travelog 48




Sonnenuntergang mit Sonnenfinsternis am 10. Juni 2002



Wo sind die Strände nur geblieben ?



Endlich das ersehnte erste kühlende Lüftchen, die Kokospalmen, Bananen-, Mango- und Papayaplantagen ! Man meint beinahe, den Pazifik schon riechen zu können, dabei haben wir eben erst die letzten niedrigen Pässe überwunden, die uns noch vom Meer trennen. Im Inland wird es langsam zu heiss und so wollen wir auch mal etwas ausspannen an den Stränden von Jalisco und Nayarit.



In Melaque, einem kleinen heruntergekommenen Ort mit einigen Hotels und Motels, Bungalowanlagen in dritter Reihe und 'zig Geschäften, die alle nur Sonnencreme, Strandmode, Sonnenhüte, "Refrescos" und natürlich eiskaltes Bier verkaufen, erreichen wir von Guadalajara her den Pazifik. Am Strand vorne gammelt eine Hotelruine vor sich hin, alte Männer sitzen im Schatten von Bäumen und diskutieren, mexikanische Touristen, meist Mittelklassefamilien, vergnügen sich mit ihrem Nachwuchs am Strand. Für uns ist das nichts und so fahren wir etwas weiter nach Norden.



Die Mex-200 führt alles entlang der Pazifikküste, mal etwas durch das hügelige Inland, mal direkt entlang der steilen Küstenberge, die sich gleich hinter den hellen Sandstränden erheben. Man fährt durch dichten Dschungel, durch fast schon tropischen Urwald auf beiden Seiten der Strasse. Riesige Palmen, Plumerias mit kleinen weissen und duftenden Blüten, grosse rote Bromelien im Unterholz, epiphytische Orchideen aller Art, Lianen und sonstige Schlingpflanzen säumen die Strasse. Eine Würgfeige hat sich um eine Palme geschlungen, von der nur noch der kerzengerade Stamm zu sehen ist. Das Land ist extrem fruchtbar und wenn mal der Urwald gerodet ist (überall brennen die Wälder, um Platz für Felder oder Weiden zu machen), werden unter Kokosnusspalmen Chiles, Tomaten, Gurken und Kürbisse angebaut. V.a. in Nayarit werden an Fruchtständen entlang der Strasse die Produkte aus den Fruchtplantagen angeboten: frischgepflückte Mangos, Bananen an der Staude, Kokosnüsse, Papayas, Ananas, Guanabana (Stachelannone/Sour Soap) und weitere uns unbekannte exotische Früchte. Die kleinen Siedlungen, durch die wir kommen, bestehen aus luftigen Häuschen, Bretterverschlägen, die oft mit Palmwedeln gedeckt sind. In den Gärten blühen bunte Blumen, Hühner picken im Sand, ein Schwein räkelt sich im Schatten, die Hunde rennen uns bellend nach, Flamboyant-Bäume haben sich überall mit gossen knallig rotorangen Blüten geschmückt.



Unser erster Strand liegt bei Tenacatita. Am Sonntagnachmittag ist nicht mehr allzuviel los, es bleibt einem nur übrig, seinen Teil des Strandes und die Palapa (palmwedelgedecktes Strandhäuschen, das Schatten spendet) vom Müll zu reinigen, den die mexikanischen Grossfamilien zurückgelassen haben. Besonders ekelhaft sind die vollgekackten Windeln, ansonsten ist es das übliche: Strohhalme, Plastikteller und -gabeln, Bierdosen, Colaflaschen, Chipstütchen. Den Rest der Woche hat man den Strand praktisch für sich alleine, ab und zu kommt eine Familie aus dem nahen Dorf mit einer ganzen Kinderschar vorbei. In den Felsen wächst Agave colimana, wir haben also auch botanisch etwas zu tun. Morgens und abends schwärmen dicke Mücken aus dem nahen Urwald, ohne Mückenschutz kann der Sonnenuntergang nicht in Ruhe genossen werden. Im nahen Dorf kann man jeden Morgen frischen Fisch erstehen. Das Meer ist herrlich erfrischend, es gibt sogar einige Felsen, wo man schön schnorcheln kann.



Weitere Strände, die unser Reiseführer "Pacific Mexico" (Moon Handbooks, Ausgabe 2000) anpreist, sind schon sehr zugebaut mit Hotels, edlen Resortanlagen oder einfach nur mit privaten Ferienhäusern oder Palapa-Restaurants. Die Einsamkeit, das freie Campieren, die verschlafenen Fischerdörfer haben längst dem Touristenbusiness Platz gemacht. Die Suche nach einem einsamen Strand, wo man in erster Reihe gratis parken kann, wo einem nicht alle paar Minuten jemand Schmuck, Tücher, eine Bootstour, ja sogar Fischspiesse oder frische (?) Austern andrehen will, kann sich etwas mühsam gestalten. Meist gibt es sie aber doch noch, natürlich nur am Ende von schlechten und staubigen Pisten, bekannt nur bei den Einheimischen. Einen solchen Strand finden wir. Riesige Brecher haben einen mexikanischen Surfer angelockt, ansonsten sind wir ausser einem liebesbedürftigen Hund (wie heisst es doch so schön: "ein Hund ist ja auch nur ein Mensch...") die einzigen Menschen hier. In einer kleinen Bucht kann man etwas geschützt von den Wellen sogar baden, eine willkommene Abkühlung bei den hochsommerlichen Temperaturen, die einem die Kleider am Körper kleben lässt. Abends stossen wir bei einem Gläschen Weisswein auf unseren Fund an, werden jedoch schon wenig später eines besseren belehrt. Kurz nach Sonnenuntergang, als wir Licht im Auto anmachen, schwärmen schon Tausende von kleinen Käfern herum, die es darauf angelegt haben, uns in unserem gemütlichen Häuschen zu besuchen. Das Essen wird kalt und der Wein warm, bis wir alle Käfer ins Jenseits befördert haben. Wir müssen die meisten Fenster schliessen und "geniessen" unser Abendessen im Schweisse unseres Angesichts. Klar, dass wir uns am nächsten Tag gleich mal wieder einen neuen Strand suchen gehen...



Wo die Mex-200 sich ins Inland wendet, folgen wir Pisten entlang der Küste. Auch hier gibt es noch einsame Strände, teils kilometerlang, teils begrenzt durch hübsche Felsformationen, die uns an die runden Felsen der Seychellen erinnern. Bei genauerem Hinschauen kann man sogar Melocactus curvispinus ssp. dawsonii mit kleinen rosaroten Blüten zwischen der niedrigen Strandvegetation entdecken. Das Tosen der Brandung des Pazifik begleitet einem Tag und Nacht, ab und zu kann man das Donnern und Rauschen der sich am Strand brechenden Wellen fast als Lärm empfinden. Auch hier erscheinen am Wochenende mexikanische Familien, die sich über Nacht in den paar Palapas häuslich einrichten. Als Haustier durfte "Pánfilo" mitkommen, ein neugieriges junges Coati, das mit den Kindern spielt, wenn es nicht gerade mehr Schabernack im Kopf hat. Ueber Nacht hat es seinem Herrchen die Zigaretten aus der Hosentasche geklaut und sie genüsslich zerkaut ! Weitab von der nächsten Teerstrasse entdecken wir ein kleines Paradies. Tehualmixtle, kurz einfach nur Tehua genannt, ist ein kleines Fischernest mit 10 Häusern und 3 Strandrestaurants, wobei sich die Restaurants nicht oberhalb des Strandes, sondern am Hafen befinden. In der kleinen völlig geschützten Bucht mit einem wunderhübschen Sandstrand schaukeln farbige Fischerboote. Morgens verschwindet immer ein Teil der "Flotte", um nach einigen Stunden mit Huachinango (Red Snapper), Mojarra (Meerbrasse), Cazón (Haifisch), aber auch Pulpo (Krake) und Langosta (Languste) wiederzukommen. Die Austerntaucher bringen grosse Säcke mit frischen Austern, die am Hafen gleich aufgeschlagen und in den Restaurants Austernliebhabern (zu denen wir uns nicht zählen) serviert werden. Wir halten uns da lieber an gebratenen Fisch, lauwarmen Pulposalat oder als Krönung an im eigenen Häuschen zubereitete Langusten. Die kleinen Kinder haben bald herausgefunden, dass wir einen reichen Fundus an Süssigkeiten dabeihaben. Die Einheimischen grüssen uns freundlich, mittlerweile gehören wir fast schon zum Dorfbild, so wie wir an der Hafenmole campieren. Um ein gesunkenes Schiff und Felsen herum gibt es Korallen, Farne, Seeanemonen und natürlich die verschiedensten tropischen Fische zu beobachten. Schwärme von kleinen gelb-blau gestreiften Fischen, fast durchsichtige lange Knochenhechte, in der Sonne immer wieder silbrig aufblitzende Fische in grossen Schwärmen, aber auch orange, dunkelblaue mit weiss eingerahmten federartigen Schwanzflossen, ein besonders bunter mit blauem Kopf, gelbem Rumpf, lilafarbenem Mittelteil und hellblauem Schwanz, und viele, viele bunte Fische mehr.



Kommt man in die Nähe von Puerto Vallarta, ist die Küste völlig zugebaut. Die wenigen kleinen Sandstrände sind übervölkert mit meist rot- bis dunkelrot-gebrannten Touristen aus den USA und Kanada, die in wenigen Tagen eine möglichst tiefe Urlaubsbräune erlangen wollen, die sie nachher im Büro irgendwo im hohen Norden stolz vorzeigen können. Die Küste ist hier extrem steil, neben der Strasse erheben sich die Felsen und Berge, so blieb den Hotelbauern nicht viel Platz. Gibt es mal einen kleinen Sandstrand wie z.B. Mismaloya, wurde er bestimmt mit einem riesigen Hotelkasten völlig zugebaut. Den kläglichen Rest haben Palapa-Restaurants für sich in Beschlag genommen. An den steilen Felsen kleben die Villen von Amerikanern, die meisten davon stehen zum Verkauf. Natürlich gibt es auch die üblichen Hotelruinen, es werden sogar immer noch mehr neue Hotels gebaut, als ob es nicht schon genügend davon hätte ! Puerto Vallarta selber ist eher ein kleines Nest (obwohl es gerade eben noch einen WalMart und einen Sam's Club bekommen hat, grosse Supermarktketten aus den USA), das bequem zu Fuss zu erkunden ist. Am Malecón (der Strandpromenade) reiht sich ein Restaurant ans nächste. Aus jedem dröhnt eine andere laute Musik, vor jedem steht ein Kundenfänger, der die Vorzüge, d.h. v.a. die Bierpreise ankündigt. Wir entscheiden uns für eine no-name Pizzeria, vornehmlich deshalb, weil man am meisten Bier für das wenigste Geld bekommt. In einem kleinen Eimer mit Eiswürfeln, damit die Bierflaschen schön kalt bleiben, bekommen wir 5 1/2 Flaschen für 50 Pesos. Dieses Angebot konnte von keinem anderen Laden geschlagen werden. Da kann es einem schon passieren, dass man für 2 Flaschen 50 Pesos hinlegt, eine Unverschämtheit, doch anscheinend gibt es noch genügend Dumme, die sowas bezahlen. Von unserem Restaurant aus haben wir den perfekten Blick auf den Malecón und können die vielen Schönheiten bewundern, die hier halbnackt herumflanieren. Die meisten müssen schon eine gehörige Portion Selbstvertrauen besitzen, um mit diesen Formen nur halb oder zu eng bekleidet durch eine Stadt im tief-katholischen Mexiko zu spazieren !



Weiter nördlich sieht es ebenfalls düster aus an der Küste. Wurde der Zugang nicht ganz abgesperrt, weil das Gelände für Villen oder teure Resorts aufgekauft wurde, versperren Motels, Bungalowanlagen oder Restaurants den Zugang zum Meer. Auch hier hilft es nur, wenn man sich auf staubigen Pisten z.B. durch die Fruchtplantagen von Nayarit bewegt, um so an einen kilometerlangen weissen Sandstrand zu kommen, der von einem Kokoshain und weiter hinten von dichtestem Urwald gesäumt ist. Im brackigen Wasser am Rande des Urwaldes tummeln sich Austernfischer, kleine blaue Reiher, Enten, weisse Ibisse und rosarote Löffler, am Meer fischen Pelikane und verschiedene Möwen und Fregattvögel. Egrets und gelbschöpfige Nachtreiher stehen auf der Lauer nach kleinen Fischen oder Krabben. In den Felsen wohnen riesige urweltliche Leguane, die sich auf den Steinen sonnen. Am Wochenende kommen Familien, ab und zu sogar aus dem weit entfernten Guadalajara, um sich am Strand zu vergnügen und einige Einheimische aus dem nahen Dorf öffnen ihre kleinen Palapas, wo sie gebratenes Huhn und Fisch servieren. Das Wochenendvergnügen sieht für praktisch jeden Strand, wo Mexikaner hinkommen, gleich aus: laute Musik, Essen aus der Kühlbox, Bier schon am Morgen, Müll grosszügig in der Gegend verteilen, dann als Krönung das Auto im Sand versenken und bei uns um Hilfe fragen.



Das tollste Erlebnis an einem Strand mit einem kleinen Fischerdorf ist die 80%-ige Sonnenfinsternis, die wir hier miterleben dürfen. Die Fischer schicken uns an einen hübschen Platz, von dem aus wir einen perfekten Blick für den Sonnenuntergang haben. Kaum haben wir uns installiert und die Kameras ausgepackt, kommen auch schon die ersten Männer aus dem Dorf angefahren, die das grosse Ereignis, von dem sie durch uns erfahren haben, ebenfalls miterleben wollen. Unsere Sonnenfinsternis-Brillen, die wir noch von der totalen Sonnenfinsternis 1999 in Stuttgart dabeihaben, machen die Runde und jeder murmelt aufs neue, dass er doch tatsächlich sehe, wie sich der Mond vor die Sonne schiebe. Bald verwandelt sich die untergehende Sonne in eine riesige orangerote Kugel, zu einem Teil immer noch abgedeckt vom Mond. Langsam versinkt sie hinter einem Inselchen, zuerst als Sonnensichel, schlussendlich als Haifischflosse, bis auch das letzte Spitzchen verschwunden ist. Sogar die Mexikaner sind ganz begeistert und ergriffen von diesem Spektakel, das die Natur uns zu bieten hat !



Mai 2002



Julia Etter & Martin Kristen