travelog 61






Tierra Caliente



Den Georg, in Mexico auch Jorge (ausgesprochen Chorche) genannt, kennt Ihr ja schon von früheren Reiseberichten. Unser Freund Georg scheut vor gar nichts zurück und hat uns in Mexiko besucht, und das von Mitte bis Ende März ! Darin liegt an sich kein Problem, doch wenn man, wie Georg, ein Nordmensch ist, dann fühlt sich März im Herzen Mexikos schon wie Hochsommer an. Da scheiden sich natürlich die Geister. Den einen gefällt's und sie können es kaum erwarten, dem grauen und nasskalten Winterende in Europa zu entfliehen, und die anderen fühlen sich auch bei 5° Celsius im T-Shirt noch pudelwohl. Doch eigentlich wollen wir Euch ja von unserer kleinen Rundreise durch Michoacan erzählen.



Georg wollte ein bisschen was von allem sehen, was es so gibt: Kultur, Natur, Meer. Und wir wollten auch mal eine neue Gegend auskundschaften, was lag also näher als eine Reise durch Michoacan. Michoacan ist ein mexikanische Bundesstaat im Herzen Mexikos, der einem ein bisschen etwas von allem bietet. Viele Ecken von Michoacan sind noch völlig unerforscht und erscheinen quasi als weisse Flecken auf der Karte, wo es höchstens ein paar schlechte Pisten und abgelegene Indiodörfer gibt. Berühmt ist Michoacan v.a. für die Hauptstadt Morelia, die von der UNESCO unter Schutz gestellt wurde, aber auch für kleinere Städte wie Patzcuaro. Töpferkunst und Holzhandwerk aus Michoacan sind weitum bekannt, die Pazifikstrände hingegen sind noch immer ein Geheimtip.



Für Georg war es die erste Reise nach Mexiko und so war er verständlicherweise fasziniert von verschiedenen Dingen. Unterwegs auf mexikanischen Strassen fallen einem als erstes die "Topes" auf. Georg nannte diese Verkehrshindernisse, die dazu dienen, den Autoverkehr an strategischen und gefährlichen Orten zu verlangsamen, sehr treffend "Sprungschanzen". Jedes Dorf kreiert seine eigenen Topes, die je nach Geschmack unterschiedlich hoch sind. Meist sind sie angeschrieben, doch wenn man Pech hat und zu schnell über einen unangekündigten Tope fährt, leidet nicht nur der eigene Rücken, sondern auch die Radaufhängung des Autos kann beträchlichen Schaden nehmen. Allerdings sind Topes oft die einzige Möglichkeit, die Mexikaner dazu zu bringen, in einem Dorf oder einer Stadt den Fuss vom Gaspedal zu nehmen. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zu Deutschland, wo Georg herkommt, sind die vollbesetzten Pickups. Vorne sitzen mindestens drei Personen und hinten auf der Ladefläche wird die ganze Familie inklusive allem, was man für den Sonntag im Feld braucht, verstaut. Jugendliche und Kinder sitzen auf der Ladefläche, aber auch die Polizei fährt mit dem Grossteil ihrer Mannschaft, teils mit dem Gewehr im Anschlag, auf Pickupladeflächen herum. Für uns ist dies ein ganz normaler Anblick, doch Georg ist geschockt und meint, in Deutschland würde dem Fahrer sofort der Ausweis entzogen und eine saftige Busse aufgebrummt, denn bei einem unerwarteten Stop, einem Zusammenstoss, oder einer unangekündigten Sprungschanze könnten die Passagiere auf der Ladefläche in die Gegend geschleudert werden.



In Patzcuaro fingen wir unseren Trip an. Auf 2100m Höhe gelegen, stellte Patzcuaro kein Temperaturproblem dar. Wir zwei mussten abends und morgens zwar unsere Fliesjacken anziehen, für Georg jedoch ist das Klima perfekt und er war immer nur im T-Shirt unterwegs. Tagsüber bewegten wir uns im Schatten der engen Gassen oder beobachten die Leute von einer Parkbank unter schattigen Bäumen. Die Stadt machte sich für die Osterwochen schön und überall waren die Maler am Werk. Die Häuserreihen sind weiss und bordeauxrot gestrichen mit überragenden Ziegeldächern, deren Holzbalken ebenfalls rot angemalt sind. Ueberall roch es nach frischer Farbe und man schlängelte sich zwischen behelfsmässig aufgestellten Gerüsten durch die Strassen. Zwei grosse begrünte Plätze bilden das Stadtzentrum und von dort aus kann man alles bequem zu Fuss erkunden. Auch die beiden Männer wollen sich etwas herausputzen und deshalb besuchen wir zuerst einen der vielen Schuhputzer am Platz. Georg steigt zuerst auf den Thron und der Schuhputzer geht ans Werk. Mit den verschiedensten Cremes und Pasten und unterschiedlichen Tüchern und Lappen schmirgelt und poliert er Georgs staubige Schuhe. Am Schluss sehen sie aus wie eben neu um die Ecke gekauft. Auch Martins Sandalen bekommen eine Generalreinigung und das braune Leder, das unter einer zentimeterdicken Staubschicht verborgen war, erstrahlt bald in neuem Glanze. Dann geht es auf zu den ersten Erkundungsgängen. Der Markt ist verwinkelt und zieht sich bis in die kleinen Gassen. Guaven, Mango und Granadillos waren im Angebot, alles von den fruchtbaren Gegenden um Uruapan. Der "pescado blanco" (weisser Fisch), eine Spezialität der Region, sah für unseren Geschmack lächerlich klein aus. Man musste sich schon einige Kilos kaufen, um eine volle Mahlzeit zubereiten zu können. Dem Fischbestand im Lago Patzcuaro und Lago Zirahuen scheint es nicht sonderlich gut zu gehen. Der Lago Patzcuaro ist völlig verdreckt und überfischt. Der See von Zirahuen in den Bergen nahe Patzcuaro scheint eher geschützt zu sein, doch Ueberfischung gibt es auch dort.



An kleinen Ständen im Markt wird das Mittagessen zubereitet. Grosse Flammen lodern unter Kupferkesseln aus Santa Clara del Cobre. Mit anderen Marktbesuchern schwitzt man beim Mittagessen und ist versucht, den Durst mit einem kalten Bier zu löschen. Natürlich gibt es in Patzcuaro auch einige alte Kirchen mit wundertätigen Altarfiguren zu besuchen. Und ein Museum mit Töpferkunst aus ganz Michoacan, in dessen Hinterhof sich noch die Mauern eines spanischen Gefängnisses mit den Kalenderstrichen der Gefangenen besichtigen lassen. Diese Mauern und das Gebäude selber, das noch aus dem 16. Jahrhundert stammt, wurde auf einer Anlage der Purepecha Indianer, der Ureinwohner dieser Gegend, errichtet. Auch davon sind noch Ueberreste zu sehen. Abends setzt man sich gemütlich in eines der unzähligen Cafes rund um die Plaza und beobachtet das rege Treiben. In Stadtnähe liegt Santa Clara del Cobre, das Zentrum der Kupferkunst Mexikos. In der Nähe gibt es zwar keine Kupferminen, trotzdem haben sich die Bewohner auf die Kupferbearbeitung spezialisiert. Jedes zweite Geschäft bietet riesige Töpfe und Pfannen, aber auch Glocken, Türklopfer, Heiligenstatuen, Souvenirteller, Lampen und Unmengen an Kitsch an. Am kleinen Hauptplatz verweilen wir uns ein bisschen und geniessen einen echten "cafe de olla". Einen im Keramikgefäss gebrauten starken Kaffee aus der Gegend, der mit Zimt und Piloncillo (natürlicher brauner Zucker) zubereitet wird.



In der Nähe von Patzcuaro, um den Lago Patzcuaro herum, gibt es aber auch verschiedene Purepecha Ruinen. Tzintzuntzan hat wohl den ausgefallensten Namen, der übersetzt "Ort des Kolibris" heisst. Von weitem sehen die Mauern nicht sonderlich beeindruckend aus, doch kaum wandert man den Rundpyramiden (Yácatas genannt) entlang, erstaunt einen deren Grösse. In vielen der Steine kann man eingeritzte Figuren und Muster erkennen. Und was uns natürlich besonders interessiert ist eine Echeveria, die in dem uralten Gemäuer wächst. Tingambato ist eine andere Ausgrabungsstätte, wo uns der Wächter in eine Grotte führt, in der Schädel und menschliche Knochen sowie Grabbeigaben gefunden wurden. Auf dem Gelände befindet sich eine Stufenpyramide und ein Ballspielplatz. Der Grossteil ist aber noch unter Erdreich verborgen und immer noch in Privatbesitz. Avocadoplantagen bringen mehr Geld als indianische Ruinen.



Uruapan ist die selbsternannte Welthauptstadt der Avocado und so fährt man auch ewig durch Avocadoplantagen, wo fleissig geerntet wird. Ansonsten ist es eine moderne Stadt, in der man zwar leicht ein Hotel, aber schwer ein Restaurant findet, in dem man gemütlich draussen sitzen kann, während man ein kühles Bier trinkt. Auf 1500m gelegen sind die Temperaturen gerade richtig, um den Nationalpark der Stadt zu besuchen. Es ist ein grosser Park mit uralten Bäumen, alles ist grün überwuchert und unzählige Bäche und Flüsse führen durch die ganze Anlage. An künstlich angelegten Wasserfällen lassen sich die Besucher fotografieren und man kann sich den Rummel am Wochenende gut vorstellen. Morgens duftet es um den Hauptplatz herum nach frischem Kaffee und Schokolade. In einigen kleinen Geschäften kann man mexikanische Schokolade und verschiedene Sorten von Kaffeebohnen aus der Gegend kaufen. Kaffee und Schokolade wird natürlich auch in einigen Strassencafes serviert, wo wir uns für den nächsten heissen Tag stärken.



Südlich von Uruapan führt die Strasse weiter ins Tiefland. Doch zuerst statten wir noch dem Wasserfall Tzararacua einen Besuch ab. Man muss hier Eintritt bezahlen und kaum steigt man aus dem Auto, ist man auch schon von Mexikanern umzingelt, die einem ihren Esel oder ihr Maultier für den Abstieg anbieten wollen. Wir bedanken uns und gehen lieber zu Fuss. Der Weg fuehrt zum grossen Teil im Schatten und von weitem kann man tief unten auch schon den Wasserfall hören. An strategischen Punkten gibt es kleine Stände oder sogar ein Restaurant, wo man sich etwas verschnaufen kann. Die Vegetation wird immer grüner und plötzlich können wir den Wasserfall auch riechen. Hier muss sich das gesamte Abwasser von Uruapan angesammelt haben ! An und für sich ist es ein wunderschöner Ort mit interessanten Pflanzen. Das Wasser fällt in Stufen in ein grosses Becken oder schiesst aus dem porösen Lavagestein heraus. Orchideen hängen in den Bäumen. Und auf der anderen Seite, weit oben, entdecken wir auch Echeveria calycosa, der das Abwasser sichtlich auch nicht gefällt. Die Pflanzen wachsen auf der wasserabgewandten Seite.



Ab hier geht es eigentlich nur noch tiefer und tiefer. Und es wird wärmer und wärmer. Wenn wir irgendwo in die Büsche steigen wollen, lassen wir Georg im Schatten eines Baumes zurück. Doch bald hält er auch das nicht mehr aus und wartet im Auto mit der Klimaanlage auf Volltouren. Für uns fühlt es sich nachher immer wie in einer Tiefkühltruhe an. Dies ist "Tierra Caliente", das heisse Land, wo an unzugänglichen Stellen Opium angebaut wird. Früher war diese Strecke berüchtigt wegen der vielen Ueberfälle und die Sage hält sich immer noch, doch vermehrte Polizeikontrollen haben mit den Strassenräubern etwas aufgeräumt. Wenigstens tagsüber. Hier gibt es keine touristischen Sehenswürdigkeiten mehr, wir befinden uns auf dem Land. Die Hotels sind dementsprechend dünn gesät und bestimmt keine Weltklasse. Da fehlt schon mal der Duschvorhang, eine einsame nackte Glühbirne erleuchtet das Zimmer, oder man macht Bekanntschaft mit allerlei Getier, das sich bei grellem Licht und raschen Bewegungen schnell in dunkle Ecken verzieht. Abends kommt aber immer eine kühle Brise auf, bei der es sich bei einigen Flaschen Bier und mexikanischen Gerichten gut leben lässt. Als einzige Gäste werden wir auch immer nach Strich und Faden verwöhnt.



Nach einigen Tagen erreichen wir endlich das Meer. Hier geht immer eine kühle Brise vom Pazifik her und das Wasser hat eine angenehme Temperatur. Wir sind vor dem grossen Osterrummel hier und können in Playa Azul zwischen vielen kleinen Hotels aussuchen. Abends gibt es Fisch und Meeresgetier in einem kleinen Restaurant, alles frisch gefischt. Entlang der Küste zwischen Playa Azul und Tecoman findet man allerdings nicht mehr so leicht ein Plätzchen, um sein Haupt zur Ruhe zu legen. Dafür ist die Küste umso spektakulärer. Die Asphaltstrasse wurde hier erst 1984 fertiggestellt und viele Strände werden wohl nie entdeckt werden. Die meisten liegen auch völlig unzugänglich weit unterhalb der Strasse, dafür eröffnen sich einem immer wieder tolle Blicke auf die rauhe Küstenlinie und die tosende Brandung des Pazifik. Es gibt nur wenige kleine Dörfer und an einigen verborgenen Stränden eine kleine Palapa, wo man Fisch und Bier bekommt. In Maruata versuchen wir unser Glück mit Cabañas, die zu mieten sind. Das Mädchen am Eingang ist viel zu sehr mit der Seifenoper am TV beschäftigt, als dass sie uns weiterhelfen könnte. Ihre minderjährig aussehende Schwester schwenkt gerade ihr kleines Baby in einer Schaukel, so stark, dass man seekrank werden könnte. Auch sie kann uns nicht weiterhelfen und verweist uns an einen herumschlurfenden Burschen. Es ist ihr Bruder, der auf Anfrage auch tatsächlich Cabañas zu vermieten hat. "Können wir sie sehen ?" Er verdreht die Augen ob dieser unverschämten Wünsche der Touristen und öffnet uns einen Wellblechverschlag. Die Wände und das Dach sind aus Wellblech, das sich bei den sommerlichen Temperaturen zu einem Backofen aufgeheizt hat. Auf dem Sandboden, schliesslich ist der Strand ja gerade um die Ecke, steht ein Holzbett mit einer alten Matratze, es gibt weder Tisch noch Stuhl, um irgendwas hinzustellen. Dusche und WC befinden sich um die Ecke neben der Küche. Als wir uns frecherweise auch noch nach dem Preis erkundigen, verschlägt es uns die Sprache. 150 Pesos ($15) soll der Spass kosten. Da können wir nur trocken lachen. Wir mögen zwar in deren Augen dumme Gringos sein, die man ausnehmen kann und darf, doch erstens können wir Georg keinen solchen Backofen-Verschlag zumuten oder er kündigt uns die Freundschaft für immer, und zweitens kennen wir uns mit den mexikanischen Preisen schon etwas aus und können für diesen Preis auch ein Hotelzimmer mit Fenster, Ventilator, Moskitonetzen und sauberen Bettlaken bekommen. Vorbei am Faro de Bucerias, wo wir gerne geblieben wären - doch die Hitze, sagt der Georg, die Hitze - fahren wir weiter Richtung Tecoman. Und entschliessen uns am gleichen Abend, alle Pläne und die Route zu ändern.



Wir fahren auf dem schnellsten Weg - vorbei am riesigen Volcan de Colima, mit seinem kleineren, dafür umso aktiveren Bruder Volcan del Fuego - nach Tapalpa in Jalisco, in ein kleines Bergdorf in den höchsten Bergen in der Umgebung von Guadalajara. Da fühlt sich auch der Georg im Schatten wieder halbwegs wie ein normaler Mensch. Das Hotel wurde seit unserem letzten Besuch renoviert und wir bekommen ganz neue Zimmer. Auf der Terrasse gönnen wir uns abends ein paar Schlucke Tequila, zwar nur aus Plastikbechern, doch er schmeckt trotzdem. Natürlich plagen wir Georg erneut mit einem Wasserfall, wo der Ab- und Aufstieg heiss werden. Doch als Belohnung gibt es dann eine Tapalpaer Spezialität: Borrego al Pastor. Zarte Lammhälften, die auf Spiessen vor dem Restaurant über der offenen Glut gebraten werden. Dazu handgemachte Tortillas, Bohnen und natürlich kaltes Bier. Dabei vergisst man schnell die Strapazen des Tages.



Die letzten zwei Tage verbringen wir dann noch in Guadalajara, doch diese Stadt werden wir Euch in einem nächsten Reisebericht vorstellen. Wir steigen ab in einem hübschen kleinen Hotel mit vielen Pflanzen, einem gemütlichen Innenhof und farbig unterschiedlich gestalteten Zimmern. Hier wird morgens das Frühstück serviert mit vielen frischen Früchten. Und hier lassen wir auch jeden Abend mit Tequila ausklingen.



Georg bringen wir abends zu seinem Flugzeug und am nächsten Mittag landet er auch schon wieder im kalten Frankfurt. Auf der Fahrt nach Hause entdeckt er doch tatsächlich noch letzte Resten von Schnee am Strassenrand. Da ist uns die Wärme doch noch viel lieber.



März 2004



Julia Etter & Martin Kristen