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Variationen in Taco



Wenn wir Euch nicht von Pflanzen erzaehlen, dann ist es bestimmt was Kulinarisches, mit dem wir Euch den Mund waessrig machen wollen. In Mexiko gibt es an praktisch jeder Hausecke, den meisten Strassenkreuzungen, Bushaltestellen, vor Buero- und Regierungsgebaeuden, rund um den Hauptplatz, an Tankstellen, am Strand und in oeffentlichen Parks, kurz und gut ueberall, wo Menschen verkehren, Taco-Staende. Ein Taco sieht in Mexiko ganz anders aus als in mexikanischen Restaurants in Europa und den USA, oder gar in einer der mexikanischen Schnellimbissketten, die es in den USA schier ueberall gibt. Hier in Mexiko besteht ein Taco aus einer in der Groesse variierenden heissen Maistortilla, die je nach Stand mit Fleisch oder Fisch belegt wird. Darueber kommen meist gehackte Zwiebeln und Koriander und verschiedene Salsas (Saucen). Auch Limesaft darf nicht vergessen werden.



Diese Tacostaende sind unserer Meinung nach eine geniale Erfindung. Wie oft sind wir schon in Europa unterwegs gewesen und hatten ploetzlich Lust auf etwas Essbares. Wir waren nicht richtig hungrig, doch die Lust auf etwas Kleines war vorhanden. Was tun ? Gute Frage, denn in Europa ist es schier unmoeglich, irgendwo etwas Kleines zu bekommen. Im Restaurant muss man einen Salatteller bestellen, oder man ersteht irgendwo ein belegtes Broetchen, das zwar klein ist, doch nichtsdestotrotz Unsummen kostet. In Mexiko gibt es fuer alle diese "im Falle eines Falles" Hungeranfaelle die Taco-Staende. Ab morgens in aller Fruehe bis spaet in die Nacht hinein bekommt man hier etwas Warmes zu absolut vernuenftigen Preisen. Man bestellt je nach Groesse zwei Tacos und wenn man nachher immer noch hungrig ist, verlangt man eben nochmals zwei Stueck. Gezahlt wird eh erst am Schluss, die Leute vertrauen darauf, dass man nicht einfach ohne zu zahlen abhaut. An den meisten Staenden gibt es irgendeine Moeglichkeit, sich hinzusetzen. Seien es ein paar Plastikstuehle auf dem Gehsteig oder sogar Baenke an langen Tischen. Nun hoeren wir schon Eure Einwaende von wegen wie unhygienisch und gefaehrlich sowas alles sein kann. Natuerlich setzt man sich nicht an jeden Taco-Stand, und natuerlich ist auch ein sauberer Taco-Stand keine Garantie dafuer, dass es einen nicht erwischt. Doch unsere Erfahrung bisher war, dass an Taco-Staenden eine bestimmte Menge an Essen zubereitet wird und vorhanden ist. Wenn das Fleisch aufgebraucht ist, dann wird zusammengepackt und der Stand eben fuer diesen Tag geschlossen. In Restaurants laeuft man eher Gefahr, dass bestimmte Lebensmittel und Salsas immer und immer wieder aus dem Kuehlschrank herausgenommen und bei Geschaeftsschluss wieder darin verstaut werden, um dem Gast serviert zu werden. Ausserdem erwarten die Touristen ja nach allem was sie gelesen haben, dass sie bei einer Reise nach Mexiko die Rache Moctezumas zu spueren bekommen. Um den Kontakt mit unsauberem Wasser zu vermeiden, werden die Teller in eine kleine Plastiktuete gesteckt, so erspart man sich zwar das abwaschen, produziert allerdings auch unnoetigen Abfall. Das Geld wird oft nur von einer bestimmten Person entgegengenommen, oder der Koch/die Koechin ziehen sich Plastikhandschuhe ueber, wenn sie Geld in Empfang nehmen. Augenwischerei, hoeren wir Euch murmeln. Doch davon lassen wir uns den Appetit nicht verderben !



In Staedten gibt es kleine Taco-Staende, aber auch Restaurants, die nur Tacos servieren. Bis ca. 14 Uhr hat der eine Laden geoeffnet und danach ist es das Geschaeft um die Ecke, das die Kundschaft bis spaet nachts bedient. In kleinen Doerfern kann es auch schon mal nur ein Pickup-Auto sein, von dessen Ladeflaeche heraus Tacos verkauft werden. Die Ladeflaeche wurde fuer diesen Zweck geschickt umgebaut und auf der einen Seite kann ein Brett fuer die verschiedenen Salsagefaesse heruntergeklappt werden, eine Kuehlbox enthaelt die warmen Tortillas, ein grosser Blechkessel das wie ein Eintopf geschmorte Fleisch, und natuerlich stehen auch ein paar Plastikstuehle zur Verfuegung. Andere erfindungsreiche Koeche haben ihr Fahrrad zu einer fahrenden Kueche mit Anhaenger umfunktionert. Wer schon etwas mehr Geld verdient hat, faehrt seine Kueche mit einem Moped an die jeweilige Strassenecke. Buben helfen meist beim nachfuellen der Salsas, nehmen die Bestellung auf, werden um die Ecke geschickt, um Limetten zu kaufen, wenn diese ausgegangen sind, oder sie kassieren das Geld ein, das nachher vom Standbesitzer sofort nachgezaehlt wird. Kommt man an einigen Orten mehrfach vorbei, kann es schon passieren, dass man so seine Lieblings-Staende hat. Und mit der Zeit weiss man auch, dass die zwei unleidlichen aelteren Frauen hinter der Post in Hermosillo, wo sie die besten Chimichangas brutzeln, sehr glaeubig sind und deshalb an Sonn- und Feiertagen nie anzutreffen sind. Saftige Tacos de Carnitas bekommt man an der Autobahn bei Irapuato, man muss dafuer allerdings die Autobahn verbotenerweise ueberqueren und nachher versuchen, wieder in die richtige Spur zu gelangen. Die besten Tacos al Pastor isst man in einem Dorf in Jalisco nur bis 15 Uhr in einem bestimmten kleinen Restaurant, danach werden sie um die Ecke in einem anderen Restaurant am Hauptplatz serviert. Und wenn auch dieser Laden geschlossen hat, dann muss man eben an der Bushaltestelle mit einem Stand direkt an der Hauptstrasse Vorlieb nehmen, wo einem die Lastwagen fast ueber die Zehen donnern. Fuer uns ist es auf jeden Fall immer eine Ueberraschung, was es wohl geben wird, wenn wir uns fuer Tacos entscheiden. Wir gehen am liebsten unserer Nase nach und folgen dem intensivsten Geruch.



Das kann einem aber auch schon mal zu Tacos de Tripitas fuehren, gebratenem Darm, der in kleine Stueckchen gehackt wird. In Durango war dieser Standbesitzer so angetan von seinem fremdlaendischen Besuch, dass er uns unbedingt seine Tacos offerieren wollte. Zwar wussten wir, dass es Darm ist, doch wir konnten schlecht nein sagen, ausserdem roch es verfuehrerisch. Was man allerdings von etwa allem behaupten kann, wenn man hungrig ist ! Also probierten wir, natuerlich mit der obligatorischen Salsa und Limettensaft, doch wir konnten nicht verbergen, dass uns der Inhalt der Tacos ziemlich zaeh vorkam. Der Mann war auch noch so nett, uns eine uebergrosse Portion zu schenken, weil er uns doch zeigen wollte, wie gut seine Tacos sind. Neben Darm gibt es aber noch andere Innereien und sonstige Teile verschiedener Tiere, die zu Tacos verarbeitet werden und Europaeern sicherlich eher weniger zusagen. Ausgenommen davon ist hoechstens Zunge, die es auch bei uns in der Schweiz gibt, und die wir schon in Tacos probiert haben. Bei anderen Sachen lehnen wir schon von vornherein dankend ab und suchen uns was anderes. Tacos de Cabeza, der ausgekochte Kopf vom Rind, Tacos de Ubre, Euter, aber auch Tacos de Labio (Lippe), Tacos de Trompa (Schweineschnaeuzchen), Tacos de Ojo (Auge, wobei nur das Fleisch um die Augen herum verwendet wird), Tacos de Carnaza (Wangen) und Tacos de Sesos (Hirn) gehoeren in diese Kategorie. In Michoacan zum Beispiel gelten Tacos de Viril (Penis) als Koestlichkeit. "Leider" hatten wir noch nicht die Gelegenheit, dies nachzupruefen. Eine weitere Raritaet sollen Tacos de Creadillas sein (Hoden), doch sowas ist einigen von Euch ja auch aus Spanien bekannt. Tacos de Higado (Leber) sind an einer Strassenecke in Dolores Hidalgo abends der grosse Renner. Die Leute stehen Schlange, um sich die zugegebenermassen verfuehrerisch duftenden gebratenen Leberscheiben in Tacos servieren zu lassen. Doch nachdem wir andernorts Anschlaege gesehen hatten, in denen vor dem Konsum von Leber wegen zu hohem Antibiotikagehalt gewarnt wird, bemuehen wir uns lieber um Tacos al Pastor um die Ecke.



Da schmeckt uns Tacos al Pastor schon wesentlich besser. An einem grossen Spiess sind Fleischlappen zu einem grossen Stueck zusammengesetzt, von dem immer die aeussersten Teile geroestet werden. Es sieht fast so aus wie das Fleisch, das fuer einen tuerkischen Kebab gegrillt wird. Meist wird man gefragt, ob man die Tacos mit allem haben will. Dann garniert der Koch das Mahl mit gehackten Zwiebeln und Koriander, vielleicht kommt noch ein Loeffel Bohnen drauf, und natuerlich fehlt die scharfe rote Salsa nicht. Wem das noch nicht genug ist, hat immer noch die Moeglichkeit, Guacamole oder andere scharfe Salsas aus dem Molcajete (Steinmoerser) nachzuschoepfen. Sehr beliebt sind auch die Staende, wo man die Auswahl zwischen verschiedenen Tacos hat. Auf einem runden Blech, bei dem sich das Bratfett in einem aeusseren Ring befindet, wo nicht nur das Fleisch, sondern auch Zwiebeln gebraten werden, kann man die Auswahl auf dem in der Mitte erhoehten Teil bewundern. Zum Standard gehoert hier Chorizo, eine scharfe Wurst, Carne Asada, gegrilltes Rindfleisch, das in Stueckchen gehackt wird, Adobada, scharf mariniertes Schweinefleisch und Chicharrón (Schweineschwarte mit viel Fett). Dazu bekommt man je nach Lust und Laune auch geroestete Fruehlingszwiebeln und kleine scharfe Chiles. Die Salsas sind natuerlich an jedem Stand verschieden. Da hat jeder seine Geheimrezepte. Guacamole, Avocadopüree, gehoert zum Standard. Auch Pico de Gallo, eine Salsa aus Tomatenstueckchen, gehackten Ziebeln, Koriander und Limettensaft gehoert zur Auswahl. Dann eine scharfe rote Salsa und eine ebenso scharfe gruene Salsa, die mit Chiles und Tomatillos, kleinen gruenen Tomaten, die in einer papierenen Schale wachsen, zubereitet wird. Ebenfalls beliebt sind Jalapeños en Escabeche, scharfe gruene Chiles, die zusammen mit Zwiebelringen, Knoblauchzehen und Karottenscheiben in Essig eingelegt werden. Und die wichtigste Zutat, die jedem Taco seinen ganz speziellen Gout gibt, sind natuerlich die kleinen Limetten.



Doch auch fuer Fleichverachter gibt es in Mexiko Tacos, naemlich Tacos de Pescado. Dazu werden Fischfilets in Streifen geschnitten, durch eine Panade gezogen und im schwimmenden Fett ausgebacken. Dann werden die Fischstuecke auf eine Tortilla gelegt und mit etwas gehacktem Weisskohl und Mayonnaise garniert. Der Gast ist danach selbst zustaendig fuer den Limettensaft und die scharfen Salsas.



Auch viele weitere lokale Spezialitaeten werden als Tacos serviert. Jedes Gericht, das man als Portion auf einem Teller bestellen kann, ist auch als Taco erhaeltlich. So zum Beispiel einer unserer Favoriten, Carnitas. Fuer Carnitas wird ein ganzes Schwein in grosse Stuecke zerhackt und im Schmalz ueber Stunden in einem riesigen Kupferkessel zusammen mit verschiedenen Gewuerzen und Orangenhaelften ausgekocht. Vor Metzgereien bekommt man die Carnitas an bestimmten Tagen frisch serviert. Man kann aus den unterschiedlichen Fleischstuecken auswaehlen und tut gut daran, Stuecke mit etwas Fett daran auszusuchen, denn sonst ist das Fleisch arg trocken. Doch wir bestellen immer "pura maciza", pures Fleisch ohne Innereien oder sonstige Schweinereien. Wie zum Beispiel das Ringelschwaenzchen oder die Oehrchen, die uns eine nette Marktfrau andrehen wollte, weil sie meinte, der Herr sei bestimmt ein Feinschmecker und wuerde auf solche Leckereien stehen. Als wir lachend ablehnten, zeigte die Frau auf die Schnauze, die mit den zwei Nasenloechern obenauf im Fett schwamm, und meinte, dann wuerde sie dem Herrn doch waermstens diese Koestlichkeit empfehlen. Sie konnte absolut nicht verstehen, dass wir nichts mit diesen Spezialitaeten am Hut haben. Ein weiterer Favorit ist Birria, was uebersetzt etwa soviel heisst wie Abfall oder Durcheinander. Birria ist in einer koestlichen Bruehe zartgekochtes Lammfleisch, das normalerweise im Saft portionenweise serviert wird. Doch auch als Tacos kann man Birria geniessen. Das Fleisch kommt auf eine Tortilla und wird mit gehackter Zwiebel garniert. Auf dem Tisch darf auf keinen Fall geroesteter Chile de Arbol oder kleine scharfe Chiles fehlen, die je nach Gusto dazugegessen werden. Und als Getraenk bestellt man am besten einen Becher mit der heissen Bruehe dazu.



Natuerlich wollen wir auch die Risiken nicht verschweigen, die mit dieser Art von Ernaehrung einhergehen koennen. Ab und zu faengt man sich gewisse Bakterien ein, die dann am naechsten Tag wieder im Eilzugstempo aus einem raus wollen. Und man kann sich auch schlimmere Parasiten holen, die schwierig wieder loszuwerden sind. Wir haben schon viele solche Geschichten gehoert, glauben aber, dass Leute, die sich solche Parasiten einfangen, diese eher in unhygienisch gefuehrten Restaurants aufpicken als an Taco-Staenden. Wir jedenfalls haben uns angewoehnt, zuerst den Standbesitzer zu beobachten, wie er mit den Lebensmitteln umgeht, ob er mit denselben Fingern Essen und Geld angreift und wie die Teller behandelt werden. Ausserdem gibt auch die Anzahl der Leute, die an einem Stand essen, Auskunft ueber die Qualitaet des Essens - je belagerter ein Stand ist, desto besser das Essen.



Wir wuenschen guten Appetit !



April-Juni 2004



Julia Etter & Martin Kristen