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"Tünnes" im Land der begrenzten Unmöglichkeiten



Wenn der "Tünnes" (das ist Georgs Spitzname) nach Amerika kommt, geht immer etwas schief. Beim ersten Mal kam er einen Tag zu früh. Dieses Mal steigt er in Los Angeles in die Maschine nach San Luis Obispo ein, wird aber wieder ausgeladen, weil die Maschine zu schwer ist. Das kommt wohl davon, wenn man seinen Freunden so viel Schwarzwälderschinken und Schokolade mitbringt... Den Schinken, Käse und die Schokolade hat Georg todesmutig deklariert - und ist damit durchgekommen ! Er hat dem Zollbeamten schlicht und einfach erklärt, dass dies alles Schweizer Spezialitäten seien, die wir abends gleich verdrücken würden. Gott sei Dank haben sie ihn nicht auch noch nach der Menge gefragt.



Die ersten paar Tage können wir bei unseren Freunden in Atascadero unterkommen. Besuche bei den wenig bekannten Weinkellereien der Gegend dürfen natürlich nicht fehlen. Ebensowenig eine Fahrt entlang der Pazifikküste.



In Cambria finden wir am Sonntag ein Restaurant, wo wir im Schatten grosser Bäume oberhalb eines kleinen Baches einen Champagner-Brunch geniessen. Danach geht es entlang der Küste Richtung Norden. Bei Ragged Point wird die Küste richtig steil. Auf der einen Seite fallen die Felsen steil ab in die tosenden Wellen des Pazifik, auf der anderen Seite steigen sie an bis in die grünen Hügelketten. Natürlich führen wir Georg "unsere" Pflanzen vor. An dieser Stelle ist es Dudleya palmeri, von der wir einige Fotos schiessen wollen. Noch gut in Erinnerung haben wir ein speziell farbiges Polster unterhalb der Strasse. Doch nach der langen Trockenzeit sind die Pflanzen hier fast nicht zu sehen. Sie sind durchwegs grau mit vielen vertrockneten Blättern und verstecken sich im dürren Gras. Kaum zu glauben wie schön diese Pflanzen nach den Winterregen sein können !



Unsere Touren durchs "wine country" führen uns zu Eberle, einem eher bekannten Weingut. Danach begeben wir uns auf uns noch unbekannte Pfade und besuchen viele kleine Weingüter. Schmale Strassen führen über gelbe Stoppelwiesen und durch lichte Eichenwälder. Ursprüngliches Kalifornien, wie es einst an vielen Orten ausgesehen haben muss. Die Weingüter sind meist Familienbetriebe, wo nur zur Erntezeit ein paar Mexikaner als Hilfe angeheuert werden. Einige Familien haben sich auf biologischen Anbau spezialisiert. Ziegen, Hühner, Gänse und Schweine weiden innerhalb eines Geheges und man kann auch Walnüsse und Mandeln erstehen. Überall riecht es nach gärenden Trauben. Die Besitzer der kleinen Weingüter sind immer wieder sehr daran interessiert, etwas über Schweizer Wein zu erfahren.



Eine andere Tour führt uns ins Santa Ynez Valley und durch den Foxen Canyon. Bauernhöfe wechseln sich mit Weingütern ab. Die Rebberge färben sich langsam gelb und rot. Kühe und Ziegen weiden unter grossen Eichenbäumen. In kleinen Ortschaften mit bunten Häusern flanieren wir entlang Galerien, geniessen einen Kaffee in der Morgensonne und mittags verköstigen wir uns echt amerikanisch unter einer grünen Pergola mit Sandwiches. Die Weingüter hier sind etwas mehr "in" und gestylt, eines gehört sogar einem Hollywood-Star. Besonders gut in Erinnerung wird uns ein Pinot Noir bleiben, ein oft in dieser Gegend angebauter Wein. Der Wein mit Namen "Julia" schmeckt wie ein echter Schweizer Pinot. Als Namensschwester des Weines und als Schweizer haben wir uns das Herz des Angestellten des Weinhauses Cambria (derselbe Namen wie die oben schon einmal genannte Ortschaft, die jedoch ganz woanders liegt) gewonnen. Er öffnet uns eine Flasche 1989er Pinot Noir aus einer Produktion mit nur wenigen Kisten. Was für ein herrlicher Wein ! Doch für $50 pro Flasche etwas über unserem Budget.



Als gute Reiseleitung (siehe unsere anderen Reiseberichte über Besuche von Freunden) wollen wir unserem Gast aus Deutschland natürlich auch etwas vom berühmten Kalifornien zeigen. Durch knochentrockenes Land mit endlosen gelben Weiden, schnurgeraden Strassen und nur wenigen Siedlungen, fahren wir Richtung Sierra Nevada. Unser Ziel ist der Sequoia Nationalpark. Unter der Woche und ausserhalb der Ferienzeit ist hier nicht viel los, mal abgesehen von den sehr aktiven Bären, die vor ihrem Winterschlaf überall nach Fressbarem suchen. Unsere Lebensmittel, Sonnencreme, Wasserflaschen und Duschgel müssen wir in bärensicheren Containern unterstellen, während wir im Park herumwandern. Der Herbst hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Die Blätter der Bäume leuchten von gelb bis rot und niedrige Sträucher sind mit dunkelvioletten Blättchen geschmückt. Der Aufstieg auf den Moro Rock ist abenteuerlich. 400 in den Granitmonolithen geschlagene Treppenstufen führen steil auf die Aussichtsspitze. Die Sicht ins Tal Richtung Westen ist dunstig, dafür können wir die kargen Bergspitzen, viele gegen 4000m hoch, der Western Divide bewundern. Im Licht der untergehenden Sonne klettern wir zum Parkplatz hinunter, während eine Gruppe junger Deutscher völlig ausser Atem die Stufen hinaufkeucht, um oben feststellen zu müssen, dass die Sonne in einer Dunst- und Wolkendecke verschwindet.



Natürlich dürfen einige Spaziergänge zwischen den mächtigsten Lebewesen der Erde hindurch nicht fehlen. Die Sequoias werden bis zu 90m hoch und können einen Umfang von bis zu 30m erreichen ! Wir Menschen sehen neben den 2000 Jahre alten Riesen wie krabbelnde Insekten aus. Unter einem Baumstamm kann man sogar mit dem Auto durchfahren, eine richtige amerikanische Touristenattraktion, der auch wir nicht widerstehen können. Die einfach zugänglichen Bäume, die auch zugleich zu den mächtigsten gehören, sind immer von Menschengruppen besucht. Doch wir fahren auf einer ehemaligen Holzfällerpiste zum Redwood Grove Canyon, wo wir morgens ganz alleine unter den mächtigen Bäumen herumwandern können. Nach Bären halten wir vergebens Ausschau, es begegnen uns nur einige kleine Hirsche, viele fleissige Eichhörnchen und ganz blaue Eichelhäher.



Vom Sequoia Nationalpark aus fahren wir nach Fresno, wo wir das Auto mit Fressalien für eine Woche vollstopfen. Am Huntington Lake, unserem nächsten Ziel, ist die Sommersaison längst vorbei und der Winter hat noch nicht begonnen, so wird der kleine Laden keine sonderlich gute Auswahl an Lebensmitteln führen. In der Dunkelheit doch bei einem sagenhaft klaren Sternenhimmel erreichen wir das Ferienhäuschen von Freunden, das wir vor zwei Jahren schon einmal besuchen durften.



Jeden Tag unternehmen wir nun lange Ausflüge in die Umgebung. Mal wollen wir zum Idaho Lake wandern, erwischen aber den falschen Weg und enden weit oberhalb des kleinen Sees, wo wir dafür eine spektakuläre Sicht in die endlosen Granitgipfel der Sierra Nevada haben. Die Betreiber der Mono Hot Springs machen grade die Badewannen dicht. Trotzdem zeigt uns der alte Mann, der noch mit seiner Enkeltochter dort oben haust, die Badehäuschen. Ein grosses Schild verbietet Alkoholkonsum, doch unser Führer hat nicht nur eine rote Nase, sondern riecht auch noch 100m gegen den Wind nach Alkohol ! Die gemauerten Badewannen sind in einem furchtbaren Zustand und wir sind froh, dass die Saison vorbei ist. Zwar versichert uns der Betreiber, dass hier während der Saison alles blitzblank sauber und richtig toll sei, doch so ganz können und wollen wir ihm das nicht glauben. Lange Spaziergänge am See, dessen Pegelstand für die kommende Schneeschmelze sehr niedrig ist, fördern eine ganze Angelausrüstung zutage. Wir finden nicht nur Haken, Bleigewichte und Blinker, sondern sogar eine ganze Angelrute, deren Rolle nur etwas mit Öl verwöhnt werden muss, um wieder ganz normal zu funktionieren. Die Indian Pools sind schon mit einer dicken Eisdecke überzogen, grosse Heidelbeerbüsche violett gefärbt und die Birken verlieren ihre letzten gelben Blätter. Die Rancheria Falls sind völlig zugefroren. Eiszapfen hängen von den Felsen und das Wasser gurgelt nur noch unterirdisch durchs Eis hindurch. Etwas skeptisch sehen wir zu, wie Georg auf dem Eis herumkraxelt - wenn er sich nur kein Bein bricht ! Es geht noch einmal gut.



Wenn wir nicht gerade unterwegs sind, geniessen wir die Aussicht durch die Tannenbäume auf den See, tratschen über Gott und die Welt, prüfen eine Flasche Wein von den Weingütern um San Luis Obispo herum, und lassen natürlich auch das Kulinarische nicht zu kurz kommen. Bei seinen nachmittäglichen Gängen in den Dorfladen, wo er jedesmal Eis ("am Stiel") ersteht, das sich auch nach dem 10-minütigen Heimweg noch wie aus dem Tiefkühler anfühlt, erfährt Georg vom kommenden Sturm, der am Wochenende Schnee in die Berge bringen soll. Natürlich haben wir auch dies perfekt eingeplant und wollen Huntington Lake einen Tag vor dem grossen Sturm verlassen. Am Mittwochabend machen wir eine grössere Eintragung im Gästebuch, natürlich mit einem Hinweis darauf, wie toll wir wieder einmal alles geplant haben. Doch die Strafe ereilt uns bald. Am Donnerstagmorgen wachen wir in einer gespenstischen Stille auf und die Landschaft ist völlig weiss ! Es schneit ununterbrochen, während wir das Haus putzen, unsere Siebensachen zusammenpacken und auf den Schneepflug warten. Doch der kommt und kommt nicht und so ziehen die Männer unserem von Freunden ausgeliehenen Auto sicherheitshalber Ketten auf. Langsam fahren wir den Berg hinunter bis an den See, wo uns der erste Schneepflug entgegenkommt. Für die nächsten 14 km fahren wir langsam mit Ketten durchs Schneegestöber und geniessen die wunderschöne Landschaft. Was kann man sich für einen Urlaub mehr wünschen als gute Freunde um sich zu haben, gutes Essen und Wein, phantastische Landschaften von der Pazifikküste bis in die Berge von Kalifornien, und dann auch noch ein schneegekrönter Abschluss !



Oktober 2002



Julia Etter & Martin Kristen