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Auf Pflanzensuche - Pachyphytum



Die Gattung Pachyphytum fasziniert uns schon lange, da diese Pflanzen nicht nur sehr aussergewöhnlich aussehen, sondern auch ganz ungewöhnlich schöne Blütenstände treiben. Da in den mexikanischen Bundesstaaten San Luis Potosi und Guanajuato vier Arten dieser kleinen Pflanzengattung vorkommen, begeben wir uns auf die Suche nach ihnen.



Pachyphytum hookeri: Diese Pflanze ist laut der uns vorliegenden wissenschaftlichen Literatur anscheinend nur von sechs Standorten bekannt. Unter anderem aus einem Canyon nahe von Ahualulco im Bundesstaat San Luis Potosi. Vergebens suchen wir zwei Tage lang nach dem Pachyphytum, finden dafür aber eher zufällig Echeveria agavoides, die nur in den senkrechtesten Felswänden wächst, weil sie anderswo gnadenlos von den hungrigen Ziegen und Eseln gefressen wird.



Auch Graptopetalum pachyphyllum und Sedum greggii, die zu derselben grossen Pflanzenfamilie der Dickblattgewächse (Crassulaceae) gehören, wachsen in diesem Canyon, zusammen mit Agaven und Kakteen. Ohne die kleinen Ranchos, die sich ums Wasser scharen, wäre dieser Ort sicherlich paradiesisch. Mit den Ranchos aber kommen auch Ziegenherden und die Geissenpeter und Heidis suchen sich die besten Weideplätze für ihre Tiere aus. Da sind auch die höchsten Berge nicht sicher vor den gefrässigen Tieren, die noch dazu perfekte Kletterer sind. Wir werden trotzdem fündig, einfach etwas weiter südlich. Beim Puente Tecolote stehen die Felswände voll mit kleinen Pflanzen, alle mit kurzen Blütenständen und orangeroten Blüten. Auch am Standort von Mammillaria schwarzii, der hier nicht genannt werden will, weil schon genügend Sammler dort ihr Unwesen getrieben haben und diese kleinen, hübschen Kakteen am natürlichen Standort fast ausgerottet haben, werden wir fündig. Mit unserem Gastgeber in San Luis Potosi, W. A. Fitz Maurice, gehen wir auf einen Feldtrip, auf dem er uns u.a. Mammillaria schwarzii zeigen will. Und ganz nebenbei finden wir in diesen Felsen auch das blühende Pachyphytum, für uns fast interessanter als die seltene Mammillaria. Die ganzen Wände stehen voller Pflanzenpolster, die Blüten werden von Kolibris besucht.



Pachyphytum oviferum: Die Standortangaben sind mehr als fragwürdig, gibt es doch mehrere Orte, auf die die angegebenen Namen passen. Und noch mehr Namen, die auf keiner Karte zu finden sind, oder in der Zwischenzeit von der Bevölkerung geändert wurden. Schliesslich bekommen wir den ausschlaggebenden Tip und machen uns auf ins Tiefland (+/-1000m) von San Luis Potosi. Die Temperaturen sind schon sehr hoch, der Wind ist heiss, doch er vertreibt immerhin die lästigen kleinen Fliegen. Hat man einmal die richtige Gegend gefunden, wissen alle Leute Bescheid, wenn man sich nach dem "Cajon del Rio" erkundigt. Nur meinen sie, wir würden mit unserem Auto bestimmt nicht bis dorthin kommen, mindestens eine Stunde müssten wir schon marschieren. Als gute Schweizer macht uns das natürlich nichts aus... Trotzdem wollen wir versuchen, so nah wie möglich an die Pflanzen heranzufahren, weil wir bei den herrschenden Temperaturen ungern lange Strecken wandern.



Die Piste führt immer in einem trockenen Flusstal, das durch die Berge mäandert. Ab und zu kommen wir an verlassenen Ranchos vorbei. Einige sehen zwar verlassen aus, doch ein hübscher Blumengarten, ein frisch bestelltes Maisfeld und neugierige Kinder, die durch einen Zaun äugen, belehren uns eines besseren. Bald hat man die Möglichkeit von verschiedenen Spuren, alle irgendwo im trockenen Flussbett. Und plötzlich verschwinden die Spuren irgendwo im Sand, wo es auch für uns bald kein Weiterkommen mehr gibt. Wir sind froh, durch tiefen Sand (wofür hat man schliesslich einen Unimog ?!) letztendlich doch noch heil auf festen Boden zu kommen, wo wir im steinigen Flussbett "sicher" (keine Gewitterwolken in Sicht...) parken können. Ganze 15 Minuten müssen wir noch den Fluss entlang wandern, bis wir zu einer Verengung des Canyons kommen, wo riesige Felsbrocken im Talboden liegen. Die senkrechten Felswände hängen voller Polster von Pachyphytum oviferum ! Und alle stehen in Blüte. Schwierig ist es nur, genügend nahe an die Pflanzen heranzukommen, um schöne Bilder machen zu können. Hier hinten gibt es auch noch etwas Wasser in einigen Becken, wo Molche und Frösche wohnen. Vögel singen in den Bäumen und Tillandsien und Bromelien schmücken die Felsen. Ein wunderschöner Ort, der anscheinend mal Opfer eines kleinen Staudammes hätte werden sollen, wovon noch Schächte und Leitern zeugen. Zum Glück ist auch dieses Projekt, wie so viele andere in Mexico, irgendwo versandet und das Geld versickert.



Pachyphytum kimnachii: Da es im Tiefland schon sehr heiss wird, wollen wir uns etwas in die Berge verziehen. Da kommt uns Pachyphytum kimnachii sehr entgegen, das auf ca. 1800m wachsen soll. Wir fahren von Rio Verde aus in die Berge hinauf auf einer engen Piste, die sich steil in die Höhe schraubt. Als uns aber ein Coca Cola Lastwagen und ein Bus entgegenkommen, wissen wir, dass es auch für uns sicherlich ein Durchkommen gibt. Diese Berglandschaft ist wunderschön. Bergketten wechseln sich ab mit tiefen Tälern, Säulenkakteen besiedeln die Hänge, weiter oben gibt es sogar Pinien und Eichenbäume und Veilchen auf dem Waldboden. Vom Golf von Mexico her ziehen ab und zu dicke Wolken herauf, die all ihre Feuchtigkeit an den Felswänden hier abladen.



Die Bäume sind geschmückt mit langen Tillandsia-Bärten (Tillandsia usneoides), die der Landschaft ein fast gespenstisches Aussehen verleihen. Wir steigen zuerst einmal im Schweisse unseres Angesichtes zu Felswänden oberhalb der Strasse auf, können aber an der angegebenen Position die Pflanzen nicht finden. Dafür finden wir aber blühende Kolonien des hübschen, kleinen Sedum reptans und zwei Villadia-Arten, die die moosigen Felsbrocken überziehen. Auch die korkige Rinde der Eichenbäume ist ein nicht nur bei Tillandsien beliebter Standort. In dieser sicheren Höhe (nicht einmal Ziegen klettern so hoch) haben sich kleine Orchideen, Farne, Echeverien und auch Kakteen angesiedelt. So muss man seine Augen nicht nur auf den Boden richten, sondern immer auch die Baumstämme und dicken Aeste untersuchen, auf denen man interessante Pflanzen finden kann. Als wir unsere Suche nach dem Pachyphytum kimnachii schon enttäuscht aufgeben wollen, finden wir diese riesigen Pflanzen (die wir viel kleiner erwartet hatten) in grossen Kolonien in zwei Felswänden gleich um die Ecke, etwas unterhalb der Piste. Sie stehen in voller Blüte und die cremefarbigen, hängenden Blütenstände leuchten weithin und wiegen sich im Wind. Besonders im Gegenlicht bilden sie unübersehbare Wellenmuster, die sich über die dunklen Felsen ergiessen. Wir sind so fasziniert, dass wir uns entschliessen, gleich zwei weitere Nächte hier zu verbringen, um genügend Zeit zu haben, die Pflanzen fotografisch zu dokumentieren. Etwas weiter im Tiefland, in den unzähligen Canyons, im Land der Fluorit-Minen, irgendwo zwischen den Staaten San Luis Potosi und Guanajuato, kann man aber auch noch andere sehr interessante Pflanzen finden. Tolle Säulenkakteen, übersät mit duftenden Blüten, baumartige Myrtillokakteen, grosse Ferokakteen, und zu unserer Ueberraschung auch Astrophytum ornatum mit gelben Blüten, das eigentlich nur aus anderen mexikanischen Bundesstaaten beschrieben ist.



Pachyphytum fittkaui: Aus der wissenschaftlichen Literatur kennen wir etliche Standorte dieses vierten Pachyphytums, die wir auf unserer Rundreise durch die Berge südöstlich der Hauptstadt San Luis Potosi besuchen wollen. Der erste Standort befindet sich an einem Km-Stock 16 von einer Ortschaft entfernt und wir halten dort an in der Ueberzeugung, dass die Kilometerangaben der Strasse, die wir befahren, wohl von jenem Ort aus gerechnet seien. Wir finden ein paar der Pflanzen in Felsen oberhalb der Strasse, wundern uns aber, dass nicht mehr davon da wachsen. Doch bald stellen wir fest, wo der Fehler liegt: Wir befinden uns am falschen Ort !



Am richtigen Typstandort kraxeln wir dann durch das mit spitzigen Dornen bewehrte Gebüsch, finden aber auch nicht viel mehr Pflanzen. So fahren wir denn den dritten Standort an, auf einer Piste, die streckenweise gerade noch als Kuhpfad genutzt werden kann. Wir sind hier wieder froh, mit einem Unimog unterwegs zu sein. Und... finden einen fantastischen Standort am Fluss, der zu dieser Jahreszeit abgesehen von einigen schlammigen Pfützen völlig trocken ist. Ein idealer Campingplatz mit schattenspendenden Bäumen. Die nach Westen orientierten Felswände sind kleine Gärten mit Agaven und Hechtien, Moos, unterschiedlichen Farnen, riesigen Bromelien und Tillandsien, und natürlich "unseren" gesuchten Pflanzen: Pachyphytum fittkaui. Daneben wachsen aber auch Echeveria agavoides, Sedum palmeri und verschiedene Kakteen. Die vielen Blüten werden nicht nur von Kolibris und dicken Hummeln besucht, sondern sind auch bei riesigen bunten Schmetterlingen, u.a. Monarche, Schwalbenschwänze, Zitronenfalter und vielen mehr beliebt. Zwei Tage lang sehen wir keine Menschenseele, geschweige denn Verkehr. Erst als eine Kuhherde vorbeikommt, wird es ungemütlich, weil die hungrigen Viecher alle erreichbaren Blütenstände abfressen. Wir verlassen diesen paradiesischen Ort, der nur so unberührt ist, weil er mit dem Auto so schwer zu erreichen ist.



Wir hoffen, in einigen von Euch das Interesse an dieser attraktiven Pflanzengattung geweckt zu haben. Auch in Kultur sind die meisten dieser Pflanzen sehr leicht zu halten und sie blühen bei richtiger Pflege sicherlich jedes Jahr. Doch sollte man sich an den Gedanken gewöhnen, dass sie nicht frosthart gehalten werden können.



Wir sind je länger je mehr davon überzeugt, dass wir mit dem, was wir tun, die richtige Wahl getroffen haben. Es macht uns sichtlich sehr viel Spass, durch einsame Gegenden zu tuckern (und sie selbstverständlich auch zu Fuss zu erkunden) und nach den botanischen Besonderheiten Ausschau zu halten. Dass man dabei auch Pflanzenformen entdecken kann, die den Uebergang zwischen zwei Arten darstellen, das macht die ganze Sache natürlich erst richtig spannend. So einfach, wie es meist in den Büchern dargestellt wird, ist die Natur da draussen selten. Doch das gilt ja bekannterweise nicht nur für das Pflanzenreich...



Februar 2002



Julia Etter & Martin Kristen