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Drei Wochen Ferien



Unsere Qualitäten als Reiseleitung scheinen sich langsam herumzusprechen. Bald werden wir uns vor dem Ansturm der Besucher aus Europa gar nicht mehr retten können. Mexico hat natürlich auch einiges zu bieten, v.a. wenn man im Februar mal etwas von der Kälte und dem Schnee in der Schweiz Urlaub machen will. Für unsere Freundin Margrit mussten wir allerdings schon etwas mehr Register ziehen als für die vorherigen Gäste, die vornehmlich an Kakteen interessiert waren. Margrit wollte einen Gesamtüberblick über Mexico bekommen. Ein bisschen etwas von allem: Kultur, Strand, Pflanzen. Da sie aus dem Alter heraus ist, wo man gerne im Zelt übernachtet, mussten wir wohl oder übel unseren PocoLoco unterstellen und ein kleines Auto mieten. Es fiel uns allerdings schon schwer, auf den Luxus der eigenen Dusche und des eigenen Bettes zu verzichten, doch mit Badesandalen und Leintuchschlafsack waren wir gerüstet gegen hygienisch nicht ganz einwandfreie Badezimmer und allfällige unerwünschte tierische Gäste im Bett.



In Guadalajara wollen wir alles ganz gut vorbereitet haben für Margrits Ankunft am späten Abend. So fahren wir an der Ausfallstrasse in der Nähe des Flughafens die diversen Motels auf der Suche nach Zimmern ab. Die Mexicokenner wissen natürlich schon Bescheid, kaum sagt man, dass man in einem "Motel" übernachtet hat. Diese Etablissements sehen einem Bunker nicht unähnlich. Man zahlt bei einem Portier oder dem Zimmermädchen. Jedes Zimmer hat eine eigene abschliessbare Garage. Und der Preis ist verlockend, nur 200 Pesos pro Nacht (was umgerechnet ca. 30 Franken entspricht). Nachmittags kann man allerdings noch kein Zimmer bekommen, alles besetzt. Wir sollen es doch sehr viel später am Abend nochmals versuchen, da hätten wir wahrscheinlich mehr Glück, sagt man uns. Langsam dämmert dann auch der unschuldigsten Seele, dass man in einem Stundenhotel gelandet ist. Doch was soll's, die Lage ist perfekt. Da wir allerdings 3 Nächte in Guadalajara verbringen wollen, müssen wir uns eine andere Bleibe suchen. In Tlaquepaque finden wir endlich ein sehr hübsches Bed & Breakfast Hotel, wo wir erst einmal zum Kaffee eingeladen werden. Mit dem verantwortlichen jungen Mann handeln wir schliesslich einen guten Deal aus. Eine Nacht müssen wir im Stundenhotel verbringen. Am nächsten Morgen sind wir allerdings zum Frühstück eingeladen und ausserdem bekommen wir noch einen Rabatt auf den Zimmerpreis. Am späten Abend stehen wir pünktlich am Flughafen und warten auf den Flieger aus Atlanta, der auch ohne Verspätung ankommt. Margrit kommt als eine der ersten durch die Türe, schwer beladen mit Schokolade und sonstigem Nachschub aus der Schweiz. Um diese Uhrzeit ist es dann kein Problem mehr, in einem der Motels zwei Zimmer zu finden. Die Zimmer sind riesig, ohne Kleiderschrank und Wolldecken. Die Dusche ist grosszügig konzipiert. Ein riesiger Spiegel hängt gegenüber dem Bett, am Kopfende gibt es praktischerweise einen Endlosdispenser mit Taschentüchern. Durch eine von innen und aussen separat zu öffnende Durchreiche kann man sich Pizza, Zigarren, Bier, Kondome und Vaginalzäpfchen bestellen. Am Wochenende kann man ein solches Zimmer ab 11 Uhr nachts für 8 Stunden haben. Freundlicherweise räumt einem das Management eine Stunde Kulanz am Morgen ein, so müssen wir die Bude also erst um 8 Uhr in der Früh räumen. Zimmermädchen wieseln schon mit neuer Wäsche herum. Man bereitet sich auf einen weiteren Besucheransturm vor.



Sonntags gibt es in Tonalá einen grossen Markt, der sich über zig Quadratkilometer hinzieht. Die Strassen sind mit Ständen gesäumt und fast jeder Privathaushalt hält vor der eigenen Haustüre auch noch Waren feil. Tonalá ist berühmt für seine Glasbläserei. Um die hübschen kleinen Tequila-Shotgläser mit einem Kaktus oder einer Agave am Glasboden zu finden, muss man allerdings schon einige Kilometer zu Fuss zurücklegen und alle Stände gut studieren. Grossenteils wird der entsetzlichste Kitsch verkauft, doch die Mexikaner sind bald mit gefüllten Tüten unterwegs. Gekreuzigte und Blutige in allen Formen und Farben. Die Virgen de Guadalupe (die Nationalheilige Mexicos) aus Glas, Wachs, Holz und Metall. Geschirr aus Oaxaca und Puebla. Geschnitzte Holzmöbel mit bunten Ueberzügen. CD Raubkopien, Wandteppiche, Töpfereien aus Guanajuato, Papageien und Singvögel (lebend versteht sich). Und dazwischen Fressbuden mit vielen Leckereien und Erfrischungsstände, wo man sich eine junge Kokosnuss öffnen lassen kann. Das Wasser wird in einen Plastikbeutel gefüllt. Die Kokosnuss wird mit einem speziellen Utensil ausgekratzt, das Fleisch in einen Beutel gefüllt und mit Chilipulver, Salz und Limesaft gewürzt. Abends dann schlendern wir in Tlaquepaque über den Hauptplatz, schauen uns die vielen Galerien und Kunstgeschäfte an und beschliessen den Tag mit einer Margarita oder einem mexikanischen Bier.



Die erste Station auf unserer kleinen Rundreise ist Tapalpa, ein kleines Bergdorf mit einzigartigen Holzhäusern und Arkaden entlang des Hauptplatzes. In der Nähe wandern wir bis zum Salto el Nogal, wo es viele interessante Pflanzen zu sehen gibt. Ein steiler Pfad führt bis zum Boden der Schlucht hinunter. In den senkrechten Felswänden blüht Tillandsia pamelae, die schon eher wie eine riesige Bromelia aussieht. Zwischen Agave pedunculifera und A. filifera ssp. schidigera leuchtet Echeveria colorata ganz hellblau aus den grauen Felsen. Am Canyonrand bedeckt Sedum griseum grosse Flächen und Echeveria chapalensis versteckt sich vor den gefrässigen Kühen in stachligem Gebüsch. In der Nähe des Wassers gedeiht Graptopetalum fruticosum. Weiter oben steht Agave inaequidens gerade in Blüte. Natürlich kann man auch Kakteen und viele weitere Pflanzen finden. Der Abstieg ist relativ einfach. Baden im riesigen Becken unerhalb des ca. 100m hohen Wasserfalls ist leider nicht ratsam, da einem grosse Strudel gefährlich werden können. Vor dem Aufstieg stärken wir uns mit einem grossen Stück Schokoladekuchen, den Margrit aus der Schweiz nach Mexico geschmuggelt hat. Den Tag beschliesst man am besten mit einigen Bier und ein paar Kleinigkeiten im Restaurant am Hauptplatz, aus dem die lauteste Musik dringt, wo sich aber auch die ganze Dorfjugend versammelt.



Als nächstes steht etwas Katastrophentourismus auf dem Programm. Allerdings war die Reise nach Colima schon vor dem grossen Erdbeben geplant und so haben wir nun nur Probleme, Zimmer in der Stadt zu finden, weil fast alle Unterkünfte von Mexikanern belegt sind, die an der Behebung der Erdbebenschäden arbeiten. Das Stadtzentrum ist erstaunlicherweise bis auf ein paar Risse in einigen Gebäuden völlig heil geblieben, doch in den umliegenden Quartieren ist die Zerstörung teils beträchtlich. Von dem Restaurant, wo wir essen gehen wollen, steht nur noch die Fassade. Nächste Woche wird aber schon wieder Essen serviert, versichert uns der Nachbar. Das Militär hilft den Schutt wegzuräumen und überall sind die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten in vollem Gange. Nördlich von Colima kann man in Richtung der Vulkane Nevado de Colima und Volcán de Fuego fahren. Zuckerrohrfelder und Kaffeeplantagen prägen die Landschaft. In hohen Bäumen entdecken wir epiphytisch wachsende Echeveria fulgens und Manfredas, aber auch Hylocereen und Orchideen.



Südlich von Colima wird es immer tropischer und wärmer. In der Nähe von Tecomán, dem Epizentrum des Erdbebens, sind wieder viele Schäden zu sehen. In einem Restaurant ist die Hälfte des Lokals mit einem grossen Tuch abtrennt. Dahinter befindet sich ein grosses Bett, improvisiertes Badezimmer und eine ganze Garderobe. Beim Erdbeben ist der Rest des Hauses zusammengestürzt und so wohnt man jetzt eben etwas gedrängter und hat die Hälfte des Restaurants drangegeben. Die Leute freuen sich über den Besuch von so weit her und schätzen sich glücklich, dass ihnen nur das halbe Haus zusammengestürzt ist. "Gracias a Diós" sind sie selber noch am Leben !



Für eine Woche haben wir nun ein kleines Haus am Meer gemietet. Die Zufahrt ist abenteuerlich steil und eigentlich eher für einen Unimog geeignet als für ein kleines Mietauto mit 3 Personen und viel Gepäck. Weit oberhalb der Bucht von Tenacatita und dem Fischerdorf La Manzanilla gastieren wir wie die Könige. Die Sicht über die halbrunde Sandbucht, die Palmenhaine und den blauen Ozean ist atemberaubend ! Jeden Abend stossen wir mit Margaritas, die uns Martin schier perfekt hinzaubert, zum Sonnenuntergang an. Die Küche befindet sich draussen, ebenso die Esstische, was bei den herrschenden Temperaturen ganz angenehm ist. Und mit genügend "Antibrumm" halten sogar die Mücken Distanz. Anstatt in den TV, sowas gibt es hier eh nicht, glotzen wir an die weisse Wand, an der flache Geckos Jagd auf Motten und grosse Nachtfalter machen. Besonders eine Stabheuschrecke in Form eines braunen Blattes hat es uns angetan. Sie haengt an einem Pfeiler und schwingt wie ein richtiges Blatt im Wind hin und her, um sich vor uns unsichtbar zu machen. Morgens wecken einem kreischende Papageien und andere farbige Vögel. Am Wochenende kann es aber auch schon mal die Stereoanlage sein, die für das Dorffest getestet wird. Die Woche vergeht wie im Fluge mit schnorcheln, schwimmen und Strandspaziergängen.



Ein Besuch in Mexico ohne Besichtigung einer Tequila-Fabrik ist natürlich nichts wert. In Amatitán wollen wir uns die Hacienda "La Herradura" ansehen, doch an einem Sonntag wird hier nicht gearbeitet. Ausserdem muss man sich mit einer Tour anmelden und dann werden schlappe 300 Leute auf einmal durchgeschleust. Doch gegenüber haben die Aktionäre des Tequila "Regional" gerade ihre Sitzung abgeschlossen und wir finden einen jungen Mann, der trotz Rausch noch fähig und willens ist, uns die Räumlichkeiten zu zeigen und den ganzen Prozess zu erklären. In Tequila selber verkauft so ungefähr jedes Geschäft Tequila oder Gläser und Flaschen für Tequila.



Um Margrit auch einen Einblick in die Kaktuswelt Mexicos zu geben, fahren wir nun nach San Luis Potosí. Wir werden bei Freunden empfangen und geniessen gerne den Luxus eines privaten Haushaltes im Gegensatz zu einem Hotel am lärmigen Strassenrand. Wir unternehmen Ausflüge nach Huizache, wo es etwa die meisten unterschiedlichen Kakteen an einem Ort in Mexico zu sehen gibt, darunter auch viele Raritäten, die nicht so einfach zu finden sind. Oestlich von San Luis Potosí kann man in die Sierra de Álvarez fahren, wohin wir einen Ausflug mit unseren Gastgebern, den Fitz Maurices, unternehmen. Auf kleinen Pisten kann man weit ins Land hineinfahren, kommt durch abgelegene Ortschaften und eine wunderschöne Landschaft, die auch von den Pflanzen her sehr interessant ist.



In Santa Maria del Río besuchen wir das Rebozo-Museum. Die kleine Stadt ist berühmt für die Herstellung von Rebozos und hat schon viele Preise gewonnen. Ein Rebozo ist ein gewobener Schal mit Spitzenende. Früher wurden alle Rebozos aus Seide hergestellt, heute wird leider immer öfter Kunstseide verwendet, weil diese billiger und besser zu verkaufen sind. Im Museum kann man den Frauen und Männern zuschauen wie sie die Rebozos weben. Andere färben die Seide ein oder spulen sie auf. In einem angrenzenden Raum klagt uns eine ältere Frau ihr Leid, die die Rebozos fertigstellt, d.h. auf beiden Seiten die Spitzenborte anknüpft. Sie kann nur noch mit Brille arbeiten und bekommt für einen Rebozo, den sie in zwei Wochen fertigstellt, gerade mal 300 Pesos (45 Franken). Dafür arbeitet sie 5 Stunden pro Tag, doch die WeberInnen sollen besser bezahlt werden. Einen echten Seidenrebozo kann man für ca. 4000 Pesos (550-600 Franken) erstehen. Für einen aus Kunstseide bezahlt man je nach Muster zwischen 800-1500 Pesos (110-220 Franken).



Nach einer Uebernachtung in Dolores Hidalgo, einer sehr hübschen Kolonialstadt mit viel Charme, wo Mexicos Unabhängigkeit anno 1810 ausgerufen wurde, steht als letzte Station noch Guanajuato auf dem Programm. Die Stadt gehört seit 1989 zu den UNESCO-Welterbe-Städten und ist einen Besuch wirklich wert. Leider haben das auch schon viele andere Touristen herausgefunden. Trotzdem sind es eigentlich immer noch meist mexikanische Touristen, die in den Strassen flanieren. Wir besuchen die berühmte Silberminen-Kirche "Valenciana de San Cayetano", die auf einem Hügel hoch über der Stadt thront. Immer wieder beeindruckt uns, wieviel die Gläubigen sich vom Munde abgespart haben müssen, um einen solch prunkvollen Glaubenstempel aufzustellen. Das viele Gold in dieser Kirche erschlägt einem fast, bloss dass heute anscheinend das Geld fehlt, um alles auch regelmässig abzustauben. Die Stadt ist zwischen Hügel gezwängt und über die Jahrhunderte die Hänge hinaufgewachsen. Die kleinen ineinandergeschachtelten Häuschen sind in allen Farben bunt gestrichen, um jede Gassenecke herum eröffnen sich einem deshalb immer neue farbenfrohe Blicke. Ein weitreichendes Tunnel-System, von vorausdenkenden Stadtvätern gebaut, bietet den Autofahrern einen einfachen Zugang zum Stadtzentrum. Nur in den engen Gassen stauen sich v.a. abends und am Wochenende die Fahrzeuge und besonders die qualmenden Busse lassen in einem den Wunsch aufkommen, dass man aus dem Herzen Guanajuatos bald eine Fussgängerzone machen möge. Um die Stadt herum führt eine Panoramastrasse, von der man immer wieder tolle Blicke auf das farbige Häusermeer werfen kann.



Hat man Lust, das Verhalten von einer Menge Touristen zu studieren, dann muss man sich nur bei der Statue der Stadt, beim "Pipilá", der hoch über dem Zentrum thront und mit einem kleinen Schweizer Bergbähnchen einfach erreicht werden kann, hinsetzen und kann genüsslich beobachten. Ist man genug gewandert, setzt man sich am "Jardín" in eines der vielen Restaurants und geniesst ein kühles Bier. Alle paar Minuten will einem zwar jemand Schmuck, Teppiche, Hängematten oder Ponchos verkaufen, doch mit einem Winken hat man die Verkäufer schnell wieder los. Für 50 Pesos (7 Franken) pro Lied kann man sich bei Lust und Laune eine Gruppe von Mariachi-Musikanten an seinen Tisch organisieren. Unsere Nachbarn scheinen so ihren Monatslohn zu verpulvern, spendieren Bier und Tequila und amüsieren sich köstlich mit zwei Touristinnen, die bald auch herzhaft mitsingen.



Drei Wochen sind erstaunlich schnell um und wir müssen Margrit wieder nach Guadalajara an den Flughafen bringen. Eigentlich würde sie gerne noch länger bleiben und meint, es wäre doch jetzt ganz schön, bis nach Yucatán weiterzufahren und die Wärme noch ein bisschen geniessen zu können. Doch leider warten zuhause die Angestellten ihrer Firma auf den Februar-Zahltag. Wie das Leben so spielt...



Februar 2003



Julia Etter & Martin Kristen