travelog 64






Mariposa Monarca



Wiesen und Wälder sind mit einer weissen Schicht Frost bedeckt. Die Bretterhütten rauchen aus allen Poren, drinnen wird das Frühstück zubereitet. Auch die Polizei ist schon mit ihren Unimogs unterwegs, um illegalen Holzschlag zu unterbinden. Wir sind die ersten in der Sierra Chincua und verpassen prompt den Parkplatz, da nichts angeschrieben ist. Diego Gonzales Vidal, ein Wächter im kleinen Ort, holt uns jedoch rechtzeitig ein und führt uns in seine Hütte. Dort wärmen wir uns erst einmal mit dampfendem "cafe de olla", einem im Topf gebrauten Kaffee, der je nach Haushalt mit Zimt, Vanille und viel Zucker gewürzt wird. Auch ein paar Quesadillas mit scharfer Sauce nehmen wir als Stärkung zu uns. Um 9 Uhr erreicht die Sonne auch diese Ecke der Sierra Chincua und schnell schmilzt der Frost dahin. Diego ist anscheinend kein Führer, sondern nur ein Wächter. Trotzdem überzeugen wir ihn, uns doch für heute als Führer zu den Monarch-Schmetterlingen zu begleiten. Dick eingemummelt wandern wir über die Wiese hinauf in Richtung Wald. Ab und zu liegt ein toter orangeschwarzer Falter im nassen Gras. Auf einem kleinen Pfad wandern wir der Südseite des Berges entlang und geniessen die herrlichen Blicke weit ins Tal hinunter. Felsen am Wegesrand sind natürlich immer interessant und wir entdecken doch hier auf 3300m Höhe unerwarteterweise eine unserer speziellen Pflanzen, eine Echeveria ! Die Einheimischen nennen die Pflanze "magueyito del cerro" (kleine Agave vom Berg). Sie formen hübsche blaue Polster in den schattigen Felswänden. Gleich daneben finden wir auch noch ein Sedum, das hier "chisme" (das Ding) genannt wird. Disteln und roter Salbei sind noch immer am blühen. Und Diego weist auf andere Heilpflanzen hin, die für alle möglichen Wehwehchen gebraucht werden können.



Bald erreichen wir den Platz, wo die Pferde "geparkt" werden müssen. Touristen, die in diesen Höhenlagen nicht so gut zu Fuss sind und allgemein keine gute Kondition haben, können sich von einem Pferd bis hierher transportieren lassen. Der Rest des Weges muss allerdings zu Fuss zurückgelegt werden. Und diese Strecke kann sich in die Länge ziehen, je nachdem wo sich die Schmetterlinge gerade niedergelassen haben. Die Monarchfalter überwintern in diesen Höhen an einer speziellen Tannenart, den Oyamel-Tannen. Während ihres Aufenthaltes wechseln sie ab und zu den Platz, meist wenn sie durch lärmende oder zu unvorsichtige Schaulustige gestört werden. Um das weitestgehend zu verhindern, haben die ortsansässigen Indios Verhaltensregeln aufgestellt und lassen die Touristen nicht ohne offiziellen Führer in diese Zone. Sobald es wärmer wird, verschieben sich die Schmetterlinge ausserdem in niedrigere Regionen.



Nun ist der Weg richtig breit und gut ausgetreten. Wir sehen immer öfter die schwarz-orangen grossen Falter in der Luft schweben. An richtig sonnigen Lichtungen versammeln sie sich auf Blättern und Blumen. Bald schwirren und flattern sie um uns herum und es werden immer mehr und mehr. Unterhalb des Weges stehen einige Bäume, die unwirklich dick und gräulich-schwarz sind. Sie sind total mit Schmetterlingen bedeckt, die auf die Wärme des Tages warten. Mit Diego kommen wir an einer anderen Stelle viel näher an andere Bäume heran, die über und über mit Schmetterlingen bedeckt sind. Die Aeste hängen tief herunter durch das Gewicht von Millionen von Schmetterlingen. Oft kommt es auch vor, dass Aeste durch dieses enorme Gewicht abbrechen. Langsam wird es wärmer und die Schmetterlinge werden aktiver. Wenn man still ist, hört man ein unwirkliches Rauschen um sich herum. Es ist nicht der Wind, sondern die unzähligen Schmetterlinge, die durch die Luft flattern. Im Moos und Gras liegen viele tote Falter, denen wohl die lange Reise zu anstrengend gewesen ist. Bald sind wir nicht mehr alleine, weitere Besucher erscheinen auf der Bildfläche und mit der wunderbaren Ruhe im Wald ist es vorbei. Dafür flattern aber auch immer mehr Schmetterlinge um und über uns herum. Ein bunter Tanz spielt sich über unseren Köpfen ab und wir könnten Stunden einfach auf einem Baumstamm sitzen und zusehen. Doch hier ist alles durchgeplant und eigentlich sind wir schon viel zu lange mit unserem Führer unterwegs, die "erlaubten" 20 Minuten sind längst vorbei.



Monarchfalter migrieren im Winter an verschiedene Orte. Schmetterlinge westlich der Rocky Mountains migrieren an einige wenige Orte an der Küste von Kalifornien. Diejenigen östlich der Rockies dagegen migrieren im November weit nach Süden in die Berge von Michoacan. Kein anderer Schmetterling der Welt legt so lange Strecken, bis zu 4500km, zurück, um seinen Ueberwinterungsplatz zu erreichen. In grossen Massen fliegen die Falter immer ins gleiche Gebiet und oft auch zu den gleichen Bäumen. Sowas würde man eher von Vögeln und Walen erwarten, doch anders als bei diesen ist es erst die dritte Generation, die sich wieder auf den langen Weg macht, wohlgemerkt ohne jemals dort gewesen zu sein. Wie sie den Weg finden ist bis heute immer noch ein ungelöstes Rätsel. Im Frühling, in den Bergen von Michoacan so um die zweite Woche im März, wenn es genügend warm wird, machen sich die Schmetterlinge wieder auf den Weg nordwärts. Ihre Eier legen sie auf Asclepia-Pflanzen, die sie unterwegs finden. Diese Generation von Faltern fliegt den ganzen weiten Weg zurück in die USA und Kanada, wo sie dann sterben. Ihr Kinder haben eine viel kürzere Lebenszeit und es vergehen 3-4 Generationen in einem Sommer, bis wieder die Schmetterlinge schlüpfen, die dann im Herbst die lange Reise nach Mexico antreten. Monarch-Schmetterlinge ernähren sich von Asclepia-Pflanzen. Dadurch nehmen sie giftige Stoffe (Kardenolide) auf, die sie für Wirbeltiere wie Frösche, Eidechsen, Mäuse und Vögel, etc. ungeniessbar machen. Zwar nützt dem Falter dieses Gift wenig, wenn er schon totgebissen wurde, doch er schützt sich ebenfalls durch seine warnenden Farben orange, schwarz und weiss. Ausserdem hat man festgestellt, dass Vögel, nachdem sie einmal einen Monarch-Schmetterling gefressen haben, sich heftig erbrechen müssen und die Falter danach von ihrem Speisezettel streichen.



Der Rückweg zum Auto zieht sich in die Länge. Trotz der 3400m über Meer wird es hier ziemlich warm, wenn erst einmal die Sonne herunterbrennt. Diesmal gehen wir den normalen Weg, auf dem uns zur Mittagszeit viele Pferde entgegenkommen. Es staubt unangenehm bei jedem Schritt und wir ziehen den anderen, schmalen Wanderweg diesem auf jeden Fall vor. Das einzig interessante an dieser Strecke ist, dass man die Kleidung der Menschen auf den Pferden studieren kann. So können wir auf dem Rückweg die tollsten Erscheinungen auf den Pferden daherreiten sehen. Fette Männer und Frauen (das schwerste war anscheinend ein Mann mit 140 Kilogramm - armes Pferd !) schaukeln an uns vorbei, und v.a. die Frauen beeindrucken uns immer wieder durch ihre Kleidung. Eine hübsche Mexikanerin trägt einen relativ kurzen schwarzen Jupe, der natürlich weit hochgerutscht ist, als sie aufs Pferd stieg, schwarze Strümpfe und schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen. Eine andere Frau kommt in feinen Sandalen ebenfalls mit Absätzen daher. Wieder beim Budendorf angekommen, ist hier schon einiges los. An jeder Ecke will einem einer Fotos oder handgebastelte Monarchfalter oder gehäkelte Tischtücher andrehen. Nun sind auch alle kleinen Restaurants offen und wir stärken uns wieder bei der Frau unseres Führers. Zum Essen probieren wir diesmal "Atole", ein dickflüssiges Getränk aus Maismasse, Wasser, Zucker und Brombeeren, das sehr heiss getrunken wird und hervorragend schmeckt.



Den Rest des Tages verbringen wir in Angangueo, einem ehemaligen Minenstädtchen. Das ganze Städtchen zieht sich von einem Ende bis ans andere über einige Kilometer dahin, weil es in einen Arroyo hineingebaut wurde. Vor dem Haus der örtlichen Polizei sehen wir einen Unimog-Transporter stehen, der natürlich unser Interesse weckt. Die aufpassenden Beamten, die drumherum stehen, sind erst etwas misstrauisch. Doch nachdem wir erklärt haben, dass wir auch ein solches Ungetüm fahren und ihnen ein Foto davon gezeigt haben, werden sie freundlicher und erlauben uns, unsere Fotos davon zu machen. Sie erklären uns, dass die mexikanische Bundespolizei rund 100 solcher Fahrzeuge im Einsatz habe, um ihre Truppen zu verschieben, in unzugänglichem Gebiet für Ordnung zu sorgen, oder wie eingangs erwähnt illegalen Holzhandel zu unterbinden.



Es gibt viele abenteuerlich steile und enge Gässchen, die Häuser sind durchweg bunt angestrichen, die Weihnachtsbeleuchtung hängt auch Ende Januar immer noch. Die Balkone und Gärten sind eine wahre Blumenpracht und zwischendurch können wir auch schon mal die eine oder andere Crassulacee entdecken. Hühner und Truthähne picken im Boden, daneben dösen Hunde in der Sonne und einige Schafen und Ziegen sind ausserhalb der Gärten angepflockt. Beim Markt quietschen die Tortillapressen und die Fliegen schwärmen ums aufgehängte Fleisch herum. Hier unten merkt man nur wegen der wenigen Souvernirläden, dass man sich in der Nähe einer Touristenattraktion befindet, ansonsten ist Angangueo ein kleines verschlafenes mexikanisches Dorf.



Nach einer Nacht auf einem der üblichen mexikanischen Betten (zusammengenagelte Bretter mit Matratze drauf) brechen wir mit schmerzenden Gliedern zu unserem nächsten Ziel auf.



November-Februar 2005



Julia Etter & Martin Kristen