travelog 86






Besuch in der alten Heimat



Welch' besseren Grund gibt es, um der alten Heimat seit langem wieder einmal einen Besuch abzustatten als die Hochzeit von Julias Bruder !? Da die Hochzeit ausserdem für den Sommer geplant ist, steht unserem Besuch nichts entgegen - hatten wir uns doch vor langer Zeit vorgenommen, die Schweiz nur noch in den warmen Sommermonaten zu besuchen. Unser Empfang bei Julias Mutter beginnt schon als kleines Highlight mit rezentem Käse vom lokalen Markt und Landjäger, einer typischen Schweizer Wurstspezialität, vervollkommnet durch ein Glas frischen Weins. Und kulinarische Höhepunkte begleiten denn auch unseren 3-wöchigen Besuch, der deshalb natürlich auch kilomässig nicht spurlos an uns vorbeigeht.



Gleich für das erste Wochenende ist das grosse Fest, die Hochzeit von Amanda und Kaspar, eingeplant. Da Amanda aus dem Tessin stammt, findet der grosse Anlass auch dort statt, in der Umgebung von Locarno. Was uns Gelegenheit gibt, Nicky und Zino, alte Freunde, die wir seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatten, zu besuchen. Um das Wochenende perfekt zu machen, dürfen wir bei ihnen übernachten. So kommen wir in den Genuss von unzähligen kulinarischen Spezialitäten und vielen Flaschen köstlichen Traubensaftes, doch damit fängt das Elend auch schon an und man getraut sich nachher gar nicht mehr auf die Waage zu steigen. Am Freitag bekommen wir freundlicherweise das Auto unserer ehemaligen Nachbarin für das Wochenende ausgeliehen und fahren über den San Bernardino - eine der beiden grossen Strassenrouten über die Schweizer Alpen - ins Tessin, da zu Ferienbeginn Stau am Gotthard angesagt ist. Ausserdem ist das Wetter perfekt, um eine kleine Spritztour durch diesen Teil der Schweiz zu machen. Von den Felsen trutzen im Bündnerland alte Burgen, weiss herausgeputzte Kirchlein leuchten von den grünen Wiesen. Fette Kühe bevölkern die Weiden, ein Anblick der fotografisch festgehalten werden muss, da unsere mexikanischen Freunde wahrscheinlich noch nie so dicke Kühe gesehen haben. Bei Thusis machen wir einen Abstecher auf der alten schmalen Strasse, um uns die Via Mala, eine enge Schlucht, durch die sich der junge Rhein zwängen muss, anzuschauen. Weit unten tost das Wasser zwischen engen, ausgeschliffenen Felsen zu Tal. Sogar ein Sedum können wir hier entdecken, so hält sich unser Heimweh etwas in Grenzen. Danach folgt die Kirche von Zillis, wo man wunderschöne Deckenmalereien bestaunen kann. Besonders graphisch dargestellt und faszinierend sind die Schlächter, die abgehackte Köpfe in den Fäusten halten. Nun werden wir auf beiden Seiten von hohen, teils noch leicht schneebedeckten Gipfeln begleitet. Alpenblumen erfreuen das Auge, vor den Holzhäusern, auch Chalets genannt, leuchten rot blühende Geranien in Töpfen. Und überall bimmeln Kuhglocken auf den Wiesen. Bald schon geht es bergab ins Tessin und problemlos finden wir Nickys Haus oberhalb von Giubiasco. Die Wiedersehensfreude ist gross, beruhigend ist v.a., dass wir uns auch nach all den Jahren problemlos wiedererkennen. Natürlich wird gleich der Tisch auf der Terrasse gedeckt und zur Aussicht weit in die Magadinoebene hinaus geniessen wir einen Merlot, Tessiner Käse und Wurstspezialitäten wie Hirsch- und Eselsalami und eine hervorragende Mortadella. Die hat jedoch nichts mit der "Schweinerei" zu tun (wie Nicky es gerne nennt), die in der Deutschschweiz als Mortadella verkauft wird, sondern ist eine dicke, grobe Salami. Nach einem Kaffee mit Grappa müssen wir uns auch schon losreissen, um noch rechtzeitig zum Polterabend zu kommen. Man trifft sich an der Talstation der Seilbahn nach Cardada, an deren Bergstation wir in einem urigen kleinen Restaurant ein typisches Tessiner Nachtessen geniessen. Danach schlendert man um Mitternacht unter dem Sternenhimmel zurück zur Bahn.



Am Samstag werden wir zuerst von Nickys Küche verwöhnt und erscheinen schon leicht fröhlich beschwipst auf dem Schloss Castello Sasso Corbaro von Bellinzona, wo die Trauung stattfindet. Die Braut fährt in einem uralten Piaggio und lautem Gehupe unter dem Beifall der Gäste vor. Im Saal müssen die meisten stehen und alle hoffen, dass die Zeremonie so schnell wie möglich vorbei ist, denn es gibt keine Klimaanlage und schon nach wenigen Minuten sind wir schweissgebadet. Natürlich gibt es ein paar lustige Momente, denn die Trauung findet auf italienisch statt, doch der Standesbeamte übersetzt einige Partien auch auf deutsch, damit Kaspar genau versteht, worauf er sich da einlässt. Kyra, die 3-jährige Tochter des Brautpaares, verfolgt das Geschehen aufmerksam und darf die Ringe übergeben und später Zuckermandeln an die Gästeschar verteilen. Nun geht es zu einem Aperitif unter blauen Trauben an Granittischen in ein nahegelegenes Restaurant. Und später nach Ascona, wo auf einer edlen Terrasse am See für uns aufgetischt wird. Falls die werte Leserschar nun das Gefühl hat, dass wir bisher eigentlich nicht viel mehr getan haben als uns die Bäuche vollschlagen, dann täuscht sie sich nicht. Aber bei so viel gutem Essen kann man einfach schlecht nein sagen. So schlemmen wir denn auch genussvoll vom Grano Padano Parmiggiano Käse. Ein ganzer Laib wurde aufgeschnitten und mit dem Messer Röslein herausgeschnitten, die man mit den Fingern herauspickt. Dazu fliesst reichlich Champagner und alle sind beschäftigt, ihren Tisch zu finden. Wir Alten, d.h. die über 40-jährigen, sind an einem Familientisch plaziert, doch als es dann ans Tanzen geht, schwingen auch wir die Beine und wiegen uns im Takt uralter italienischer Schlager. Bis in die frühen Morgenstunden halten wir durch, doch als die Musik dann ins Jahr 2008 wechselt, schleichen wir uns unbemerkt davon. Am Sonntag weckt uns ein Gewitter, wie wir es eigentlich nur aus Mexico kennen. Es schüttet wie aus Eimern, dazu donnert und blitzt es, dass es eine Freude ist. Unsere geplante Rückfahrt über diverse Pässe fällt sprichwörtlich ins Wasser, doch so haben wir wenigstens Gelegenheit, die Gastfreundschaft unserer Tessiner Freunde nochmals in vollen Zügen zu geniessen und ein paar Kilos mehr zuzulegen.



Zurück in Zürich vergehen die Tage wie im Nu, schliesslich wollen wir alte Freunde treffen, durch die Altstadt schlendern, am See entlang spazieren, kurz und gut, einfach Touristen spielen. Ein weiterer Höhepunkt ist ein Opernbesuch, zu dem uns Julias Mutter einlädt. Ein Freund mit Beziehungen hat Karten für die Loge ergattert, was ein ganz spezielles Erlebnis ist. Auf rotbesamteten Stühlen sitzt man unter rotem Samt und goldenen Dekorationen und studiert die anderen Logengäste. Kaum sind alle Stühle in den Logen besetzt, schliesst die Portierin auch schon die Türe ab, damit sich niemand von den billigen Plätzen einschleichen kann. Händels Rinaldo wird unter der kundigen Leitung von William Christie gegeben. Die Musik begeistert uns, die Inszenierung ist total modern und eher gewöhnungsbedürftig, doch es ist ein grandioser Abend, der mit hausgemachtem mexikanischem Essen und Tequila abgeschlossen wird. Die Mittag- und Nachtessen im lauschigen Gärtchen von Julias Mutter arten jedes Mal in regelrechte Schlemmereien aus. Mama Lottis vegetarische Küche leidet zwar etwas unter unserem Besuch, denn wir wünschen uns so perverse Sachen wie Fleischkäse im Teig mit scharfem Dijonsenf, Landjäger, oder Saucisson mit Sauerkraut. Und sie gräbt alte und längst vergessene Rezepte aus, wo sie noch Schweinefleisch mit Aepfeln und Zwiebeln kochte, das diesmal mit viel mexikanischem Chili aufgepeppt wird. Käse vom lokalen Markt als krönender Abschluss fehlt natürlich nie und dazu passt ein Gläschen Wein eben auch ausgezeichnet.



Ein weiteres Wochenende verbringen wir in Basel bei Martins Mutter, wo uns gleichzeitig unser Freund Georg (auch als Tünnes aus einem früheren Reisebericht bekannt) aus Köln besuchen kommt. Wieder betreiben wir etwas Sightseeing auf dem Weg nach Basel und verweilen uns einige Stunden in Laufenburg am Rhein. Hohe Riegelhäuser säumen enge Gassen, in denen es im Sommer immer angenehm kühl und schattig bleibt. Am Rhein kann man über die Brücke nach Deutschland gehen oder einfach nur schöne Fotos von der deutschen und Schweizer Seite von Laufenburg machen. In Basel erwartet uns schon Martins Mutter und später am Abend trifft auch Georg mit der typischen Verspätung der deutschen Bundesbahn ein. Bei Käse, Brot und Wein diskutieren wir bis in alle Nacht über Gott und die Welt. Am Samstag bummeln wir durch die Altstadt von Basel, wo sich Martin von seiner Kindheit her immer noch bestens auskennt. Im Münster oberhalb des Rheins findet gerade eine Hochzeit statt und wir müssen uns mit der Besichtigung etwas gedulden. Dafür gehen wir durch den Klosterhof, wo wir einen Blick auf das Buffet der Hochzeitsgesellschaft werfen können. Ganze Laibe von Grano Padano Parmiggiano Käse scheinen bei Hochzeiten gerade der letzte Hit zu sein, jedenfalls treffen wir hier wieder auf diese Leckerei. Unterdessen spielt auf der Münsterterrasse hoch über dem Rhein ein Mann mit dem Alphorn auf, eine weitere Gelegenheit, ein paar Fotos zu schiessen. Abends sind wir bei einem Schulfreund von Martin eingeladen. Die beiden haben sich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen und dementsprechend viel zu erzählen. In den Jahren hat sich allerdings die Erinnerung an gewisse Ereignisse etwas verzerrt und die beiden sind sich nicht immer so ganz einig, wie's denn nun wirklich gewesen ist. Nach einem gemütlichen Frühstück am Sonntag fahren wir mit Georg zusammen zum Bahnhof, wo er den Zug 'gen Norden und wir einen anderen 'gen Süden besteigen. In Zürich geht die Schlemmerei gleich weiter, denn für den Geburtstag von Julias Mutter kochen wir nochmals mexikanisch.



Um ein letztes Mal Touristen zu spielen, fahren wir mit Mäge nach Engelberg. Nochmals geht es vorbei an geranien-bewachsenen Chalets und wohlgenährten Kühen auf sattgrünen Weiden. In der Schaukäserei des Kosters machen wir die Bekanntschaft von Ernst Odermatt, dem Käser, und seiner Tochter Judith. Sie kennen unseren mexikanischen Käser Salvador, von dem wir auch schon geschrieben haben. Freundlicherweise schenken sie uns drei Gutscheine, um mit der Brunni-Bahn nach Ristis hochzufahren und im Restaurant etwas zu trinken. Diese Bahn befindet sich gleich gegenüber des Titlis, den die Wolken am Nachmittag dann auch freigeben. Wir sind umgeben von Schneebergen und Felsengipfeln. Kuhglocken bimmeln auf den Weiden und Alpenblumen blühen. Vor einem Chalet geniessen wir die warme Sonne und verfluchen uns, dass wir das Picknick unten im Auto gelassen haben. Es ist ein Nachmittag wie aus einem Ferienprospekt für die Schweiz. Natürlich besuchen wir bei einem Bummel durch die autofreie Hauptstrasse von Engelberg jedes Geschäft und sehen uns satt an schwarz-weiss kuh-gemusterten Souvenirs, jodelnden batteriebetriebenen Stoffmurmeltieren. Und an Kaffeetassen, Waschlappen, Zigarettenanzündern und vielem mehr in rot-weiss Variationen. Zuletzt besuchen wir noch ein Geschäft, wo alle Arten und Grössen von Kuhglocken verkauft werden. Nebenan befindet sich eine Sattlerei, wo die passenden Halsbänder hergestellt werden. Sogar eine Bestellung aus den USA hat der Sattler schon gehabt, wo das Lederband zusätzlich zu den üblichen Edelweiss und Enzian auch noch mit der US Fahne bestickt werden musste. Und sogar an unseren mexikanischen Freund Salvador kann er sich erinnern, der bei seinem letzten Besuch einen halben Koffer mit unterschiedlich grossen Glocken für seine Ziegen erstanden hatte. Als krönenden Abschluss dieses kleinen Ausfluges geniessen wir unser Nachtessen bei Mäge auf der Terrasse, mit Margaritas zum abkühlen und dem Käse aus der Schaukäserei Engelberg.



Drei Wochen verfliegen im Nu, was einerseits schade ist, denn es gibt so vieles, was wir eigentlich auch noch machen und sehen wollten, andererseits hat es auch sein Gutes, denn nach unseren täglichen kulinarischen Exzessen ist etwas Diät und sportliche Aktivität dringend angesagt.



Juli 2008



Julia Etter & Martin Kristen