohl verstanden hätte. Und natürlich musste ich ihm nochmals erklären, dass unsere Axt eben perfekt in die Schublade passe und wir sie auf unserer Reise noch bräuchten. Wir versprachen jedoch hoch und heilig, ihm bei unserem nächsten Besuch eine neue Axt mitzubringen. Als Loreto sich dann weiter nach anderen Werkzeugen und Messern erkundigte, hatten wir bereits dazugelernt und meinten, sowas würden wir nicht dabei haben. Nachdem wir noch einen frischen Ziegenkäse (queso fresco, ähnlich einem Mozzarella oder Formaggini) erstanden hatten, machten wir uns auf den Weiterweg.



2. Ein erneuter Besuch



Ein halbes Jahr später, im Dezember 1999, besuchten wir die Berge in der Nähe des Rancho San Isidro wieder (siehe unseren Reisebericht über die Wanderung zur Cumbre de San Pedro). Irgendwo weit unten in den Tiefen des Unimogs verstaut wartete die Axt auf Loreto. Er stand wieder auf der Piste und winkte uns zu. Er war sichtlich erfreut, unseren Unimog, den camioncito (Verkleinerungsform von Lastwagen), wiederzusehen. Diesmal luden die beiden uns ein, über Nacht zu bleiben. José Isidro Lopez Castro und sein Sohn Loreto führten uns zuerst durch das ganze Anwesen, das aus mehreren Häuschen und luftigen Räumen ohne Wände besteht. Auf dem Rancho lebt eine kleine Ziegenherde, jetzt gerade mit vielen Jungtieren, die auf den Metzger warteten. Das Fleisch wird für Tacos nach Monterrey (Mexico) verkauft. Käse produzierten sie momentan keinen. Es hatte seit ca. 9 Monaten nicht mehr richtig geregnet und die Tiere finden nichts zu fressen und geben deshalb auch keine Milch. Ein altersschwacher Hund hielt sein Nickerchen an der Sonne. Eine schwarz-weisse Katze strich uns auf der Suche nach Streicheleinheiten um die Beine. Ein farbenprächtiger Hahn vermisste seine Hennen, die auf diesem Rancho nie gelebt haben bzw. schon lange in den Kochtopf gewandert waren. Etwas abseits standen vier Maultiere in einem kleinen Corral.



Hinter dem offenen "Wohnzimmer" wuchsen einige Orangenbäume. An einer Schnur baumelten zwei hübsche, aber leider tote, schwarz-weiss gesprenkelte Spechte. Loreto erschiesst sie mit seinem Kleinkalibergewehr, weil die Vögel Löcher in seine Orangen hacken. Schliesslich landeten wir in der rauchschwarzen, düsteren Küche, "mi casa es su casa", fügten die beiden Hausherren hinzu, als sie uns zum Kaffee einluden. Beim Eintreten riefen wir ein freundliches "con su permiso" (= mit Ihrer Erlaubnis) in die Runde, was mit "adelante, adelante" (= nur herein !) beantwortet wurde. Das Wasser wurde schnell auf einem altmodischen Gasofen erhitzt, das Glas mit Nescafé und Zucker stand schon auf dem Tisch. Wieder mussten wir uns an Loretos Spanisch gewöhnen: Mit 28 Jahren hatte ein Maultier ausgeschlagen und ihn am Kopf erwischt, danach war er für 2 Monate stumm. Nun redete er wieder wie ein Wasserfall, verschluckte aber immer wieder einzelne Silben oder Buchstaben. Für seine Umgebung scheint dies kein Problem zu sein, nur wir hatten Mühe, da das Spanisch nicht unsere Muttersprache ist. Ein Thema lag ihm besonders am Herzen: "gute Leute seien näher bei Gott und schlechte näher beim Teufel". Hier liess er sich auf längere Monologe hinaus, denen besonders schwierig zu folgen war. Auch besondere Mühe machten uns Loretos unvermittelte Themenwechsel, sichtlich auch das Resultat des wildgewordenen Mulis. Nur seine immer wiederkehrende Reaktion auf unsere Erzählungen von Sachen, die uns Probleme gemacht hatten, die verstanden wir bestens: "que báaaarbaro" (= wie barbarisch) ! An dem Tag, an dem wir Loretos Spanisch vollumfänglich verstehen werden, an diesem Tag werden wir wissen, dass wir das Spanische wirklich fliessend sprechen.



Die Überraschung war gross, als wir eine neue Axt hervorzauberten. In der Zwischenzeit hatte sich nämlich Loreto selber eine grosse Axt gekauft, weil er uns "Gringos" nicht geglaubt hatte, dass wir wiederkommen würden. So wie wir seine Handelstüchtigkeit einschätzen, wird er die schlechtere schnell an einen Nachbarn verhökern oder eintauschen. Natürlich ging die Fragerei nach weitern "Gütern" und Tauschmaterial los: Ob wir Patronen dabei hätten... (in Mexiko ist es strengstens verboten, Waffen oder Munition zu besitzen. Wenn einen die Federales mit einer Waffe erwischen oder auch nur Patronen finden, wandert man schnellstens ins Gefängnis. Und in Mexiko in einem Gefängnis zu sitzen, das dürfte kein sonderlicher Spass sein). Wieviel ein Paar Jeans kosten würde... Ob wir vorrätige Taschenlampen besässen... Ob wir zufälligerweise ein Taschenmesser mithätten... (wir tauschten ein echtes "Swiss Army"- Messer ein gegen Klapperschlangenrasseln und indianische Pfeilspitzen). Ob wir Rehspuren im Sand gesehen hätten... (jagen ohne Bewilligung ist illegal). Unsere Turnschuhe gefielen Loreto ausnehmend gut - er lief in zusammengebastelten Sandalen umher. José Isidro erzählt verschmitzt, dass letzthin vorbeifahrende Amerikaner, die nach dem Weg gefragt hätten, ihnen einfach für eine kleine Auskunft T-Shirts und Jeans geschenkt hätten. Über einem Balken neben den Reitsätteln hingen noch zwei weitere "Souvenirs", die Amerikaner zurückgelassen hatten: es waren zwei Gummiboote, die jedoch beide grössere Löcher aufwiesen - kein Wunder hatten die netten Touristen die Boote nicht nach Hause genommen. José Isidro und Loreto wollten die Boote behalten, weil man sie vielleicht reparieren könnte und dann könnten sie eines Tags ans Meer fahren und sich am Strand vergnügen. Könnte, würde, hätte - vielleicht, eines Tages, eventuell... Mañana - gracias a Dios !



In der Abendsonne spazierten wir mit Loreto zu einer kleinen Höhle oberhalb des Tales, wo einstmals Indianer gewohnt oder wenigstens gearbeitet haben müssen. Am Fusse des Hügels ist eine perfekt erhaltene Petroglyphe eines Rehes auf einem grossen Stein zu sehen. Schon beim Aufstieg durch kleinere Geröllhalden stiessen wir auf zerbrochene Metates (= Reibeschalen, um Körner zu Mehl zu zerreiben) und die Reibesteine, die einem perfekt in der Hand lagen. Oben angekommen buddelten wir etwas im sandigen Boden der rauchgeschwärzten Höhle. Ohne Glück. Auf dem Rückweg zeigte uns Loreto einen Wunder-Heilbaum, den Lomboy (Jatropha cinerea). Man schneidet einen Ast schräg mit einem Messer an und sofort fliesst eine blutfarbene Flüssigkeit aus der Schnittstelle. Dieser Saft soll gegen Warzen gut sein, Blut stillen, schmerzende Wunden und Schürfungen heilen, und bei regelmässiger Anwendung auch gegen Psoriasis helfen.



Abends sassen wir wieder in der Küche zusammen, ein Gaslicht flackerte und Loreto offerierte uns "menudo". Mit einem Schlag wurde unsere Vorstellung vom einfachen, puren Rancholeben zerstört ! Aus einem kleinen Schrank holte er eine grosse Schachtel mit etwa 20 Instant Lunch hervor, made in USA. Nudelgerichte, die mit heissem Wasser übergossen werden und in 2 Minuten essfertig sind. Wir lehnten dankend ab und offerierten ihnen unsere Vorräte, die eher bodenständig mexikanisch waren: Avocado, Tomaten, Zwiebeln, Tortillas und natürlich Bier. Nun zauberte Loreto doch noch einen asadero (= 1 Tag alter Ziegenkäse) hervor, den er bei den Nachbarn gekauft hatte. Die Tortillas wurden erwärmt und danach mit Avocado- und Tomatenscheiben, Zwiebelringen und Ziegenkäse belegt. Dazu ein kaltes Bier mit etwas Limesaft. Köstlich ! Paradiesisch im Vergleich zu Instant Lunch ! Nach dem Essen entzündete Loreto auf dem Küchenboden ein kleines Lagerfeuer mit Opuntienholz, das etwas Wärme und Licht spendete. Er holte seine Gitarre hervor und spielte uns einige mexikanische Lieder. Als das Feuer ausging und es zu dunkel wurde, war es Zeit, sich schlafen zu legen.



Mitten in der Nacht schon erfreute uns der Hahn mit seinem Gekrähe. Er hatte sich sein Nachtquartier ausgerechnet im Baum neben unserem Unimog ausgesucht und hielt sich überhaupt nicht an die 6-Uhr-Weckzeit für Hähne. Nach einem Kaffee machten wir uns diesmal alleine auf zu der kleinen Höhle. Mit einer kleinen Schaufel und dem Geologenhammer ausgerüstet, fingen wir an, den Sandboden an einigen Stellen abzugraben. Der Erfolg bestand zuerst in einem knallig grünen Opa von Skorpion (etwa 14 Zentimeter lang und mit seinen Scheren ebenso breit), der sich für den Winter im Sand eingebuddelt hatte. Er liess sich fotografieren und verschwand dann schnell wieder im nächsten Sandloch. Bald stiessen wir auf ein weiteres, kleineres Exemplar. Und dann endlich die erste Pfeilspitze. Nach mehreren Stunden hatten wir noch einige Bruchstücke von Pfeilspitzen gefunden und die Sonne brannte mittlerweile unerbittlich heiss.



Zurück beim Rancho wurden wir wieder zum Kaffee in die Küche gebeten. Loreto meinte, wir sollten beim nächsten Besuch unbedingt ledige Schwestern oder Cousinen mitbringen. Er würde sie in der Gegend herumführen und ihnen "alles" zeigen. Wir haben nicht nachgefragt, was er denn unter "alles" so meinen würde. Ausserdem wünschte er sich eine gute schwarze Baseballmütze, die man in den USA kaufen könne. Natürlich werden wir die beiden wieder besuchen, obwohl uns schon jetzt vor der schlechten Piste und v.a. einer sehr schrägen Haarnadelkurve graut. Und selbstverständlich werden wir wieder etwas mitbringen, das wir eintauschen können, nur schon weil das Handeln mit Loreto so grossen Spass macht. Nur der Wunsch mit den ledigen Schwestern oder Cousinen, der wird etwas schwieriger zu erfüllen sein...



Januar 2000



Julia Etter & Martin Kristen