travelog 79






Mexico City



10-spurige Autobahnen und chaotischer Verkehr, Wolkenkratzer neben riesigen Grünanlagen, weltberühmte Museen, Slums, die die Hügel hinaufkriechen, Kolonialarchitektur neben Aztekenpalästen in Ruinen, labyrinthische Märkte und teure Einkaufsmeilen, das alles (und noch viel mehr) ist: Mexico City.



Je nach Kriterium und Messmethode liegt Mexico City zwischen dem 2. und 10. Platz der Rangliste der grössten Städte weltweit. Mit einer Höhe von 2'240m über Meer gehört Mexico City zu den höchsten Hauptstädten weltweit. Der Zocalo, wie der berühmte Hauptplatz genannt wird, ist mit einer Grösse von 57'600 Quadratmetern einer der grössten öffentlichen Plätze der Welt. Im Oktober 2006 stellten 13'446 Schachspieler, die zur gleichen Zeit auf dem Zocalo zu spielen begannen, einen Weltrekord auf und kamen ins Guinessbuch der Rekorde. Am 6. Mai 2007 fotografierte der amerikanische Fotograf Spencer Tunick ungefähr 18'000 nacke Mexikaner auf dem Zocalo. Wer hätte das gedacht? Ein Rekord für den Fotografen, dessen Maximum bisher 7'000 Nackte in Barcelona gewesen sind, aber sicherlich ein umso grösserer Rekord für das erzkatholische Mexiko.



Grossstädte sind uns eigentlich ein Greuel, doch wenn man so hohen Besuch (unsere Trauzeugin! au weia) aus der Schweiz hat, erfüllt man eben manchen Wunsch. Da der Besuch von Mäge in die Osterzeit fiel, war von Anfang an klar, dass wir unter gar keinen Umständen ans Meer fahren würden. Ueber Ostern, v.a. in der Semana Santa, fahren alle Mexikaner, die es sich irgendwie leisten können, mit dem ganzen Familienklan ans Meer. Das ist dann genau die Zeit, in der Grossstädte wie Mexico City "leer" sind. So jedenfalls wurde es uns berichtet. Natürlich ist es unmöglich, dass eine Stadt mit ~20 Millionen Einwohnern jemals leer ist, doch wir begnügen uns auch mit halbleer. Für Leute, die Mexico City tagaus, tagein erleben, ist die Semana Santa bestimmt eine Zeit, in der die Strassen fast verkehrsfrei sind und die Metro fast menschenleer ist, doch wir fühlen uns immer noch eingeengt in den Menschenmassen. Obschon wir rein visuell nicht das Gefühl haben, in einer leeren Stadt unterwegs zu sein, bekommen wir den Unterschied körperlich zu spüren. In den 4 Tagen, die wir in Mexico City herumstreunen, bekommen wir nichts vom sonst allgegenwärtigen Smog mit. Keine brennenden Augen, keine schmerzenden Schleimhäute, keine Atembeschwerden. Es müssen also doch einige Millionen die Stadt in ihren Autos verlassen haben.



Wir beginnen unseren Besuch im Zentrum, auf dem Zocalo, der schon zu Zeiten der Azteken ein grosser Platz war. Zocalo bedeutet Sockel. In Mexiko wird der Hauptplatz oft generell Zocalo genannt, und das kam so: 1843 wollte der damalige Präsident Santa Anna ein Denkmal zur Unabhängigkeit Mexikos errichten lassen. Nachdem der Sockel, der Zocalo, gebaut war, ging das Geld aus. Das Denkmal wurde nie errichtet, doch die Leute verabredeten sich beim Sockel, und schliesslich blieb der Name Zocalo hängen und seither heisst eigentlich jeder Hauptplatz in Mexiko Zocalo. Tagtäglich gibt es hier etwas zu sehen. Touristengruppen in kurzen Hosen marschieren zielstrebig über den riesigen Platz. Aztekenhäuptlinge tanzen in vollem Federschmuck für ein kleines Almosen. Tarotleser werben um Kundschaft. Lopez Obrador Anhänger verkünden ihre Botschaft. Strassenhändler verkaufen bunte Ballone, Batterien, kitschige Souvenirs, Früchte mit Salz, Chile und Limesaft in Plastiktütchen. Fotografen offerieren ihre Dienste. Und zweimal am Tag kann man den Fahnenauf- und abzug beobachten. Soldaten werden in Lastwagen angekarrt und marschieren zu Militärmusik in strammer Ordnung in die Mitte des Platzes, wo die riesige mexikanische Fahne langsam heruntergelassen wird. Dann marschieren sie wieder zurück und verschwinden im Nationalpalast und das Leben pulsiert wieder weiter. Hier ist das bunte Treiben Lateinamerikas hautnah mitzuerleben.



Der Zocalo ist umgeben von eindrucksvollen Gebäuden. Da ist zum Beispiel die Kathedrale, deren Fassade eindeutig windschief ist. Das liegt daran, dass Hernan Cortes Mexico City auf den Ruinen der Aztekenstadt Tenochtitlan aufbauen liess. Tenochtitlan war auf Inseln in einem grossen See angelegt und Wasserprobleme wurden mit einem ausgeklügelten Kanalsystem reguliert. Die ersten europäischen Besucher in der von Cortes aufgebauten Stadt nannten Mexico City denn auch oft das Venedig der Neuen Welt. Im Laufe der Zeit wurden die Kanäle aufgefüllt, das Seebecken trockengelegt und darauf weitergebaut. Wasser wurde und wird in einigen Nachbarschaften immer noch aus unterirdischen wasserführenden Schichten herausgepumpt. Nun fallen diese Schichten langsam zusammen und Mexico City sinkt, im Stadtzentrum ungefähr 2.5cm, in Gebieten mit vielen Brunnen, aus denen Wasser hochgepumpt wird, können es bis zu 50cm pro Jahr sein. Im 20. Jahrhundert sank die Stadt ungefähr 10m. Dies lässt nicht nur Fassaden schief werden und Strassen aufreissen. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 40% des Wassers aus undichten Wasserleitungen versickert. Um in die Kathedrale zu gelangen, muss man sich zuerst durch fliegende Händler, die katholische Souvenirs verkaufen, und Bettler durchkämpfen, obwohl schriftlich festgehalten ist, dass der Vorhof der Kirche kein Flohmarkt ist. Doch jeder denkt, wie so oft in Mexiko, dass diese Schilder nur für die anderen Leute gelten.



Der Regierungspalast, an der Stelle von Moctezumas Palast aufgebaut, ist täglich geöffnet und mit einem gültigen Pass oder einem sonstigen Ausweis bekommt man auch Zutritt. Besonders interessant sind die Wandmalereien von Diego Rivera im Aufgang zum ersten Stock. Rivera hat hier zwischen 1929 und 1945 die Geschichte Mexikos auf die Mauern gemalt. Aztekenherrscher, die Landung der Spanier in Veracruz, berühmte Präsidenten, unterschiedliche Indio-Stämme, die Legende von Quetzalcoatl, typisches Handwerk, Märkte, der Adler mit der Schlange im Schnabel auf der Opuntia, das Wahrzeichen Mexikos, und sogar Frida Kahlo ist zu entdecken. In einem grossen Hof etwas abseits finden wir den Botanischen Garten, der auf einem Schild angekündigt ist. Agaven und Yuccas sind riesig, dazwischen gedeihen Crassulaceen und einige Kakteen. Aloen blühen und Kalanchoe daigremontiana vermehrt sich ungebremst. Der Gärtner ist ganz fasziniert, als wir ihm erzählen, dass die meisten der hier ausgestellten Pflanzen aus Afrika stammen und gar keine echten Mexikaner sind!



Die Strassen, die hinter dem Regierungspalast von hohen Gebäuden gesäumt sind, werden von fliegenden Händlern in einen riesigen Flohmarkt verwandelt. Hier bekommt man von Socken über Unterwäsche, raubkopierte CD's und DVD's, chinesische Taschenrechner, Plastikblumenarrangements, Batterien, Nagelscheren, Kochbücher, Sexheftchen und vieles mehr, alles was das Herz begehrt. 1978, bei Grabungen für die Metro, wurden auf der Nordseite des Zocalo Ueberreste des von Cortes zerstörten Grossen Tempels entdeckt, der eine weitere Attraktion darstellt. Auf der anderen Seite des Zocalo, u.a. entlang der Avenida Madero, befinden sich die edleren Geschäfte. Uns hat es v.a. die Buchhandlung Madero angetan, die über eine unglaubliche Auswahl an naturhistorischen Büchern und Werken zur Kultur Mexikos und Mesoamerikas allgemein verfügt. Der Besitzer und seine Angestellten scheinen jedes Buch im Sortiment zu kennen und bringen immer neue Schätze aus dunklen Hinterzimmern. Hier kann man Stunden verbringen und in wunderschönen Bildbänden blättern. Leider sind Bücher in Mexiko aber immer noch ein Luxusartikel und extrem teuer. In kleinen Strassencafes und Restaurants kann man sich danach etwas vom Bummeln erholen. Die Angebote sind äusserst preiswert, und man kann hier wunderbar Leute beobachten.



Mindestens einen ganzen Tag kann man in den verschiedenen öffentlichen Märkten von Mexico City problemlos verbringen. Wir entscheiden uns für den Mercado Merced, der mit der Metro einfach zu erreichen ist. Metro fahren ist übrigens eine interessante und sehr empfehlenswerte Art der Fortbewegung in Mexico City. Nicht nur ist die Metro dank Subventionen die billigste Metro der Welt, man kommt auch wirklich unglaublich schnell vorwärts. Pro Tag werden durchschnittlich 4 Millionen Fahrgäste auf dem rund 180km langen Schienennetz befördert. Die Metro war die erste weltweit, die die Stationen mit Farben und Symbolen markierte, damit sie auch von den vielen Analphabeten benutzt werden kann. In der Stosszeit sind die ersten beiden Wagen oft für Frauen und Kinder reserviert, was tatsächlich überwacht und durch Tore gesichert wird. Keine schlechte Idee, kommt man doch während der Stosszeiten in teils unangenehm intimen Kontakt mit anderen Fahrgästen. Die unterirdischen Gänge sind wie eine Autobahn für Menschen organisiert. Schilder zeigen einem, in welche Richtung man laufen muss und darf und welche Seite des Ganges für wen reserviert ist. Eine weitere Spezialität der Metro sind die fliegenden Händler und Musikanten. Oft sind es Kinder, die Kaugummis oder Kugelschreiber verkaufen. Der letzte Hit allerdings scheinen Jugendliche zu sein, die mit einem kleinen Rucksack den Wagen betreten und ihren Sermon herunterleiern. Dann starten sie ihren kleinen CD-Spieler und aus einem in den Rucksack eingebauten Lautsprecher dröhnt die schrecklichste Bumbum-Musik, die man sich vorstellen kann. Naja, schrecklich vielleicht auch nur, weil sich die Verkäufer immer gerade neben einen stellen und man sich die Ohren zuhalten muss, um den Lärm zu überstehen. Die CD's, allesamt natürlich Raubkopien, kann man dann für 10 Pesos erstehen. Wir sind oft versucht, den Verkäufern schon beim Einsteigen 10 Pesos in die Hand zu drücken, nur um sie aus dem Wagen herauszuhalten! Genauso ergeht es einem mit den Musikanten. Kinder singen die Lieder zwar oft mit sehr viel Enthusiasmus, doch überhaupt keinem musikalischen Gehör. Auch die alten Männer, die ihre Katzenmusik und romantischen Lieder mit Guitarrengeklampfe begleiten, würden wir am liebsten bezahlen, damit sie gar nicht erst in unseren Wagen einsteigen.



Nun aber zurück zu unserem Besuch des Mercado Merced. Praktischerweise gibt es eine Metrostation Merced und kaum steigt man aus der unterirdischen Metro-Station die Treppen hinauf, steht man auch schon im Zentrum des riesigen Marktes und ist umgeben von einem konstanten Lärm und exotischen Düften. Verkäufer rufen einem hinterher, preisen ihre Ware an, offerieren ein kleines Probiererchen. Junge Männer schneiden und falten Bananenblätter in Quadrate. In einer Reihe werden unzählige Varianten von getrockneten Chiles in grossen Körben angeboten. Knoblauch und Zwiebeln in allen Grössen und Farben kann man nebenan erstehen. Orange Mangos locken uns, doch der Preis pro Kilo verdoppelt sich, wenn man die Früchte selber auswählen will, was uns dankend ablehnen lässt. Huitlacoche, ein Pilz, der auf Maiskolben gedeiht und in Mexiko eine Delikatesse ist, wird auf Zeitungspapier angeboten. Die Uebersetzung von Huitlacoche, Raben-Exkrement, ist nicht sonderlich appetitlich, wir können allerdings bezeugen, dass diese mexikanische Trüffel, wie der schwarze Pilz auch schon genannt wurde, äusserst schmackhaft ist als Zugabe in Quesadillas, Tacos oder Rühreiern. In den USA ist dieser Pilz, der als Plage angeschaut wird, längst ausgerottet, doch in Mexiko erzielt Huitlacoche weit höhere Preise als Maiskolben selber. Ein nächster Stand verführt mit bunten Plastiktaschen, in denen man seine Einkäufe bequem nach Hause bringen kann. Hunderte dieser Taschen hängen in allen Grössen und Farben von der Decke und man hat die Qual der Wahl, denn die Verkäuferin will einem ihr ganzes Sortiment vorführen. Danach sind weisse Käse aufeinandergestapelt. Schweineköpfe und -füsse hängen an dicken Haken. Gedärme liegen auf dem Tresen. Halbe Rinder werden auf Schubkarren durch die dichte Menge manövriert. Früchte sind zu hohen bunten Pyramiden aufeinandergetürmt, die bei einem falschen Griff in sich zusammenzustürzen drohen. Die Essabteilungen riecht man von weitem. Hier wird der Lärm und das Geschrei lauter, denn die Bedienung in den verschiedenen kleinen Fondas preisen alle gleichzeitig ihr aktuelles Angebot an. Hungrige Touristen erkennen sie auf den ersten Blick und wir werden von allen umschwärmt. Chiles rellenos, ausgebackene Chiles mit einer Käsefüllung, sind appetitlich auf grünen Blättern angerichtet. In wunderschönen grossen Keramikschüsseln köcheln verschiedene Eintöpfe und Suppen. Sogar die Flaschen mit Cola und sonstigen bunten Zuckerwässerchen sind liebevoll angeordnet. Aus riesigen Gläsern werden aguas frescas angeboten. Oft ist es Horchata, ein süsses Reiswasser mit Zimt, oder Wasser mit Hibiskusblüten-, Melonen-, Zitronen- oder Guavengeschmack. Alle schmecken herrlich erfrischend nach einem Einkaufsbummel durch den Markt.



Später schlendern wir vorbei an bunt gemusterten Plastikstoffen. Mäge besitzt eine Tasche, die auf ihren Reisen immer dabei ist, und die sie in Berlin bestimmt für viel Geld gekauft hat. Genau dieser Stoff wird hier für eine Kleinigkeit angeboten. So erstehen wir denn plastifizierte Stoffe mit anderen Mustern, damit Mäge sich in Zukunft ihre Beutel und Taschen selber nähen kann. Immer wieder stoppen wir, um interessante und uns unbekannte Früchte und Gemüse zu studieren. Die Verkäuferinnen erklären einem immer gerne, was man vor sich hat. Der penetrante Geruch von Fisch und Putzmittel kündigt die Fischabteilung an. Tintenfische und Oktopusse liegen zwischen Eis. Huachinango, Roter Schnäpper, und andere Fische gibt es in allen Grössen, ebenso Garnelen. Dann kommen wieder Früchte und Gemüse und hat man schliesslich genug davon gesehen, geht man einfach über die Fussgängerbrücke, die eine 8-spurige Strasse überquert, und verschwindet auf der anderen Seite im Mercado Sonora. Zuerst wandert man durch die Heilkräuter- und Hexereiabteilung. Für jedes Wehwehchen und jede Krankheit ist hier ein Kraut, eine Wurzel oder eine Rinde gewachsen. Hat man persönliche Feinde oder gar Liebeskummer, so kann einem hier mit Puppen, schwarzer Magie, verhexten Kerzen, Knoblauchzehen und sonstiger Zauberei geholfen werden. Dann wechselt man zu den lebenden Tieren und kommt vorbei an Geschäften, wo die Vogelkäfige bis an die Decke hängen. Unglückliche Papageien krächzen, während andere bunte Vögel in den kleinen Käfigen flattern. Reptilien und Fische stehen zum Verkauf. Kätzchen und Welpen sind mit ihren grossen Augen unwiderstehlich. Hühner und Truthähne sitzen im Dunkeln. Bunt angesprayte Küken werden aus einer Kartonschachtel heraus in Papiertüten umgepackt und feilgehalten. Alles wird hier verkauft, nur fotografieren scheint verboten zu sein. Nicht nur für die Augen und das Gewissen, auch für unsere Nasen ist dieser Besuch kein sonderliches Vergnügen.



Hat man endgültig genug vom Lärm, den bunten Farben und exotischen Gerüchen, gibt es an einem anderen Ort noch einen grossen Kunsthandwerksmarkt. Systematisch kann man die Reihen im Mercado Ciudadela abgehen und von bunter Keramik aus Guadalajara und Dolores Hidalgo, bunten Perlenstickereien der Huichol-Indianer, kunstvoll bemalten Kürbissen aus Guerrero, geblasenem Glas aus Jalisco, schwarzer Keramik aus Oaxaca, Stoffen und Kleidern aus dem Süden Mexikos und Guatemala bis zu Aztekenköpfen aus Onyx und Alabaster, Salatbesteck und Mörsern aus Granadillo Holz, und Schlüsselanhängern aus Muscheln, Kunsthandwerk aus ganz Mexiko erstehen. Feilschen gehört hier zum guten Ton!



Natürlich hat Mexico City auch betreffend Nachtleben einiges zu bieten. Wir empfehlen zum Beispiel die Plaza Garibaldi mit ihren Mariachi Musikanten. Das Viertel rund um die Plaza Garibaldi ist eher heruntergekommen, doch der kleine Platz ist hübsch zurechtgemacht mit einem grossen Brunnen in der Mitte und Statuen von Mariachi Musikern auf Säulen rundherum. Nachdem man das Spiessrutenlaufen vorbei an den verschiedenen Restaurants rund um den Platz hinter sich gebracht hat und endlich mit einem kalten Bier an einem Tisch sitzt, geht schon der nächste Rummel los. Pausenlos, so scheint uns, defilieren die Musikanten an uns vorbei und offerieren ihre Dienste. Höflich, wie wir es bei anderen Mexikanern abgeschaut haben, vertrösten wir sie auf später, doch irgendwie haben wir das Gefühl, dass sie es wörtlich nehmen und nach einer gedrehten Runde schon wieder bei unserem Tisch anstehen. Wir verweilen uns und beobachten die aufdringliche Bedienung der verschiedenen Restaurants, die hinter potentiellen Kunden her rennend die Speisekarte herunterrasselt. Auch die englische Version der Speisekarte unserer Taqueria La Simpatia gibt uns einiges zu lachen. Pozole, eine typische Suppe aus Jalisco, wird beschrieben als NO HOT. Tortillas de harina, Weizenmehltortillas, werden phonetisch korrekt als flower tortillas, Blumentortillas, übersetzt. Eine besondere Spezialität muss Roast Hoof, der geröstete Huf eines Tieres sein. Wir nehmen an, es handelt sich dabei um eine Schweinshaxe. Nun aber zurück zu unseren Musikanten. Kaum haben sie ein Opfer gefunden, oft eine grosse Gruppe von jungen Leuten oder ein Paar in romantischer Stimmung, fiedeln sie los um die Wette. So kommen auch wir gratis in den Genuss von Mariachi Musik, obwohl es zuweilen etwas laut wird, wenn man von drei Seiten drei verschiedenen Gruppen und drei unterschiedlichen Liedern zuhören muss. Bei einem Spaziergang um den Platz herum verweilen wir uns bei verschiedenen Gruppen und hören mit.



Eine andere beliebte Gegend ist die Zona Rosa, die Hotel- und Touristenzone. In einer Fussgängerpromenade reihen sich die Lokale aneinander. Laute Musik dröhnt abends aus den Lautsprechern. Junge Leute nippen an bunten Drinks aus langen Gläsern. Das Bier kann hier schon mal 35 Pesos kosten, das Dreifache des üblichen Preises. Es gibt raubkopierte CD's zu kaufen, aber auch Schmuck und gewobene Armbänder in Rastafarben. Besonders auffallend sind die vielen homosexuellen Paare, wohlgemerkt nur männlichen Geschlechts, die hier Hand in Hand und schmusend anzutreffen sind.



Ein weiterer Ausflug am Abend führt uns nach Coyoacan, berühmt v.a. als Wohnort von Frida Kahlo. Die kleinen Gassen quellen über von Leuten. Man sitzt und tratscht vor Cafeterias, oder schleckt ein Eis. Auf dem Hauptplatz gibt es an diesem lauen Sonntagabend absolut kein Durchkommen. Menschenmassen wälzen sich im Sonntagsstaat über den Platz, fliegende Händler wittern Geschäfte und Clowns bezaubern die Familien. Wir kämpfen uns durch einen kleinen Kunsthandwerksmarkt, wo es alles gibt, was wir im letzten Markt gesehen haben, allerdings leicht teurer. Die Jacarandabäume blühen violett, die Luft ist angenehm lau. Wir finden ein kleines Restaurant, wo wir draussen sitzen können und gerade so die letzten sind, die noch etwas serviert bekommen. Natürlich ist dies ein wunderbarer Ort, um unserer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen und andere Leute zu beobachten. Der Rückweg ins Hotel gestaltet sich dann allerdings abenteuerlich. Wir drängeln und drücken und finden tatsächlich Platz in einem der vielen Busse, die zu einer Metrostation fahren. Endlich dort angekommen, wird einem mitgeteilt, dass wir in einen anderen Bus umsteigen müssten, denn die Metro sei auf dieser Strecke momentan ausser Betrieb. Immerhin werden wir gratis befördert. Leider sind wir nicht die einzigen und werden kräftig gequetscht und gedrückt. Immerhin wurde eine Fahrspur für die Einsatzbusse reserviert und so kommen wir einigermassen schnell vorwärts. Nach einer Ewigkeit und zig Kilometern später werden wir endlich ausgelassen, müssen um zwanzig Ecken gehen und dann noch zweimal umsteigen. In einer Grossstadt ist eben immer etwas los!



Um Coyoacan aber auch bei Tag und ohne grossen Rummel zu geniessen, fahren wir früh an einem Morgen nochmals dorthin. Vor dem blauen Haus an der Londres 247 in Coyoacan stehen um 10 Uhr erst ganz wenige Leute. Durch das Tor tritt man ein in einen wunderschönen schattigen Garten mit grossen blühenden Jacarandabäumen. Alles ist grün und überwuchert mit Pflanzen. Dazwischen gibt es Steinbänke und antike Skulpturen. Die Räume von Fridas Haus sind allesamt sehr schön bunt angemalt. An den Wänden hängen Postkarten, eigene Bilder und Werke bekannter Künstler und Freunde. Die Küche ist dekoriert mit mexikanischer Keramik. Man kommt vorbei am Bett mit dem Spiegel darüber, sieht ihr Atelier und steigt über einen kleinen Balkon die Treppen hinunter vorbei an einer kühlenden Wasserfontäne. Mittlerweile sind Car-Ladungen voller deutscher und französischer Touristen angekommen. Eine Reporterin sucht Leute, die sich auf spanisch darüber auslassen wollen und können, was Frida Kahlo ihnen persönlich bedeutet. Wir werfen noch einen Blick in den Souvenirladen und verziehen uns dann schnell auf den Hauptplatz, wo wir gemütlich einen Kaffee trinken. Der ehemalige Palast und Wohnsitz von Hernan Cortes ist das Gemeindegebäude geworden. In einer Seitenstrasse verfällt langsam das Haus, in dem angeblich La Malinche, die Geliebte von Cortes, gewohnt haben soll. An einem normalen Wochentag geht es hier noch immer gemütlich zu und her.



Nach vier Tagen zu Fuss durch die Grossstadt haben wir genug von der Latscherei und verlassen den Moloch über den Südausgang in Richtung Guernavaca, um die Ruinenstadt von Xochicalco zu besuchen. Nach Teotihuacan ist dies die zweitgrösste Ruinenanlage aus prähispanischer Zeit in der Umgebung von Mexico City. Doch davon werden wir ein anderes Mal berichten. Mexico City wird man wohl "leer" besuchen können, doch die Semana Santa ist eine ideale Zeit. Der Moloch fühlt sich leerer an als sonst, Museen und Geschäfte sind geöffnet, der Zocalo quillt über vor Leben, kurz und gut man muss auf nichts verzichten und kann die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten etwas gemütlicher geniessen.



Mai 2007



Julia Etter & Martin Kristen