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Desierto Coahuilense



Unsere Reise durch die Wüstenregion Coahuilas beginnen wir in Monclova. Hier ist die letzte Möglichkeit, in einem grossen Supermarkt alles einzukaufen, was man so für die nächsten Wochen braucht. Ausserdem betätigen wir uns wieder mal als Internet-Piraten. Seit in Mexico in grösseren Ortschaften kabelloses Internet benützt wird, haben wir es uns zum Hobby gemacht, keine Internet Cafes mehr zu benützen, sondern uns gratis irgendwo anzuschliessen. Am einfachsten packt man den Laptop unter den Arm und versucht, an allen Ecken des Hauptplatzes eine ungeschützte Verbindung zu finden. Gelingt das, fährt man mit dem Unimog an genau diese Stelle, parkt, steckt den Laptop ein, wählt sich ins Internet ein und surft nach Herzenslust. Wird man so nicht fündig, kann man auch mit dem Unimog eine belebte Strasse mit vielen Geschäften entlangtuckern. Einer fährt, der andere versucht eine ungeschützte Verbindung zu finden. Auf die eine oder andere Weise haben wir immer Erfolg gehabt. Ausser ein paar neugierigen Blicken der Passanten, die es etwas komisch finden, dass wir mit einem Computer auf einem Treppenabsatz sitzen, wird man in Ruhe gelassen.



Ausserhalb von Monclova und Richtung Cuatro Cienegas beginnt die schöne und einsame Landschaft, deretwegen wir hierher gefahren sind. Schroffe Bergketten durchziehen die karge Landschaft. An den sanften Hügeln stossen wir auf grosse Bestände von Hesperaloe funifera ssp. funifera. Eine weitere interessante Pflanze ist Grusonia bradtiana, die mit ihren gelben Dornen im Gegenlicht richtiggehend glüht und damit wunderschön aussieht. Zwischen den Hügeln wird die Vegetation immer dichter. Auf einem kleinen Platz, wo ab und zu Candelilla (Euphorbia antisyphilitica) geerntet wird, finden wir einen idealen Uebernachtungsplatz in dichter Vegetation. In der gesamten Gegend hier wird Candelilla in rauhen Mengen geerntet. Die modernen Candelilleros fahren mit einem Pickup zum ernten, aber man sieht immer noch oft alte Männer mit ihren vollbepackten Eseln. Aus der Pflanze wird das Candelilla Wachs extrahiert, das in der kosmetischen Industrie und in Polituren und Wachs für Möbel, Leder und Textilien verwendet wird. Es gibt reichlich Opuntienholz, das ideal für unser Lagerfeuer ist. Unter einem Sichelmond geniessen wir unser Essen vom Grill. Zur Verdauung gibt es selbstverständlich ein Gläschen Tequila. Gegen den am Horizont noch leicht hellen Himmel heben sich die grazilen Blütenstände der Hesperaloe wunderschön ab. Und kleine Fledermäuse kurven in teilweise halsbrecherischen Manövern durch das Dämmerlicht auf der Jagd nach fliegenden Insekten.



Die Umgebung von Cuatro Cienegas alleine wäre einen Besuch von mehreren Wochen wert. Wir besuchen zuerst einmal das kleine Informationszentrum, wo neben ein paar Büchern und Kunsthandwerk aus Mesquiteholz viel Information zur Gegend geboten wird. Hier bekommen wir den Schlüssel, um die "Dunas de Yeso", die Gipsdünen, zu besuchen. Im Hintergrund erhebt sich die trutzige Sierra San Marcos y Pinos und bald schon erreichen wir auf einer guten Piste die weissen Gipsdünen. Zuerst sind es nur kleine Hügelchen, die sich im Windschatten niedriger Büsche gebildet haben. Yucca torreyi und ein Dasylirion finden hier ein karges Auskommen. Die Piste schlängelt sich durch niedrige weisse Dünen bis zu einem Parkplatz. Nach ein paar Schritten sind die meisten Spuren im feinen Sand verwischt und man ist völlig alleine. Unter einem brilliant blauen Himmel leuchten die hellen Dünen noch weisser. Sand sammelt sich an kümmerlichen Bäumen, totem Holz, niedrigen Büschen, und zwischen den Blättern von Yuccas und Dasylirien. Die Nacht verbringen wir an der "Poza de la Becerra", einer miteinander verbundenen Serie von kleinen Seen mit wunderbar warmem Wasser. Leider liegt dieses Bad gleich neben der Hauptstrasse nach Torreon, doch nachts hört der Verkehr völlig auf. Es gibt mit Palmblättern gedeckte Sonnenschirme, Grillstationen, Tische, und man kann sogar Liegestühle ausleihen. Wir steigen als erstes in das ca. 30° Celsius warme Wasser, um uns den Staub der letzten Wochen von den Knochen zu waschen. Ein Schild an einem Baum verbietet es, die Fische zu füttern, doch diese kommen von alleine, um an unseren Beinen kleine Hautfetzen zu erwischen oder uns gar in die Zehen zu beissen. Es gibt eine Unzahl verschiedener Fische hier im warmen Wasser, einige davon sind sogar endemisch in dieser Region, und der grösste ist ein schwarzer ca. 15cm langer Fisch. Das Areal ist ziemlich gross und wir sind an einem Wochentag völlig alleine, bis eine Gruppe junger Leute ausgerechnet neben uns parkt und Kisten voller Bierdosen auspackt. Dann werden alle Türen geöffnet und die Musik auf volles Volumen aufgedreht. Mit dem Frieden ist es nun vorbei. Als dann noch mehr junge Männer mit noch mehr Bier eintreffen, wird es uns zu bunt. Als wir uns höflich erkundigen, ob sie wohl die Lautstärke etwas drosseln könnten, denn unser Musikstil bewege sich in eine andere Richtung, leisten sie sofort Folge. Später sehen wir auch weshalb. Es gibt nämlich Regeln hier, die besagen, dass die Musik auf eine für alle verträgliche Lautstärke eingestellt sein muss. Als dann noch zwei Jünglinge etwas verlegen lachend hinter dem Unimog hervorschleichen und ich eine Wasserpfütze unter dem Auto sehe, verklickere ich den Jungens, dass es nicht gerade von grossem Stil zeuge, bei vorhandenen Toiletten hinter unser Auto zu pinkeln. Fünf Minuten später packen sie alles ein und verziehen sich mit der Musik ans entgegengesetzte Ende der Anlage, wo wir sie nicht mehr hören können. Dann verbringen wir eine ruhige Nacht unter klarem Sternenhimmel. Frühmorgens taucht die aufgehenden Sonne die sich im Wasser spiegelnden Bergketten in rosarotes Licht und aus dem warmen Wasser steigen Dampfwolken auf. In Cuatro Cienegas tanken wir noch auf und werden an der Tankstelle gleich von einem jungen Mann angesprochen. Zuerst denken wir, dass es ein Führer ist, der uns seine Dienste anbieten will, doch dann stellt sich heraus, dass er ein Archäologe ist, der mit der INAH (Instituto Nacional de Antropologia e Historia) zusammenarbeitet. Wir quasseln ein bisschen und werden auch gleich in sein Büro eingeladen, um unsere Emails herunterzuladen. Das Büro entpuppt sich als kleines Häuschen, das er sich mit einer Mitbewohnerin mit Kind teilt. Durch ein unglaubliches Chaos bahnen wir uns einen Weg bis in den Garten, wo wir auf einem improvisierten Tisch den Laptop aufstellen und tatsächlich über eine kabellose aber geschützte Internetverbindung unsere Mails herunterladen und beantworten können.



Von Cuatro Cienegas bis Ocampo ist die Strasse noch asphaltiert. Kurz vor Ocampo machen wir einen Abstecher nach Westen Richtung Sierra La Madera. Es geht auf einer eher schlechten Piste über eine lange Ebene bis wir endlich zu den ersten Ausläufern der Sierra kommen. Hier beginnen auch die ersten Yucca faxoniana. Die meisten Pflanzen haben abgeschnittene alte Blütenstände. Ein Vaquero, ein mexikanischer Cowboy, erklärt uns später, dass die Blüten ein sehr gutes Viehfutter seien und deshalb in Massen abgeschnitten würden. Kaum kommen wir zwischen die ersten Hügelketten, fahren wir durch einen unheimlich dichten Wald von Yucca faxoniana. Irgendwo stellen wir uns zwischen die vielen Pflanzen und geniessen unser Abendessen wieder unter dem Sternenhimmel. Am nächsten Tag passieren wir zwei verlassen aussehende Ranchos und treffen auf besagten Cowboy, der ganz erstaunt ist, uns hier zu sehen. Leider müssen wir hier umdrehen, denn weiter hinten ist ein Viehgatter mit Schlössern verriegelt. Nördlich von Ocampo beginnt nun die grosse Einsamkeit. Auf einer schnurgeraden staubigen Piste bewegen wir uns langsam nordwärts. Die Landschaft ist absolut flach und langweilig. Einige niedrige Hügel sind am Horizont auszumachen, doch die Strasse nähert sich für die nächsten 100 Kilometer keiner nennenswerten Erhebung. Nach diesen 100 Kilometern können wir dann allerdings dem ersten steinigen Hügel nicht widerstehen, auf dem wir zusammen mit einigen anderen Kakteen auch Ariocarpus fissuratus entdecken. Hier gibt es nur noch ganz wenige verstreute Anwesen und riesige Rinderweiden. Autos begegnen uns selten. Ab und zu heissen die Ranchos wie auf der Karte eingezeichnet, dann wieder gibt es Wegweiser, auf denen Ortschaften in 286 Kilometern Entferung ausgeschildert sind. Schliesslich biegen wir Richtung Osten und der Sierra La Encantada ab. In Las Eutimias wird viel Candelilla verarbeitet. Vergebens erkundigen wir uns nach einem Abarrotes Geschäft. Hier gibt es nicht einmal Strom, geschweige denn sonst etwas zu kaufen. Unsere Piste besteht jetzt aus unzähligen Fahrspuren, die alle irgendwie Richtung Norden führen. In der Regenzeit muss dies ein Abenteuer sein, wenn sich der ganze feine Staub in Lehm verwandelt.



Doch schliesslich erreichen wir eine unheimlich gut ausgebaute Piste, auf der wir fast wie auf einer Autobahn fahren können bis wir an einem grossen Tor mit Wächter enden. Hier ist La Encantada, eine riesige Silbermine einer kanadisch-mexikanischen Gesellschaft. Nach einer Ewigkeit und zig Telefonaten bekommen wir schliesslich die Erlaubnis, auf das Gelände zu fahren, um im einzigen Geschäft vor Ort Trinkwasser zu kaufen. In den Gestellen gammeln ein paar Bananen vor sich hin und Kartoffeln treiben aus. Reissenden Absatz scheinen nur Dosenbohnen, Chips, CocaCola und Maruchan, Instant Mahlzeiten, zu finden. Wo die Piste am nächsten an die senkrechten Felswände der Sierra La Encantada herankommt, parken wir den Unimog bei einem verlassenen Rancho. Auf einer uralten und stark überwachsenen Piste wandern wir bis an und in einen Canyon hinein, von dem wir uns einiges versprechen. Ohne die Piste wäre durch die Hechtien- und Lechuguilla-Teppiche kein Durchkommen. Die senkrechten Felswände sind bis auf Hechtien absolut kahl. Und auch weiter hinten im Canyon finden wir ausser tollen Felsformationen und Chiltepin, einem kleinen aber sehr scharfen wilden Chili, nichts. Als wir später einen Platz für die Nacht suchen, kommen wir bei einer aus Wellblech und Karton zusammengeschusterten Hütte vorbei, die wir von der Strasse aus gar nicht gesehen hatten. Ein paar Ziegen, Hühner und ein Hund kratzen im Sand. Der Besitzer begrüsst uns sofort freundlich und erzählt uns seine halbe Lebensgeschichte. Als wir schon fast wieder wegfahren, fragt er uns, was er uns denn anbieten könne. Dabei hat er nicht einmal Wasser, das wird ihm von einem Nachbarn jeden Tag gebracht. Wir bedanken uns höflich für seine den Mexikanern angeborene Gastfreundschaft und stellen uns etwas weiter von seinem Rancho weg in die Vegetation.



Die Strasse von Melchor Muzquiz nach Cuesta La Malena und bis zur Verzweigung nach Boquillas del Carmen ist wieder asphaltiert. Wir kommen aber nur für wenige Kilometer in den Genuss des Asphalts. Gleich hinter besagter Verzweigung beginnt wieder eine Waschbrettpiste, die uns Richtung San Miguel führt. Unterwegs stoppen wir an alten Minenschächten, wo wir auf den Abfallhalden immer noch einige schöne Stücke finden. Kurz vor San Miguel treffen wir auf das Strassenbauerteam. Tatsächlich soll die Strasse in der näheren Zukunft bis nach San Miguel asphaltiert werden. Ausgemessen wird schon mal kräftig, ob nachher auch Geld für das Projet zur Verfügung steht, das ist auf einem anderen Blatt geschrieben. In San Miguel gibt es lauwarmes Cola und Bier zu kaufen, natürlich zu Gangsterpreisen. Daneben die üblichen Maruchan Instant-Mahlzeiten. Und Benzin aus Kanistern. Hinter diesem Dorf wird es wieder einsam. Wieder führt die Piste, die hier oft sandig und sehr schlecht ist, durch Ebenen und wir erahnen die Berge immer nur in der Ferne. Wir kommen durch unzählige trockene Flussbetten hindurch, wo die Uebergänge meist ausgewaschen sind und umfahren werden müssen. Nun begegnen uns pro Tag höchstens noch drei Autos. Wir sind weit und breit die einzigen in dieser gottverlassenen Ecke von Mexico, obwohl einige Kilometer weiter nördlich die Grenze zu den USA verlaeuft. In der Ferne erkennen wir die Chisos Mountains im amerikanischen Big Bend Nationalpark. Die Landschaft ist unendlich weit, der Nachthimmel übersaet mit Sternen, und die Coyoten singen uns in den Schlaf.



Kurz vor Alamos de Marquez erkunden wir einen Canyon, in dem die Piste auf eine Hochebene hinaufführt. Im trockenen Flussbett gibt es immer wieder Kalksteinfelsen, die aus dem Sand herausragen. Und genau in einem dieser Felsen entdeckt Martin einen versteinerten Ammoniten. Wir finden noch eine Muschel, einen Fisch und sowas wie ein Blatt. Doch keine Crassulaceen, deretwegen wir eigentlich hinuntergestiegen sind. Alamos de Marquez liegt genau an der Grenze zu Chihuahua. Und hier wird plötzlich auch die Piste viel besser und bald kommen wir an einem Zweimann-Team vorbei, das mit einer Maschine an der Piste arbeitet. Wie lange die schöne Oberfläche der Piste allerdings halten wird, sei dahingestellt. Wieder kommen wir farbigen Bergen etwas näher und bei einem Abstecher finden wir in Ausläufern kleiner Täler versteinertes Holz und andere schöne Steine. Die Piste führt uns nun durch Badlands. Der Boden ist teils ganz gelb, daraus ragt ein Ueberrest eines roten vulkanischen Felsens. Die pastellfarbenen kahlen Hügel sind erodiert. Eine rotbraune Bergkette ist mit Zinnen und Zacken verziert. Dann erreichen wir Paso de San Antonio, kommen durch ein schönes Flusstal mit grünen Cottonwood Bäumen und erreichen in Manuel Benavides nach 600 Kilometern Piste endlich wieder den Asphalt. Der Friedhof ist noch ganz bunt mit den Blumen und Dekorationen des Dia de los Muertos. Und in einem kleinen Lebensmittelladen treffen wir auf den gleichen Mann, der gestern an der Piste gearbeitet hat. Die Welt ist hier noch klein. Kaum verlassen wir Manuel Benavides Richtung Ojinaga treffen wir auch auf eine weitere Installation der Zivilisation, eine Militärkontrolle. Und die ist natürlich überaus interessiert an unserem Fahrzeug, das aus dem Nichts plötzlich bei ihnen aufgetaucht ist. Schliesslich fahren immer die gleichen Leute an ihnen vorbei, denn kaum einer fährt weiter als von und nach Manuel Benavides. Nachdem sie uns gründlich untersucht und die Plastiktüte mit dem verdächtigen weissen Pulver schliesslich als Mehl identifiziert haben, unterhalten wir uns noch eine Weile.



Auf den ganzen 600 Kilometern, die teils recht nahe an der amerikanischen Grenze entlangführten, haben wir keine einzige Militärkontrolle angetroffen. Auch keine Patroullien. Die Gegend ist so gottverlassen, einsam und unwirtlich, dass sich nicht einmal illegale Immigranten oder Drogenkuriere hierher verirren. Uns bleiben die unendliche Weite, der sternenübersäte Himmel, die pastellfarbenen Hügel und die heulenden Coyoten in Erinnerung. Und dann lockt da auch noch die Abzweigung nach Boquillas del Carmen und die Sierra del Carmen, die wir diesmal wegen Mangels an Diesel und Lebensmitteln links haben liegenlassen. Doch auch jene Gegend werden wir uns noch 'erarbeiten', ein Projekt, das vorerst auf unserem immer weiter anwachsenden 'Projekt-Berg' landet.



Oktober 2007



Julia Etter & Martin Kristen