travelog 96






Zwangsferien in Aguascalientes & Zacatecas



"Erupción de volcán?" und "Islandia, dónde queda esto?", fragt mich die freundliche Dame am Schalter von Aeromexico in Guadalajara. Was wir am frühen Morgen schon in einer Schweizer Tageszeitung gelesen haben, scheint noch nicht bis nach Mexiko gedrungen zu sein. Der Eyjafjoell Vulkan auf Island spukt Staub und Asche und droht den Flugverkehr zu paralysieren. Langsam dämmert es der Dame, dass sie irgendwo etwas gehört hat von einem Vulkan, doch das stelle absolut kein Problem dar. Mäge bekommt an diesem 15. April ihre Sitze mit KLM und auch ihr Gepäck wird bis nach Zürich durchgecheckt. Da scheint ja alles wunderbar zu klappen. Wir trinken noch einen Eiskaffee bei Starbucks und dann verabschiede ich mich von Mäge.



Zurück zuhause häufen sich die Horrormeldungen in den Zeitungen. Der KLM Webseite kann man entnehmen, dass alle Flüge nach Amsterdam bis auf weiteres storniert wurden. Wir erwarten also den baldigen Anruf von Mäge. Gegen 10 Uhr nachts klingelt denn auch das Telefon. Mäge ist endlich in einem Hotelzimmer angekommen und schildert uns ihre Odyssee. In Mexico City war noch alles ganz normal. Die Passagiere gingen durch alle Kontrollen, mussten Schuhe ausziehen, Gepäck wurde durchleuchtet, schliesslich traf man sich am Abfluggate nur um auf dem Schild zu lesen, dass der Flug gestrichen war. Das Gepäck durfte man bei "Lost & Found" suchen gehen. Wer den Flughafen von Mexico City kennt, weiss, dass das alles verbunden ist mit Kilometerlanger Latscherei. Als Krönung mussten die gestrandeten Passagiere dann auch noch durch die Zollkontrolle. Das war dann etwas zuviel für Mäge und die Zollbeamten liessen sie durchgehen, ohne dass sie auf den Knopf drücken musste. Schliesslich war sie ja noch gar nicht aus dem Land ausgereist. Danach hatte KLM Mühe, alle Passagiere in Hotels unterzubringen. Mäge kann nun zwei Nächte auf Kosten von KLM im 4-Sterne Hotel bleiben. Danach wird man weitersehen. An der offiziellen KLM Information am 17. April heisst das dann im Klartext: KLM kommt nicht mehr für Unterbringungskosten auf, und jeder ist von nun an auf sich alleine gestellt. Man drückt den Passagieren noch zwei Telefonnummern in die Hand, bei denen es mehr Informationen gebe und man seinen Flug kostenlos umbuchen könne. Mäge kauft sich gleich einen Flug nach Guadalajara und zwei Tage nachdem wir sie dort abgeliefert haben, holen wir sie für einige weitere Zwangs-Ferientage wieder ab.



Den folgenden Montag verbringen wir vor allem am Telefon. Die beiden Gratistelefonnummern, die auf der KLM-Webseite, die hier in Mexico auch für Delta Airlines Gültigkeit hat, angegeben sind, sind entweder falsch oder funktionieren nicht. Mit der einen Nummer wird man an die Zeitung "El Universal" in Mexico City verbunden, die andere Nummer ist nicht in Betrieb. Also machen wir den reichsten Mann der Welt, Carlos Slim, Besitzer der mexikanischen Telefongesellschaft Telmex, noch etwas reicher und warten mehr oder weniger geduldig, bis wir nach Stunden endlich mit einem jungen Mann von KLM verbunden sind. Mäge's Flug kostenlos umzubuchen ist kein Problem. Der erste erhältliche Flug geht am 1. Mai, zwei Wochen später. Schnell entscheidet sich Mäge für die andere Möglichkeit und lässt sich den Flug Guadalajara - Zürich von KLM zurückerstatten. Den Rest des Tages verbringen wir nun am Internet auf der Suche nach einem Flug nach Zürich. Iberia über Madrid scheint die beste Lösung, allerdings ist es natürlich nicht die billigste. Aber Mäge kann ja von Glück reden, dass sie wieder bei uns untergekommen ist und nicht wie andere in Mexico City ohne Hotel und Spanischkenntnisse steckenblieb und einem verärgerten Chef erklären muss, weshalb sie noch etwas länger in den Ferien bleiben muss. So finden wir auch heraus, dass Mäge im Büro eigentlich gar nicht so dringend gebraucht wird. Die Zahlungen erledigt sie via Internet von hier aus. Dafür muss sie einfach etwas früher aufstehen, doch nachher kann man ja die Ferien geniessen.



Was tun bis zu Mäge's Rückflug? Ein Frauenreisli natürlich! Nach dem Studium einiger Ausgaben von "Mexico Desconocido", einer mexikanischen Reisezeitschrift, fällt die Wahl auf Aguascalientes und Zacatecas. Aguascalientes haben wir schnell besichtigt. Die Innenstadt wurde wunderschön renoviert und herausgeputzt. Ueberall laden kleine italienische Cafes zum Verweilen ein. Auf dem Hauptplatz spenden riesige Jacaranda-Bäume Schatten. Plakatsäulen vor den jeweiligen Gebäuden erzählen deren Geschichte. Wir machen einen Rundgang durch alle Kirchen und Tempel der Innenstadt. Dann wandern wir bis zur Feria San Marcos, der grössten und bekanntesten Messe Mexikos. Um den Mittag herum ist hier noch überhaupt nichts los. Wir finden nicht einmal etwas zu essen. Nach soviel herausgeputzten Häusern, Galerien, Cafes und Modegeschäften mit teuren Markenartikeln wollen wir doch noch die mexikanische Seite von Aguascalientes sehen. Zwei Strassen nördlich vom Hauptplatz beginnen dann plötzlich die Schuhgeschäfte mit Billigangeboten. Strassenstände bieten frisch geschnittene Früchte mit Limesaft, Salz und Chile an. Menschenmassen tummeln sich vor den Schaufenstern. Und dann stehen wir auch schon vor dem öffentlichen Marktgebäude. Drinnen preisen Verkäufer ihre Früchte, Fische und Frischkäse an. Nebenan fungieren Mädchen hinter dampfenden Töpfen als lebendige Menükarten. Den Vorbeigehenden wird das Angebot heruntergerasselt. Wenn man auch nur ein bisschen zögert, wird der Redeschwall sofort intensiviert und der potentiellen Kundschaft ein Stuhl angeboten. Wir entscheiden uns für "tortas de carnitas". "Tortas" sind keine süssen Torten, sondern Sandwiches. Zwischen ein knuspriges Brötchen kommt im Fett gebratenes Schweinefleisch und scharfe Salsa. Dazu gibt es je nach Stand in Essig eingelegte Chiles, Zwiebelringe und "nopalitos", Salat von Kaktusblättern. Nachmittags besuchen wir noch das "Museo Nacional de la Muerte", das 2007 eröffnet wurde. Auf zwei Etagen sind Objekte aus prähispanischer Zeit, aus der Kolonialzeit und der Gegenwart ausgestellt, die alle etwas mit dem Tod zu tun haben. Es gibt Totenmasken, Statuen, Bilder, Stoffdrucke, Steinfiguren, archäologische Objekte, Wachs- und Holzfiguren, Miniaturen, und vieles mehr. Ein grosser Teil des Museums nehmen Karikaturen, Bilder und Drucke des Künstlers Jose Guadalupe Posada aus Aguascalientes ein, doch die spannendsten Sachen für uns sind die vielen Tonfiguren, Miniaturen und "Catrinas", die fragilen Tonskelette aus Michoacan.



Die Strecke zwischen Aguascalientes und Zacatecas legt man am besten auf der gebührenpflichtigen Autobahn zurück. Auf halbem Weg kommt man über schöne Berge mit Agave schidigera, einer kleinen Form von A. applanata, Ferocactus histrix, Yucca filifera, einem Dasylirion und einer riesigen Mammillaria. Hinter den Bergen geht es über weite Ebenen mit den tollsten Yucca filifera Wäldern weit und breit. Die alte Strasse führt immer noch fast mitten durchs Zentrum von Zacatecas. Parkplätze sind in den engen Gassen der Innenstadt eine Rarität. Als erstes schlendern wir etwas durchs Zentrum und sehen uns diverse Hotels an. Mäge hat allerdings in einem der "Mexico Desconocido" Hefte die doppelseitige Werbung für ein ganz spezielles Hotel gesehen, das "Quinta Real". Sie besteht darauf, sich das Hotel wenigstens mal aus der Nähe anzusehen und bei Gefallen will sie mich einladen. Wir folgen den Schildern und landen vor dem eleganten Eingang des Hotels, wo der Türsteher sofort die Autotüren aufreisst und uns heraushilft. Unser Auto ist eindeutig das gewöhnlichste und v.a. dreckigste am Platz. Die Stierkampfarena aus dem 19. Jahrhundert sah den letzten Stierkampf 1975. Das "Quinta Real" wurde 1989 in genau dieser Arena eröffnet und gewann den "International Architectural Award". An der Recepcion plaudern wir etwas mit Antonio, dem netten jungen Mann, der für neuankommende Gäste zuständig ist. Ich erzähle ihm Mäge's Geschichte mit den Zwangsferien wegen des Vulkans auf Island und dass wir deswegen ein kleines Frauenreisli unternommen hätten. Gerne würden wir in seinem Hotel übernachten, doch nur in einem der wirklich tollen Zimmer, von denen aus man die Aussicht hat, die wir im Reisemagazin und im Internet gesehen haben. Kein Problem, er hätte da ein ganz spezielles Zimmer, ob wir es uns ansehen wollten. Das tut man natürlich normalerweise in Mexico, aber irgendwie kommt einem das in einem Luxusschuppen wie dem "Quinta Real" schon etwas seltsam vor. Mäge zückt also cool ihre Kreditkarte, die von der Maschine im Hotel prompt als gesperrt zurückgewiesen wird. Auch beim zweiten Versuch funktioniert es nicht. Antonio schaut uns schon etwas schief an, wir passen auch perfekt ins Bild zweier schräger mittelalterlicher Frauen, die sich etwas im Hotel vertan haben. Während Mäge mit dem 24-Stunden-Service ihrer Kreditkarte am Telefon hängt (die Karte wurde gesperrt, nachdem Mäge in Mexico City ein Flugticket gekauft hatte), bezahle ich das Zimmer mal in bar. Der ganzen Aufregung halber vergessen wir das Gläschen Champagner, das uns Antonio angeboten hatte. Ein Portier trägt unsere Tasche ins Zimmer hinauf. Den Schlüssel zum Auto gibt man ab, es wird dann geparkt. Im Zimmer angekommen sind wir überwältigt. Der Portier klärt uns darüber auf, dass Antonio uns wirklich das beste und schönste Zimmer in der "billigsten" Preisklasse gegeben hat. Es liegt gleich neber der Präsidentensuite und übersieht die ganze Stierkampfarena. Die anderen Zimmer sind in einem hinteren Teil um einen Patio herum gruppiert.



Nachdem wir nun also eine angemessene Unterkunft für die Nacht gefunden haben, erkunden wir den Rest des Hotels. Von allen Tischen im Restaurant überblickt man die ganze Arena. In den ehemaligen Boxen für die Stiere, wurde eine Bar eingerichtet. Ein Blick auf die Speisekarte genügt und wir entschliessen uns für die billigere Variante eines Tacostandes. In Zacatecas, das immerhin auf 2500m Höhe liegt, weht ein kalter Wind. Vor der ehemaligen Markthalle, die nun verschiedene kleine Kunsthandwerk- und Souvenirgeschäfte beherbergt, gibt das Bläserorchester von Zacatecas ein Konzert. Ungefähr 50 junge Frauen und Männer blasen, tröten, pusten und trompeten auf ihren Instrumenten. Dirigiert werden sie von einem energischen Mann mit wehendem grauen Haar und ausschweifenden Armbewegungen. Das Ganze ist ein Spektakel für sich, wenn auch nicht immer ein Ohrenschmaus. Langsam wird es dunkel in der Stadt und die Lichter gehen an. Der rosarote Stein der Kathedrale wird vom gelben Licht wunderschön angeleuchtet. Der Regierungspalast sieht beleuchtet noch imposanter aus. Wir wandern endlos durch die engen Gassen und kommen hinter jeder Ecke an ein weiteres bewunderungswürdiges Gebäude. In der Nähe der Plaza Santo Domingo finden wir ein nettes kleines Lokal, das sichtlich bei den Einheimischen beliebt ist. Spezialität ist "Pozole rojo" und "Pozole verde", eine Suppe aus geschälten Maiskörnern und Schweinefleisch. Man würzt nach Lust und Laune mit Limesaft, scharfer Salsa, gehackter Zwiebel, Radieschen, und fein geschnittenem Weisskohl. Zurück im Hotel geniessen wir von unserem Balkon aus noch eine ganze Weile die wunderschöne Sicht auf die beleuchtete Stierkampfarena, die in einen riesigen Patio umgewandelt wurde und nachts fantastisch beleuchtet wird.



Zum Frühstück begeben wir uns auf den kleinen Markt etwas südlich des Zentrums. "Birria" und "Barbacoa" werden schon frühmorgens angeboten. Als Mäge wissen will, wie denn die "Birria" aussehe, hebt der Verkäufer das Tuch von seiner dampfenden Ware und zum Vorschein kommt als erstes ein Ziegenkopfschädel. Das war's dann mit der "Birria". Mäge entscheidet sich ganz schnell für einen nach Zimt duftenden "Cafe de Olla". Wir besichtigen die Innenstand nun bei Tageslicht. Wir besuchen das "Museo Rafael Coronel", das sich im 1567 erbauten ehemaligen Franziskanerkloster befindet. Um zum Eingang des Museums zu gelangen, irrt man durch einen verwunschenen und überwucherten Garten in den zusammengefallenen Gebäuden des Klosters. In verschiedenen restaurierten Räumen des ehemaligen Klosters sind 4000 Masken ausgestellt, die in Tänzen und Zeremonien in ganz Mexiko gebraucht wurden. Die ganze Sammlung besteht aus 10'000 Masken, doch nachdem man sich die 4000 wunderschön ausgestellten angesehen hat, hat man für die nächste Zeit genügend Masken bewundert. Mezcal, ein Agavenschnaps ähnlich dem Tequila, wird in vielen Geschäften in Zacatecas angeboten. Eine Flasche eines anscheinend guten Mezcals aus 100% Agavensaft kann hier gut und gerne 500 Pesos kosten. Dafür dass man nicht so genau weiss, ob das Endprodukt so weich und angenehm wie ein guter 100% Tequila ist, verzichten wir auf den Kauf dieses teuren Schnapses. Zurück auf dem kleinen Markt hat Mäge immer noch die leer starrenden Augen des Ziegenschädels in Erinnerung. Wir schlendern etwas weiter entlang der vielen kleinen Geschäfte und finden einen zweiten Markt, wo wir gleich im Essenssektor landen. Sofort werden uns die Menus der verschiedenen Küchen entgegengerufen. In schönem Keramikgeschirr werden Eintöpfe, Suppen, Bohnen und Gemüse angeboten. Wir entscheiden uns für einen "Asado de Boda", so genannt weil dieses Gericht oft an Hochzeiten in Zacatecas serviert wird. Es ist ein dicker Eintopf mit Schweinefleisch in roter Sauce mit Gemüse. Dazu werden uns handgemachte Tortillas und Bohnen gereicht. Von unserem Tisch aus haben wir einen guten Ueberblick über das rege Markttreiben und können beobachten, wie die jungen Mädchen an den Garküchen lautstark ihre Spezialitäten anpreisen. Als Krönung unseres Besuches wollen wir natürlich mit der Standseilbahn, einem Schweizer Produkt, auf den Cerro Bufa hinaufgondeln. Bei der Talstation werden wir dann allerdings darüber informiert, dass des starken Windes wegen momentan nicht gegondelt werden kann. Wir sollten etwas später nochmals kommen. Wir müssen die Fahrt in der Seilbahn auf einen anderen Besuch verschieben, denn der Wind lässt nicht nach. Die Angestellten haben einen leichten Job, denn oft werden sie gegen Mittag schon nach Hause geschickt, weil es zu stark windet. Als letztes besuchen wir das Zentrum der Silberschmiedekunst in der ehemaligen Hacienda Bernardez. Wir haben uns die Hacienda besser erhalten vorgestellt. Rundherum führen breite Strassen und Ueberbauungen zingeln die Grünfläche ein, doch immerhin kann man hier die Silberschmiedekunst auf einem Platz bestaunen. Kleine Ateliers, in denen man den Künstlern bei der Arbeit zuschauen oder Silberschmuck direkt kaufen kann, sind rund um eine Wiese gruppiert.



Leider gehen nun die Zwangsferien bald zu Ende. Ueber die Ruinen von Chicomostoc, auch unter dem Namen "La Quemada" bekannt, fahren wir wieder Richtung Jalisco. Mit 10-tägiger Verspätung fliegt Mäge dann tatsächlich zurück in die Schweiz. Die nordischen Vulkangötter sind gnädig und haben den Ascheregen gestoppt, so dass der Flugverkehr wieder normal funktionieren kann. So schnell wird Mäge diese Ferien nicht vergessen. Die Uebernachtung im "Quinta Real" in Zacatecas ist sicherlich der krönende Abschluss des Campingtrips (siehe Reisebericht 93) mit Uebernachtungen im Zelt gewesen. Und die wunderschöne Stadt Zacatecas war die Reise auch wert. Zwangsferien können also auch etwas Gutes für sich haben.



Mai 2010



Julia Etter & Martin Kristen