travelog 71






Magisches Hidalgo



Tiefe Schluchten mit reissenden Flüssen, bilderbuchähnliche Kakteenlandschaften, himmelhohe Bergketten mit undurchdringbaren Wäldern, malerische Dörfer, Spezialitätenküche am Strassenrand, endlos weite Ebenen, geheimnisvolle archäologische Ausgrabungsstätten. Das alles und vieles mehr macht den Bundesstaat Hidalgo aus, den wir Euch in diesem Reisebericht etwas näher vorstellen wollen.



Wieder einmal treffen wir uns für einen kurzen Ausflug ins Feld mit Freunden aus San Luis Potosi. Diesmal wollen wir die Gegend um Zimapan, genauer die Barranca de Toliman, näher erkunden. Unsere Freunde sind wie immer auf der Suche nach Mammillarien, wir halten uns da immer noch lieber an Crassulaceen und Agavaceen. In der Nähe von Zimapan fahren wir auf einer Piste zu den Minen in der Barranca de Toliman. Bald schon müssen wir uns etwas gedulden und Abstand halten, denn vor uns stinkt und raucht sich ein leerer, klappernder Lastwagen ebenfalls in die Schlucht hinunter. Vorerst führt die Piste nur leicht abwärts entlang der Berghänge, doch bald schon eröffnen sich uns spektakuläre Blicke in tiefe, dunkle Schluchten, in die wir irgendwie hinunterfahren werden. Unsere Position hinter dem Lastwagen ist gar nicht so schlecht, können wir doch immer gleich zusammen den entgegenkommenden vollbeladenen Lastern ausweichen. Die Chauffeure kennen die Strecke wie ihre eigene Hosentasche und finden immer eine Kurve, in der man sich gegenseitig passieren kann. Etwa auf halbem Weg kommen wir an der ersten Mine vorbei. Es ist ein grosser Ausweichplatz und ein schwarzes Loch, das in den Fels hineinführt. Nun wird die Piste erst recht eng und abenteuerlich. Auf der einen Seite bricht der Fels senkrecht in die Schlucht, auf der anderen Seite türmt er sich vertikal in den Himmel. An den unübersichtlichsten Kurven sind Spiegel angebracht, um entgegenkommenden Verkehr frühzeitig zu sehen. Passieren kann man sich nur noch in Haarnadelkurven, ansonsten ist die Piste nur so breit aus dem Felsen gebrochen worden, dass gerade mal ein Lastwagen durchkommt. Selbst denjenigen, die schwindelfrei sind, schlägt bei der Ansicht hinunter ins Tal das Herz höher.

Nicht nur die Blicke, sondern auch die Fahrt ist atemberaubend und wir erreichen nach rund einer Viertelstunde endlich den Boden der Schlucht, wo zur Regenzeit ein Fluss fliesst. Erstaunlich schnell haben wir die gesuchte Mammillaria gefunden und können uns nun auf die Suche nach anderen Sukkulenten machen. Wir wandern so weit wie möglich flussabwärts, werden aber bald von grossen Becken gestoppt, die wir ohne Gummistiefel nicht durchqueren können. Ueberall zeugen Löcher in den Felswänden und überwucherte Aushubhalden von früheren Minenaktivitäten. Der graue Fels ist bewachsen mit silbrigen Hechtien und Agave xylonacantha, die hübsche Muster auf den Fels zaubern. Bald finden wir auch wonach wir gesucht haben, nämlich Echeveria tolimanensis, die nur hier wächst. Astrophytum ornatum, gelbe Polster von Mammillaria elongata, M. longimammma und Ferocactus glaucescens können wir in den Felswänden und Schutthalden bewundern. Die steilen Hänge sind dicht bewachsen und alles trägt ein grünes, undurchdringliches Blätterkleid. Ein alter Mann mit seinem Esel wandert in Gummistiefeln vorbei. Er hat sich bei der Mine mit ca. 100 Eiern eingedeckt und erzählt uns, dass er 7 Kilometer flussabwärts wohne und das Flussbett nur während der Trockenzeit auch mit einem hochbeinigen Auto zu befahren sei. Wir nehmen uns vor, dann wiederum hierher zurückzukehren, um die Schlucht besser zu erkunden.



Ein weiterer Höhepunkt der Reise liegt in der Nähe von Ixmiquilpan, nämlich die Barranca de Tolantongo. Wir fahren über weite Hochebenen bis wir endlich an den Rand der Schlucht kommen. Weit unten sehen und hören wir den Fluss durch die engen Felswände tosen. Die steilen Berghänge sind mit Dasylirion longissimum und etwas weiter unten mit dem imposanten Cephalocereus senilis bewachsen. Leider erreichen wir schon bald ein grosses Tor, das man nur noch gegen Bares, nämlich 70 Pesos (8 SFr. / $6.30) pro Person plus 20 Pesos pro Auto, passieren kann. Uns ist schleierhaft, welche normale mexikanische Grossfamilie so viel Geld für einen Tag im Schwimmbad ausgeben kann ! Uns jedenfalls ist es viel zuviel, da wir sowieso nur Pflanzen sehen wollen. Also versuchen wir eine Piste, die wir vorher gesehen haben und erreichen so auch den Boden der Schlucht, einfach auf der anderen Seite der engen Felsen. Hier unten stehen dichte Wälder von Cephalocereus senilis, der wegen seiner langen weissen Haare auch Grossvaterkaktus genannt wird. Die Bewohner des kleinen Dorfes sind gerade daran, auch hier ein Schwimmbad zu bauen, doch sie wollen es zu erschwinglichen Preisen dem Publikum zugänglich machen. Das Geschäft wird sicherlich gut gehen, liegen doch die Grossstädte Mexico City und Pachuca nicht allzu weit entfernt. In der Trockenzeit gibt es auch hier viele Möglichkeiten, das Schluchtenlabyrinth zu erkunden und wir nehmen uns für einen nächsten Besuch die Strecke ins Valle de Metztitlan vor.



Nun trennen sich unsere Wege und wir machen uns alleine auf in Richtung Norden. Die Tage sind wunderschön, es begleitet uns ein strahlend blauer Himmel und nur gegen Abend ziehen ab und zu dicke Wolken auf, die sich abends oder nachts entladen. Reisen während der Regenzeit heisst also nicht nur im Regen nach Pflanzen suchen, sondern auch die unglaubliche Blütenpracht bewundern, die das viele Wasser hervorbringt, und ob der grünen Wälder und Berghänge staunen, die zu einer anderen Jahreszeit durchaus braun, grau und unscheinbar aussehen können. Auf der Mexico 85 fahren wir nordwärts Richtung Tamazunchale und kommen immer höher in die Berge hinauf. Die höchsten Gipfel sind oft hinter Wolken versteckt, die Strasse schlängelt sich um Tausend Kurven und immer kommen weitere Täler und grüne Berghänge zum Vorschein, an denen kleine Dörfer kleben. Wasserfälle werden am Strassenrand von den vielen Regenfällen gespeist. Oft treffen wir an solchen Orten Leute an, die schnell ihr Auto waschen. Auf einer glitschigen Leiter steigen wir zu einem Wasserfall hoch und kommen in einen Märchenwald aus Baumfarnen. Je näher wir Tamazunchale kommen, desto tropischer wird die Vegetation, und auch die Temperatur und Luftfeuchtigkeit steigen beträchtlich an. Am Strassenrand entdecken wir immer wieder blühende Echeveria semivestita. Grüne Teppiche von Sedum hultenii bedecken die Felsen entlang der Strasse. Ein ekelhafter Geruch empfängt uns und wir passieren eine Kuh, die anscheinend von einem Lastwagen totgefahren wurde und nun gleich im Strassengraben von ein paar Indios ausgenommen und in kleine Portionen aufgeteilt wird. Palmen und sonstige tropische Gewächse gedeihen hier prächtig. Im Unterholz entdecken wir eine Ceratozamia, eine Vertreterin der Cycadaceae, und auf den Bäumen wachsen Orchideen.





Tamazunchale liegt auf 150m über Meer und ist entsprechend heiss und feucht. Die Hauptstrasse führt mitten durch die kleine Stadt und es scheint tagein und tagaus die Hölle los zu sein, da sich aller Verkehr über eine schmale Brücke über den Rio Moctezuma und durch das Städtchen quälen muss. Uns hält es hier nicht lange, denn kaum verlässt man das klimatisierte Auto kleben einem schon die Kleider am Leibe. Nun fahren wir Richtung Huejutla de Reyes durch grüne Zuckerrohr- und Getreidefelder. Auf den teils riesigen Bäumen blühen Unmengen von Orchideen und Rhipsalis baccifera trägt ihre kleinen weissen Früchte.



Bald schon erreichen wir die Mexico 105, die uns wieder südwärts Richtung Pachuca und in die Berge hinauf bringt. Fast jedes der kleinen hübschen Doerfer wirbt mit ökotourismus, besitzt mindestens ein Hotel, und vielleicht auch noch eine hübsche Kirche aus früheren Zeiten. Molango mit seinen roten Blechdächern liegt weit unterhalb der Strasse. Das Städtchen liegt malerisch an einem kleinen See, nur die Landebahn für kleine Flugzeuge scheint direkt im Ort angelegt völlig fehl am Platz. Westlich der Strasse beginnt man nun den riesigen Komplex des Valle de Metztitlan zu erahnen. Wir klettern entlang von Klippen und finden in Flechten und epiphytisch auf Eichenbäumen Echeveria halbingeri var. sanchez-mejoradae. Unter den Eichen und Pinien stolpern wir über die kurzen Blütenstände eines Polianthes. Ohne die leuchtend roten Blüten wäre die grasähnliche Pflanze völlig unsichtbar. In Metzquititlan schlendern wir auf dem Hauptplatz herum. Grosse Busse entlassen hier Massen von Pilgern, die zum Santo Señor de la Salud strömen, der in einer kleinen Kapelle tagtäglich mit Blumen überhäuft wird und natürlich (wie alle mexikanischen Heiligen) sehr wundertätig sein soll.



Am nächsten Morgen geht es ins Valle de Metztitlan, wo wir nach verschiedenen Pflanzen suchen. Der Talboden scheint sehr fruchtbar zu sein und es ist nicht immer einfach, einen Weg bis an die Felswände zu finden, wo wir Pachyphytum bracteosum in Blüte entdecken. Wir fahren durch Metztitlan und nach San Cristobal, immer entlang spektakulärer Klippen mit wunderschönen Pflanzen, und besonders die gelben Blüten von Astrophytum ornatum stechen einem ins Auge. Hinter San Cristobal kommen wir noch eine ganze Weile weiter, bis die Piste fast in der Lagune verschwindet. In diesen Kalksteinfelsen finden wir Pachyphytum longifolium und weitere Crassulaceen und ausserdem Agave mitis var. albidior, die bei sehr hoher Sonneneinstrahlung wirklich eine extrem weisse Färbung annimmt. Ueber Metztitlan thront wie eine Burg die riesige Augustinerkirche Santos Reyes. Mitten auf dem riesigen Vorplatz der Kirche imponiert uns ein enormes Steinkreuz. Leider sind die Türen verschlossen, doch ein Augustinerpater erkennt, dass wir von weither angereist sind und lässt uns durch eine Seitentüre hinein. Die Wände des Klosterhofes sind mit schwarz-weissen Figuren und Mustern bemalt, doch leider in sehr schlechtem Zustand. Die Kirche musste abgeschlossen werden, da Idioten Zeichen eines Teufelskultes über die Engel und sonstigen Wandmalereien schmierten.



Auf kleinen Pisten und Nebensträsschen fahren wir nun durch die dicht bewaldeten Berge nach Mineral del Chico, einem kleinen Minendorf. Für eine so kleine Ortschaft gibt es hier erstaunlich viele Restaurants, Hotels und Galerien und wir denken, dass hier am Wochenende die Hölle los sein muss, wenn die Wochenendler aus Pachuca anreisen. Etwas ausserhalb ziehen Tannenbäume unsere Aufmerksamkeit auf sich, deren Stämme über und über mit Echeveria secunda bewachsen sind. Riesige Echeverienpolster gedeihen fast auf jedem Baum und füllen jede Nische in den Felsen. Furcraea parmentieri scheint es hier auf 2700m Höhe ebenfalls sehr gut zu gefallen. Immer wieder erhaschen wir einen Blick auf nackte Felsklippen und -türme, die ein Paradies für Kletterer sein müssen. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis nach Mineral del Monte, das auch Real del Monte genannt wird. Auch dieses kleine Minenstädtchen gehört zu den Pueblos Magicos von Mexico und ist wunderschön hergerichtet worden. Pastes, eine gefüllte Teigtasche ähnlich einer Empanada, sind hier die Spezialität und werden überall angeboten. Morgens kann man vor dem Markt heissen Kaffee oder Atole bekommen und eine Frau offeriert frittierte Tamales mit einer scharfen Salsa. Ueberall werden frische Pilze angeboten. Wir passieren eine Menge von kleinen hübschen Dörfern, vor deren Märkten Frauen sitzen und Pilze feilhalten. Einige sehen aus wie Steinpilze, andere wie Totentrompeten, Morcheln, oder Eierschwämme, noch andere haben rote Köpfe. Eine grosse Tüte kostet 10 Pesos, und da hält einem vor einem Kauf nur die Angst zurück, dass man ungeniessbare Pilze erwischen könnte.



Ein letzter Höhepunkt auf unserer Rundreise durch Hidalgo ist der Besuch der archäologischen Zone bei Tula de Allende. In aller Herrgottsfrühe stehen wir als erste am Eingang und werden auf dem Spaziergang zu den Ruinen nur von wenigen Souvenirverkäufern gestört. Natürlich interessieren uns besonders die Atlanten, übermannshohe Tolteken-Krieger. Die Steinriesen stehen auf einer Pyramide und es ist ein tolles Erlebnis, ganz alleine zwischen den riesigen Steinmännern herumzuschlendern. Von hier oben hat man auch einen schönen Ueberblick über den Rest der Anlage, die erstaunlich gross ist. Es gibt einen Fussballplatz, verschiedene Pyramiden, und sogar einige Steinfriese sind noch relativ gut erhalten.



Dieser Bericht ist natürlich nur ein kleiner Einblick in die vielen Sehenswürdigkeiten, die Hidalgo zu bieten hat. Es gibt noch viele andere hübsche magische Dörfer, dichte Kakteenwälder, faszinierende archäologische Stätten, schmucke Städtchen mit uralten Kirchen und Klöstern, tiefe Schluchten und hohe Berge, und dazu an vielen Strassenkreuzungen und auf Märkten Köstlichkeiten, die von Region zu Region variieren. Wer an Natur und Kultur interessiert ist, kann in diesem Staat voll auf seine Rechnung kommen ! Auch wir waren sicherlich nicht das letzte Mal in dieser wunderschönen Gegend unterwegs.



August 2006



Julia Etter & Martin Kristen