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Am Ende der Welt - Fossil, Oregon



Grossartig weist ein Schild am Ortseingang den Besucher darauf hin, dass man sich am 45. Breitengrad genau in der Mitte zwischen dem Äquator und dem Nordpol befindet. Die nächste Ampel ist mindestens 160km entfernt. Ein Aufkleber auf einer Stossstange sagt alles: "Hug a Farmer" ("Umarme einen Bauern").



Wir befinden uns in Ost-Oregon, im Land der "rolling hills", sanfte Hügel, die sich über 'zig Kilometer bis an den Horizont hinziehen. Die wenigen Strassen führen bergauf, bergab, durch ein kleines Tal, auf den nächsten Hügel, an einem einsamen Bauernhof vorbei, einem Flüsschen entlang, wieder auf einen Hügel. Und so geht es soweit das Auge reicht und wenn man den Horizont erreicht hat, beginnt das Spiel von vorne.



Für uns ist das alles Neuland und solange wir gemütlich in unserem geheizten Fahrzeug durch die eiskalte Landschaft tuckern können, sind wir's zufrieden. In den kleinen Ortschaften stoppen wir für einen heissen Kaffee, der für zwei Personen gerade einmal $1 kostet. Abends finden wir immer ein gemütliches Plätzchen abseits der Strasse, wo wir am nächsten Morgen inmitten einer wunderschönen Frostlandschaft aufwachen. Unsere Heizung funktioniert gut und so stört uns die Kälte nicht gross. PocoLoco hingegen scheint nicht sonderlich glücklich darüber zu sein, zu dieser Jahreszeit noch so weit weg vom warmen Mexico zu sein. Jedenfalls erfreut er uns eines Morgens mit viel Luft in der Kupplung. An diesem Morgen schaffen wir gerade eben sieben Meilen - bis nach Fossil.



Fossil ist eine kleine Ortschaft mit einem Telefon und zwei Garagen. Der Besitzer der einen Garage, der selber einen grossen LKW fährt und daran auch die Reparaturen vornimmt, ist leider gerade in Reno, um zu heiraten. Beim "Oldsmobile Chevrolet" gegenüber steht eine funkelnde gelbe Corvette im Schaufenster (was die jedoch in dieser Gegend zu suchen hat, das ist uns schleierhaft, ist es doch das Land der schlammverspritzten 4-Wheel-Drive-Pick-Ups), der wir mit PocoLoco natürlich die Schau stehlen. Die Mechaniker sind zwar alle sehr an unserem Fahrzeug interessiert, doch Hand anlegen will keiner. So verbringen wir eben einen Tag in Fossil und erkunden bei klirrender Kälte zu Fuss die Gegend.







Fossil, gegründet 1876, tut seinem Namen alle Ehre. Die Gegend ist eine Fundgrube für versteinerte Pflanzen und Tiere. Gleich hinter dem Fussballfeld kann man in einem kleinen Abhang sein Glück versuchen und nach Versteinerungen graben. Die besten Stücke sind sicherlich schon längst verschwunden, trotzdem entdecken wir einen kleinen Stein mit einem Farn darauf und ein anderer Stein fällt längs auseinander und enthüllt ein Blatt mit allen Äderchen. Neben der Post gibt es einen vergitterten Waffenladen (die Rehe scheinen aber nicht sonderlich beeindruckt von den Jägern zu sein, sie wandern bei Tageslicht mitten durch das Dorf), ein Lebensmittelgeschäft, das gleichzeitig Kleider, Papiersachen, Haushaltsgeräte und Weihnachtsschmuck verkauft, eine Bank, eine Bibliothek und mehrere kleine Museen. Kulinarisch haben wir die Wahl zwischen dem verrauchten "Shamrock Club" und dem "Fossil Café & Hole in the Wall Bar". Letzteres serviert die üblichen Hamburger und Pommes. Vom Besuch des "Shamrock Clubs" wird uns von der Köchin des "Fossil Cafés" grinsend abgeraten - "wir kochen viel besser" heisst der Werbeslogan. So bleiben wir denn im Café stecken. In der schummrigen, verrauchten Bar strahlt der TV die letzten News der Präsidentenwahl aus (nein, wir wollen Euch nicht mit Details langweilen !). An der Kaffeemaschine prangt ein "Bush/Cheney" Aufkleber - Fähnchen für das republikanische Präsidentengespann flattern auch in vielen Vorgärten. Übernachten kann man in einem Motel oder einem Bed & Breakfast aus dem Jahre 1905. Und für die Sünder dieser Ortschaft stehen gleich fünf verschiedene Kirchen zur Verfügung: First Baptist Church, St. Catherine Catholic Church, Fossil Bible Fellowship, Fossil United Methodist Church und die Kingdom Hall of Jehova's Witnesses.



Wir sind bald das Gesprächsthema Nummer 1 im Dorf. Wenn wir im Café sitzen, kommen immer wieder Leute an unseren Tisch, um sich nach unserem seltsamen Fahrzeug zu erkundigen. Ab und zu wundert sich auch jemand, wie wir uns wohl nach Fossil verirrt haben können. Dass wir zufällig hier vorbeigekommen sind auf dem Weg von Portland (Oregon) nach Prescott (Arizona), das will uns keiner so recht glauben. Dafür gibt es ja die grossen Autobahnen, auf denen man viel schneller an sein Ziel kommt, als wenn man so wie wir gemütlich von Nest zu Nest zuckelt. Unsere Art zu reisen ist eben sehr unamerikanisch.



Da wir uns nicht getrauen, mit unserer kaum funktionierenden Kupplung mehr als ein paar Meter zu fahren, parken wir PocoLoco in einer breiten Seitenstrasse und lassen geduldig die Bewohner des Dorfes über uns ergehen. Teilweise spazieren sie vorbei, lassen uns aber in Ruhe, teilweise rollen sie im Schneckentempo mit ihren knatternden Diesel-Pickups vorbei und scheren sich einen feuchten Kehricht um den Lärm, den sie produzieren und mit dem sie uns auf den Wecker fallen. Typisch amerikanische Unsitte.



Sonntags nach dem Frühstück steht das frisch vermählte Paar schon in der Garage und wartet auf unseren Auftritt. PocoLoco passt haargenau in die Garage hinein. Dies ist etwas gemütlicher, draussen würden einem die Hände abfrieren. Der Mann hat sichtlich schon an seinem LKW herumgeschraubt, doch unser Unimog mit dem grossen Mercedes-Zeichen macht ihm Angst. Ausserdem weiss er, dass Fossil am A.... der Welt liegt und wir ewig auf Teile warten müssten, wenn etwas schief läuft. Das grösste Problem ist, dass er nur amerikanische Teile hat, die nie im Leben mit den europäischen Massen übereinstimmen. Schliesslich entscheiden wir uns dafür, die Kupplung zu entlüften und auf gut Glück weiterzufahren. Natürlich hat der gute Mann für diese Art Arbeit auch gerade das nötige Werkzeug nicht zur Hand (er habe einen Teil seiner Geräte und Werkzeuge in seiner anderen Garage - rund 100 Kilometer entfernt).



Und so wird eben der Mechaniker der anderen Dorfgarage bemüht. Einfach auch am Sonntag, da ja jeder jeden kennt und man eben schnell mal einander zuhause abholen kann. Zehn Minuten später haben wir zwar das Gerät zur Hand, müssen jedoch feststellen, dass wir nicht den passenden Anschluss an unserem Vorratsbehälter für Kupplungsöl haben geschweige denn fertigen können. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Kupplung manuell zu entlüften. Martin drückt dreimal die Kupplung ganz durch, baut so den Druck auf, hält das Pedal durchgetreten, während der Mechaniker kurz die Entlüftungsschraube an der Kupplungsglocke öffnet. Nach guter Mechaniker-Manier lässt der Garagist das (übrigens sehr aggressive und äusserst giftige) Bremsöl einfach durch die Gegend spritzen, was uns auch nicht gerade sehr glücklich macht. Wir haben anschliessend einiges an unserem Gestänge zu putzen. Dann gesteht der Mann, dass er nicht mehr für uns tun könne und nach Bezahlung von $50 - und zugegebenermassen mit etwas flauem Gefühl in der Magengegend - brechen wir wieder auf.



Mit den Instruktionen, wie wir am besten nach Bend finden, machen wir uns auf den Weg. Da wir nun wissen, wo und wie man die Kupplung entlüftet, fahren wir doch lieber weiterhin durch uns noch unbekanntes Gebiet und halten uns südostwärts, anstatt westlich nach Bend und in den Schnee zu fahren. Wir sind jedoch entschlossen, eines Tages wiederzukommen - natürlich zu einer anderen, wärmeren Jahreszeit - und diese einsame, wunderschöne Gegend einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.



Oktober 2000



Julia Etter & Martin Kristen